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WÜRZBURG
Wie könnte Jesus ausgesehen haben?
Spurensuche: Jesus ist der am öftesten dargestellte Mann der westlichen Kunstgeschichte. Dabei weiß keiner, wie er ausgesehen hat. Auch die Evangelien schweigen sich aus. Oder gibt es doch Hinweise?
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:06 Uhr

Auf unerklärliche Weise wird ein Israel-Tourist in die Zeit Jesu zurückversetzt. Der Mann hat eine Videokamera dabei. Die wird 2000 Jahre später von Archäologen gefunden – und die Sensation ist perfekt: Auf der Festplatte des Geräts sind Bilder von Jesus . . .

Das ist Science-Fiction. Aber der – auch verfilmte – Roman „Das Jesus-Video“ von Andreas Eschbach spielt mit einer realen Sehnsucht: Nicht nur Gläubige möchten wissen, wie Jesus ausgesehen hat. Diese Sehnsucht ist eines der Themen in der Ausstellung „angesichts – Bilder vom Menschen“ im Würzburger Museum am Dom (siehe Kasten unten). Hier sind auch sogenannte wahre Bilder von Jesus zu sehen.

Wie kamen diese Porträts zustande? Das Neue Testament liefert keine Anhaltspunkte. Die Evangelisten schrieben Jahrzehnte nach Jesu Tod, kannten ihn nicht persönlich und hatten kein Interesse an Äußerlichkeiten. Ihnen ging es um die Botschaft. Und trotzdem existieren Bilder, die angeblich das wahre Aussehen Jesu zeigen. Es gibt vier große Traditionen, auf die sich Maler berufen.

Die Lentulus-Tradition

„Sein Haar hat die Farbe einer völlig reifen Haselnuss, bis zu den Ohren beinahe glatt, von da abwärts etwas gelockt über seine Schultern wallend und nach der Sitte der Nazarener in der Mitte gescheitelt.“ So schilderte Publius Lentulus, Statthalter in Judäa, das Aussehen eines „sehr tugendhaften Mannes namens Jesus Christus, welcher jetzt noch unter uns lebt“ in einem Brief. Lentulus ließ eine entsprechende Gemme anfertigen – eine Profilansicht –, die er nach Rom schickte.

Die Abgar-Tradition

Auch dem König von Edessa verdankt die Nachwelt eine Vorstellung vom Aussehen Jesu: Abgar V. bat den Nazarener, der im fernen Judäa als Wanderprediger lehrte, in einem Brief um Heilung von einer Krankheit. Jesus antwortete: „Bezüglich deiner schriftlichen Einladung, zu dir zu kommen, musst du wissen: Es ist notwendig, dass ich zuerst all das, wozu ich auf Erden gesandt worden bin, erfülle.“ Der Bote, der zwischen Mesopotamien und Judäa pendelte, malte Jesus. In einer anderen Version der Legende handelt es sich nicht um ein Gemälde, sondern um einen Abdruck des Gesichtes Jesu auf einem Tuch.

Die Veronika-Tradition

Auch das sogenannte Schweißtuch der Veronika trug zu dem Bild bei, das bis heute Jesusdarstellungen prägt. Auf dem Tuch, das Veronika Jesus auf dem Weg zur Kreuzigung reichte, drückte sich auf wundersame Weise dessen Gesicht ab.

Das Turiner Grabtuch

Das „Grabtuch von Turin“, benannt nach seinem Aufbewahrungsort, zeigt das Bild eines gegeißelten Menschen mit Wundmalen wie nach einer Kreuzigung und Dornenkrone – Jesus? Das Bild auf dem angeblichen Grabtuch Christi wirkt, anders als Abgar- oder Lentulusbilder, äußerst realistisch – wie ein Foto-Negativ. Manche glauben, es sei identisch mit dem Bild, das König Abgar geschickt wurde. Das Grabtuch, das einen ganzen Menschen in Vorder- und Rückansicht zeigt, sei damals aber derart gefaltet gewesen, dass lediglich das Gesicht zu sehen war.

Was ist davon zu halten?

Die Bilder, die sich auf eine der vier Traditionen berufen, haben vieles gemeinsam. Sie zeigen einen bärtigen Mann mit langem Haar. Vor allem das Turiner Tuch hat die Kunstgeschichte und das Bild, das wir uns noch heute vom Aussehen Jesu machen, geprägt. Ein Beweis für die Authentizität der „wahren Jesusbilder“ ist das freilich nicht. Denn die Geschichten über die Entstehung der Bilder stehen allesamt auf tönernen Füßen.

