Sieben Männer und Frauen stehen vor ihren Trommeln. Sie dehnen und strecken sich, zählen leise bis acht – auf Japanisch. Ichi, ni, san, fremdklingende Wörter im Gemurmel. Durch das gemeinsame Zählen entsteht ein Rhythmus für die Übungen, die Michael Röthlein vorgibt: Arme recken, Handgelenke lockern, Beine dehnen.
All diese Übungen sind wichtig, denn gleich wird es sportlich zur Sache gehen. Die Männer und Frauen gehörenzur Gruppe „Todoroki Wadaiko“ und betreiben japanische Trommelkunst. Die Trommel, japanisch Taiko genannt, ist seit mehreren tausend Jahren in der japanischen Kultur zu finden. In vergleichsweise junger Zeit, in den 1950er Jahren, entstand der sogenannte „Kum-Daiko“-Stil: das Taiko Spielen in der Gruppe mit mehreren Trommeln.
Und in Würzburg wird es praktiziert – dank Michael Röthlein. Die asiatische Kultur beschäftigte ihn schon in seiner Jugend. Er machte unter anderem Karate und war großer Fan asiatischen Kampffilme. „In den Kampfszenen sind häufig auch Trommeln zu sehen. Das hat mich schon damals fasziniert“, erzählt Röthlein.
Durch eine Arbeitskollegin wurde der Großhandelskaufmann irgendwann auf eine Trommelgruppe aufmerksam, die auf ihrer Tournee in Nürnberg Station machte. Ein prägendes Erlebnis für ihn: „Mir sind die Tränen gekommen. Ich kann es wie Heimweh beschreiben. Ich wusste: Das muss ich unbedingt machen.“ Als Röthlein das erste Mal dann bei einem Workshops selbst Taiko spielte, lief es erst einmal nicht so gut: „Ich war nicht besonders geschickt. Ich glaube, ich hatte noch keinen Schüler, der sich so ungeschickt anstellte wie ich damals“, erzählt er und lacht.
Spaß machte es ihm trotzdem. Kurz nach dem Workshop organisierte er gemeinsam mit seinem Lehrer einen Kurs in Würzburg – und stieß auf Begeisterung. Da die Nachfrage hoch war, gründete Michael Röthlein 2008 seine eigene Gruppe. Die Trommeln finanzierte er durch Überstunden in seinem damaligen Job. Mittlerweile hat die Gruppe in Würzburg 35 Mitglieder und tritt regelmäßig auf: zum Beispiel beim Würzburger Stadtfest oder dem Kirschblütenfest auf dem Bürgerbräugelände. Unterstützt wird Röthlein von seiner Frau, einer Japanerin. Der Name der Gruppe, „Todoroki Wadaiko“, setzt sich aus der Bezeichnung für die Trommel und dem japanischen Wort für Donnerdröhnen zusammen. Das passt ganz gut zu den Würzburger Taiko-Spielern, findet der 40-jährige Leiter.
Denn wer der Gruppe beim Üben zu hört, der sollte vor allem an eines denken: Ohrenstöpsel. „Todoroki Wadaiko“ probt in den Kellerräumen der Posthalle. Draußen kann man von den Trommlern wenig hören – im Proberaum ist es dafür umso lauter. Sind alle Kursteilnehmer aufgewärmt, folgt das Eintrommeln, das etwa eine Stunde dauert.
Ganz vorne sitzt Andreas Decker schlägt auf eine kleinere Trommel und gibt den Takt vor. Die anderen Teilnehmer stehen hinter den Trommeln, gehen leicht in die Knie. Bei jedem Schlag verlagern sie ihr Gewicht von einem Bein auf das andere. Mal laut, mal leise schlagen sie auf die Trommel und strecken zwischen den Schlägen ihre Arme senkrecht nach oben. Michael Röthlein macht die Übungen vor. Er bestimmt das Tempo und zeigt an, in welcher Abfolge mit welchem Arm getrommelt wird.
