
Der Förderschüler Christopher, 15 Jahre, drei Monate und zwei Tage alt, kennt sämtliche Primzahlen bis 7507 auswendig, beherrscht die Gesetze der physikalischen Logik, verhält sich aber in Notsituationen wie ein Kleinkind, macht in die Hose und nennt die Exkremente „A-a“. Nun will er auch noch den Mord an einem Nachbarhund aufklären. Mit ungeahnten Folgen.
Wie, um Himmels Willen, wollen die Maßbacher und Regisseur Christian Schidlowsky „Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone“ ins Intime Theater bringen? Mark Haddons preisgekrönter und von Simon Stephens für die Bühne bearbeiteter Roman über einen Jungen, der am Asperger-Syndrom – einer milderen Form des Autismus – leidet, ist eine komplexe, tiefsinnige und tragikomische Geschichte.
Christophers detektivische Recherchen stehen am Anfang einer kleinen Odyssee und zwingen ihn dazu, sein gewohntes Umfeld zu verlassen. Er muss etwas tun, wovor er panische Angst hat: in eine fremde Welt eindringen, in der sein eingeschränktes Verhaltensrepertoire aus den Fugen gerät.
Ein überraschender Reigen an dramaturgischen Einfällen
Wie also wollen die Maßbacher das Publikum so zum Lachen bringen, dass das Stück im Juni auch auf der Freilichtbühne ein Renner wird, dort, wo traditionsgemäß nicht nur gelacht werden darf, sondern muss?
Sie werden es schaffen. Denn Schidlowsky und sein spielfreudiges Team um den nach seiner grandiosen Gregor-Samsa-Interpretation wiederum empathisch mimenden Benjamin Jorns als Christopher, zaubern mit ihrer fantasievollen Interpretation einen Minute für Minute überraschenden Reigen an dramaturgischen Einfällen, der das Publikum an die Handlung fesselt, ohne die Achtung vor den Charakteren aufs Spiel zu setzen. Ganz irritiert lassen sich die Zuschauer vor der Vorstellung von den Schauspielern in der „Mark-Haddon-Förderschule“ begrüßen, wo sie einer Theateraufführung von Christophers in einem Tagebuch niedergeschriebenen Erfahrungen beiwohnen werden.
Silvia Steger (Lehrerin), Ingo Pfeiffer (Vater), Susanne Pfeiffer (Mutter), Anna Schindlbeck (Schuldirektorin) und Lukas Redemann (Religionslehrer) stellen sich vor, teilen freudig mit, dass sie in die verschiedensten Rollen schlüpfen werden, während Christopher schweigend und bewegungslos auf einer Art Dachschräge sitzt, die sich, dank Bühnenbildner Andreas Wagner, zu einem regelrechten Wunder von Weihnachtskalender mit zahlreichen Türchen wandelt. Mehr wird nicht verraten. Oder doch, eins noch: Dass die Schauspieler, die um Christopher in herrlich schrägen Kostümen (von Jutta Reinhard) und Schaumstoff-Perücken (von Kathrin Hartmann) herumwuseln, sich so freispielen, wie schon lange nicht mehr.
Präzise Charakter- und Milieustudie und Gesellschaftssatire
So bewegt man sich als Zuschauer nicht nur in einer präzisen Charakter- und Milieustudie, sondern in einer Gesellschaftssatire, die selbst die unscheinbarsten Macken des normalen Lebens ins rechte Licht rückt und uns nötigt, unsere Wirklichkeit noch einmal zu überdenken. Unbedingt empfehlenswert.
Vorstellungen bis 14. Mai, jeweils 19.30 Uhr im Intimen Theater und auf Gastspielen. 1. bis 10. Juni auf der Freilichtbühne. Infos und Karten:
Tel. (09 73 5) 235; www.theater-massbach.de