Im Jahr 2010 fragte der SWR bei Thomas Pigor an: Ob er nicht eine Serie anfangen könne mit einem monatlichen Chanson. Der Deutschlandfunk stieg gleich mit ein, WDR, NDR und Ö1 übernahmen die Lieder auch recht oft. Und so schrieb der Musikkabarettist mit Rhöner Wurzeln also Monat für Monat ein aktuelles Lied und spielte es mit wechselnden Kollegen ein. Ein in seiner Art einmaliges Format: Text, Musik, Mischung, Einspielung – alles aus einer Hand und immer aktuell. Jetzt sind die 100 voll, in diesem Dezember macht Pigor mit der Reihe Schluss. Nicht ohne noch einmal zurückzublicken – mit einem Buch und den Chansons auf MP3 CD.
Thomas Pigor: Der Begriff Song klingt im Deutschen nach Pop, Rock oder Singer/Songwriter, der Begriff Lied klingt altertümlich. Einen Jazz- oder Rap-Song würde man nicht als Lied bezeichnen. Im Französischen bedeutet „Chanson" zwar dasselbe wie „Song“ bei uns. Aber wenn wir „Chanson“ im Deutschen sagen, dann unterstreicht das einen entscheidenden Aspekt: Text und Musik sind gleichberechtigt. „Chanson“ weckt leider immer noch die Assoziation „Frankreich“ und musikalische Sprache à la Brel. Aber vom Kunstlied über Blasmusik, Hip-Hop und Salsa bis zum Death Metal kann man alles zu einem Chanson umstricken. Und das haben wir beim „Chanson des Monats“ getan.
Pigor: Wir haben in unseren Bühnenprogrammen immer einen gewissen Anteil an politischen Chansons gehabt. Auch zu aktuellen Themen. Das Problem bei den Bühnenprogrammen ist: Wenn man ein Chanson zu einem tagesaktuellen Thema schreibt, dann ist es vielleicht schon nach zwei Wochen überholt und man hat grade kein Konzert. Wenn aber Radiosender die Chansons zeitnah ausstrahlen, dann hat man auch für aktuelle Themen ein größeres Publikum. Das ist durchaus eine Motivation zum Schreiben.
Pigor: Erst mal war das Ganze für ein Jahr angedacht. Dann haben wir entschieden, wir machen noch ein Jahr, und dann noch eins . . . Irgendwann habe ich gemerkt: Es ist ein wunderbares Forum, aber es ist auch sehr anstrengend. Da habe ich mir dann die sportliche Zahl 100 vorgenommen.
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Pigor: Pro Monat mindestens zehn Tage, um die Chansons zu erstellen. Und wenn dann noch nebenher die Bühnenprogramme laufen und ich fürs Theater schreibe, dann geht das auf Kosten der anderen Projekte. Das Spezielle beim Chanson des Monats ist halt, dass es sehr schnell gehen muss. Toll,war, dass ich dabei sehr viele Musiker kennengelernt habe.
Pigor: Das war schon sehr besonders. Ich rufe an oder maile und frage: Kannst Du mir das bis morgen einspielen? Wenn gerade alle auf Tour waren, gab es eben Computersound. Ich habe Mundharmonikaspieler, Akkordeonistinnen, Bassklarinettisten, Streicherinnen kennengelernt, die nicht nur ihren Sound sondern auch ihre Musikalität in die Chansons mit eingebracht haben. Das kam der musikalischen Bandbreite enorm zugute. Und da war viel Spaß dabei.
Pigor (lacht): Es war sehr anstrengend – aber langweilig überhaupt nicht, nein.
Pigor: Im Moment noch nicht, weil ich noch viele andere Projekte gleichzeitig am Laufen habe. Aber es juckt mich schon wieder, neue Themen zu bearbeiten. Ich denke immer öfter: Mann, darüber könnte man jetzt ein Chanson des Monats schreiben!
Pigor: Da sitze ich mit Tim Fischer in der Küche und wir essen zusammen ein Huhn. Wir haben es tatsächlich gekocht und gegessen. Und in verschiedenen Phasen der Zubereitung und Verspeisung haben wir die Kamera mitlaufen lassen.
Pigor: Bis auf „vorgegeben“ ist alles richtig. Die Schwierigkeit ist, auf die Schnelle abzuschätzen, welches Thema genügend Substanz bietet, um es zu Ende bringen zu können. Ich habe oft genug ein vielversprechendes Thema angefangen und musste es wieder abbrechen.
Pigor: Naja, was Kaspereien in der Politik betrifft, sind die doch seit Jahren ganz vorne dran. Die politische Situation hat sich aber auch verändert. Heute ist vieles nicht mehr selbstverständlich, was vor zehn Jahren gar nicht erst ausgesprochen werden musste.
Pigor: So was ist nicht vorherzusehen. Auch nicht bei „Berlin Airport“ von September 2012. Der ist immer noch aktuell und wurde übrigens auch am meisten angeklickt in den verschiedenen Kopien, die im Netz unterwegs sind. „Burka Boogie Woogie“ ist auch so ein Hit geworden. Aber wie lang so ein Song hält, weiß man nicht. Und manchmal kommen sie ja auch wieder: zum Beispiel der „Brexit“-Song, der passt wieder wunderbar.
Pigor: . . . eine Reaktion auf die Attentate von Charlie Hebdo. Die Idee hatte ich schon länger im Kopf, aber immer wieder vor mir hergeschoben. Und dann sind da explizit Satiriker ins Zielfeuer geraten, das ging mir nahe. Da konnte ich mich vor dem gottlosen Chanson nicht mehr drücken. Und ja, und dass man mal keine Sojasprossen mehr essen durfte . .
Pigor: Wenn man den richtigen Dreh findet, ist im Prinzip alles vertonbar. Aber ich will auch nicht die Themen behandeln, worüber sich sowieso gerade alle lustig machen. Guttenberg oder Trumps Tweets oder Frisur oder so.
Pigor: Unterschiedlich: ich glaube bei „Uhrangst“ und „Fastenzeit“ sind mir zwei textlich-musikalische Kleinode gelungen, die leicht untergehen, zwischen den spektakuläreren Chansons. Und „Nationale Zugehörigkeit“ halte ich inhaltlich für wichtig. Die Vertonung des „Wir-Gruppen“ -Konzeptes, das jedem Soziologen geläufig ist, das aber in der öffentlichen Diskussion um Nation, Heimat und Patriotismus keine Erwähnung findet. Das ist das Schöne am Text-Chanson: Man muss sich beim Singen nicht auf die einfachen Formeln beschränken.