Die Koordination der Arme, die unterschiedlichen Abfolgen, die Position der Beine und der Füße – es ist schwieriger, als es aussieht. „Für Anfänger ist die Koordination die erste Hürde“, sagt Röthlein. „Rechts und links zu unterscheiden, ist plötzlich sehr schwierig.“ Das Eintrommeln ist für die Gruppe wichtig. „Viele sagen, dass sie nach dem Eintrommeln den Alltag hinter der Tür gelassen haben“, serzählt Röthlein. „Es ist wie eine Befreiung“, sagt eine Teilnehmerin. Auch Andreas Decker sieht das so. Vor allem das Gemeinschaftsgefühl sei nach dem Eintrommeln gestärkt: „Es fühlt sich an, als hätten wir nur noch einen Herzschlag.“ Für manche Mitglieder sei das meditativ. Andere könnten alles rauslassen, wenn sie einen schlechten Tag gehabt hätten.
Decker ist bereits seit zehn Jahren dabei: „Irgendwann wird es immer einfacher. Man hat keine Angst mehr, Fehler zu machen.“. Oft falle das Trommeln den Teilnehmern leichter, die von der Musik oder dem Sport kommen. „Rhythmusgefühl hat aber jeder. Man muss nur den Biss haben, dranzubleiben“, sagt Decker. Er selbst entwickle durch das Taiko Spielen eine Gelassenheit, die er mit in den Alltag nehmen könne.
Inzwischen gibt Decker selbst Taiko-Kurse in Homburg am Main (Lkr. Main-Spessart) und trainiert dort eine Gruppe mit zehn Teilnehmern, die ebenfalls zu „Todoroki Wadaiko“ gehört. Neben einer weiteren Gruppe in Nürnberg ist das bereits der dritte Ableger der Würzburger Taiko-Spieler. Die Altersspanne der Mitglieder reicht von 14 bis 70 Jahren. Aufgrund der Lautstärke ist Taiko aber kein Hobby für jeden: „Menschen, die bereits im Beruf einer hohen Lautstärke ausgesetzt sind, suchen in der Freizeit oft das Gegenteil“, sagt Michael Röthlein. Vor allem solle man Freude am Bewegen haben. Andreas Decker sagt: „Es ist eine Mischung aus Tanzen und Trommeln für Grobmotoriker.“
Seit 2011 ist „Todoroki Wadaiko“ Teil der Waraku-kai Shou-Familie. Diese Taiko-Vereinigung wurde vom Japaner Noboru Tanaka gegründet. Von ihm stammen alle Kompositionen, die „Wadaiko Todoroki“ spielt. Für Michael Röthlein war es eine besondere Ehre, in die Familie aufgenommen zu werden. „Meister Tanaka hat mich und alle Mitglieder gefragt, ob wir seine Schüler sein wollen. Das war etwas Besonderes.“ Es gibt nur fünf Schulen in Deutschland, die Mitglied in dieser Vereinigung sind. Drei davon gehören zu „Todoroki Wadaiko“.
Mittlerweile waren die Japaner schon mehrfach in Deutschland - und die Würzburger Taiko-Spieler zu Gegenbesuchen in Japan, herzlich aufgenommen von Gastfamilien. Diese Gemeinschaft sei auch auf der Bühne zu spüren, findet Röthlein. Bei ihren Besuchen treten die alle Gruppen gemeinsam auf – aus Würzburg, Nürnberg, Homburg und Japan. „Das ist wie eine Familie.“ Nur die Verständigung ohne Trommeln ist manchmal schwierig: Meister Tanaka spricht kein Englisch. Doch zum Glück, sagt Röthlein, helfe ihm beim Schreiben der Mails seine Frau.
Statt das Zehnjährige feiert die Gruppe „Todoroki Wadaiko“ jetzt ihr elfjähriges Bestehen: Zum großen Konzert kommen nicht nur einige andere Taiko-Gruppen aus Deutschland – auch die Japaner haben sich angekündigt. Dafür hat die Gruppe hart geprobt.
Eines der Stücke geht Röthlein mit seinen Schülern gerade im Unterricht durch. Zuerst kniet die Gruppe hinter ihren Trommeln. Auf einen Befehl von Andreas Decker beginnt das Stück. Jetzt ist nicht nur die Koordination der Arme wichtig: Der ganze Körper wird benötigt. In tänzerischen Schritten bewegen sich die Spieler hinter der Trommel von links nach rechts. Mit überkreuzten Armen und in einer komplizierten Abfolge schlagen die Teilnehmer auf die Trommel. Unter den lauten Schlägen vibriert jetzt der ganze Raum.