Die Abgar-Tradition ist die älteste in diesem Jesusbild-Quartett. Alt genug ist sie indes nicht: Schriftlich berichtet wurde von dem angeblichen Briefwechsel zwischen Jesus und König Abgar erstmals im Jahr 325. Als mündliche Erzählung kann die Geschichte älter sein. In die Zeit Jesu lässt sie sich aber seriös kaum datieren. „Der frühen Kirche ging es darum, ein Bild von Jesus festzulegen“, erklärt Dr. Jürgen Lenssen, Kunstreferent der Diözese Würzburg. Ein derart wichtiges Thema wollte man nicht der subjektiven Auffassung des jeweiligen Malers überlassen. Als frühestes Zeugnis dieser Bemühungen gilt die Jesus-Ikone von Edessa.

Das Schweißtuch der Veronika: Ist eine Legende. „Entstanden im 6. Jahrhundert und ohne biblischen Hintergrund“, so Lenssen. Der Name Veronika ist eine Zusammensetzung aus dem lateinischen „verus“ (wahr) und dem griechischen „eikon“ (Bild), bedeutet also „wahres Bild“.

Der Brief des angeblichen Jesus-Zeitgenossen Lentulus ist ebenfalls nicht authentisch. Er wurde Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahrhunderts, wahrscheinlich von einem Mönch geschrieben. Zudem gibt es mehrere Versionen der Lentulus-Geschichte.

Und das Turiner Grabtuch? Über dessen Echtheit streiten die Gelehrten. Per Radiocarbon-Methode wurde das Tuch im Jahr 1988 von drei unabhängigen Instituten ins Mittelalter datiert. Die Ergebnisse werden immer wieder angezweifelt. Die katholische Kirche bezeichnet das Tuch offiziell nicht als Reliquie, sondern als Ikone – also als Kunstprodukt. Jürgen Lenssen, Theologe und Historiker, spekuliert über die mittelalterliche Tradition der Flagellanten. Ganze Pilgerzüge sich selbst geißelnder Menschen zogen damals durch die Städte. Der gegeißelte Leichnam könnte womöglich Ausdruck dieses Phänomens sein. „Zudem haben die Templer damals mit Grabtüchern gehandelt – und auch mit Schweißtüchern.“ Es gab also jeweils mehr als ein Exemplar.

Das Mysterium

Jesus bleibt ein Mysterium: Er ist der meistdargestellte Mann der westlichen Kunstgeschichte – obwohl niemand weiß, wie er ausgesehen hat. Auch, wenn es sich durchgesetzt hat, kann das Bild eines Bärtigen mit langem, dunklem Haar eine Fiktion sein. In den Katakomben von Rom gibt es Malereien aus dem vierten Jahrhundert, die Jesus bartlos zeigen, mit kurzem, lockigem Haar und in römischer Kleidung. Sie gehören zu den ältesten Bildern des christlichen Gottessohns. Realistisch sind sie deswegen noch lange nicht. Sie zeigen aber, dass sich der Mensch Jesus nach seinem Bild formt und dass auch der Zeitgeschmack eine Rolle spielen kann.

Ausstellung im Würzburger Museum am Dom

Menschenbilder aus fünf Jahrhunderten sind in der aktuellen Ausstellung des Würzburger Museums am Dom zu sehen. „angesichts – Bilder von Menschen“ – so der Titel der Schau – zeigt 137 Gemälde, Grafiken, Skulpturen und Fotografien vom Spätmittelalter bis in die Jetztzeit. Ältestes Stück ist eine um das Jahr 1500 entstandene Reliquienbüste. Die meisten Werke stammen aus dem Fundus der Diözese Würzburg, viele davon sind nun erstmals öffentlich zu sehen.

Ausgestellt sind unter anderem „wahre Abbilder“ Christi (darunter das Veronika-Schweißtuch und das Abgar-Bild, die auf dieser Seite gezeigt werden), Selbstporträts (etwa von Jehuda Bacon) oder Radierungen zu Prosper Mérimées „Carmen“ von Pablo Picasso.

Porträts vermittelten nicht immer nur ein Bild des dargestellten Menschen. Sie konnten – und können – Demonstration der Macht sein. So wurde beispielsweise Fürstbischof Georg Karl von Fechenbach (1749 bis 1808) mit allen Insignien seiner Herrschaft dargestellt – zwei Mitren und einem Herzogshut.

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10-18 Uhr. Die Sonderausstellung dauert bis zum 28. August. Das Museum direkt neben dem Kiliansdom beherbergt darüber hinaus auch eine sehenswerte Dauerausstellung.

Christusbild des Abgar (Süddeutschland 1700 bis1800)
Foto: Ralph Heringlehner / dpa | Christusbild des Abgar (Süddeutschland 1700 bis1800)
 
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