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Wie Thomas Bernhard Österreich spaltete
Thomas Bernhard
Foto: dpa | Thomas Bernhard
dpa
 |  aktualisiert: 11.02.2014 17:14 Uhr

Schon todkrank ließ Thomas Bernhard das mehr als 30-minütige Buh- und Jubel-Gewitter nach der Vorstellung im Wiener Burgtheater über sich ergehen. Die Uraufführung von „Heldenplatz“ im November 1988 wurde zu einem riesigen Skandal. Die Geschichte um die Nazi-Vergangenheit der Republik spaltete die österreichische Nation. Doch Bernhards lebenslanges Image als Nestbeschmutzer, als Anti-Heimatdichter änderte sich nach seinem Tod.

Vor 25 Jahren, am 12. Februar 1989, starb Bernhard im Alter von 58 Jahren an Herzversagen. Heute wird er verehrt. „Er ist zum Säulenheiligen geworden“, sagt der Leiter des Thomas-Bernhard-Archivs im oberösterreichischen Gmunden, Martin Huber. Es darf bezweifelt werden, dass Bernhard dieser Heiligenschein gefallen hätte. „Mein ganzes Leben als Existenz ist nichts anderes als ununterbrochenes Stören und Irritieren“, schrieb er einmal.

Gesamtauflage von 3,5 Millionen

„Es war ein einziger gigantischer Protest in seinem Werk gegen unser Dasein“, meinte der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki. Bernhard formulierte es so: „Jedes Kapitel eine Weltanklage.“ Seine Erzählungen, Gedichte, Romane und Theaterstücke – übersetzt in 45 Sprachen – kreisen immer wieder um den Tod. Das Werk verkauft sich: Laut Suhrkamp Verlag beläuft sich die Gesamtauflage von 1963 bis heute auf rund 3,5 Millionen Bücher. Nicht weniger als 77 Titel von und über Thomas Bernhard seien lieferbar.

Bernhard, der seinen Vater nie kennenlernte und von der Mutter übel beschimpft wurde, hatte als junger, tuberkulosekranker Mann schon die letzte Ölung erhalten. Im Sanatorium begann seine Laufbahn. „Ich bin aus reiner Langeweile zum Schreiben gekommen“, bekannte er. Und: „Ich hasste alles, was gesund war.“ Seine Heimat nannte er die „Eiterbeule Europas“.

Der Durchbruch gelang ihm 1963 mit seinem ersten Roman („Frost“) über einen an Körper und Geist erkrankten Kunstmaler. Monologe, Übertreibungen, Penetranz, Hohn und Verachtung prägen dieses wie spätere Werke. Ein weiteres Markenzeichen: die Vermischung von Dichtung und Wahrheit, die Wiedererkennbarkeit von Menschen, gegen die er zu Felde zieht. Er bekam viele Preise, hasste Zeremonien, die Honoratioren, aber nicht das Geld. 1984 erschien „Holzfällen, Eine Erregung“ – eine Abrechnung mit der Kunstszene. Das Buch wurde beschlagnahmt, weil sich Bernhards Förderer demaskiert sahen.

Große formale Distanz

Die Neubewertung Bernhards sei auch dem Umstand zu verdanken, dass keine Gefahr mehr von ihm ausgehe, sagt Huber. „Auch der internationale Glanz wirkte in seine Heimat zurück.“ Fast bürgerlich mutet Bernhards Interesse fürs Bauen und Renovieren an. Seinen Vierkanthof aus dem 14. Jahrhundert in Oberösterreich, als „Denk- und Schreibkerker“ konzipiert, renovierte er liebevoll. Nicht nur dort waren ihm Stil und Kleidung wichtig. „Jeder Briefwechsel enthüllt neue Seiten an der Person“, sagt Huber über einen der wichtigsten deutschsprachigen Autoren. Sein Verleger Siegfried Unseld erinnerte sich an die große formale Distanz, die Wahrung der Form trotz aller Verbundenheit. „Er war ein Herr. Es blieb immer beim Sie.“

Über das Drama „Heldenplatz“ regt sich heute kaum noch jemand auf. Am Burgtheater erlebte das Stück noch viele Aufführungen, geschätzte 15 Inszenierungen gab es seit dem Skandal-Start. Sätze wie „Die Österreicher insgesamt als Masse sind heute ein brutales und dummes Volk“ quittiert das Publikum bisweilen mit einem Lächeln.

 
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