
Als vergangenes Jahr der erste Anruf kam, war dem Karlstadter Kalligrafen Gosbert Stark dessen Tragweite nicht bewusst. "Ob ich mir vorstellen könne, einen altgriechischen Text im Stil des 13. Jahrhunderts zu schreiben, wurde ich gefragt", erzählt er. Dass auf ebendieses Stück Pergament anschließend Wolfgang Beltracchi, den die Presse "Jahrhundertfälscher" taufte, malen würde, stellte sich erst später heraus.
Gemeinsam mit Beltracchi ein Werk geschaffen zu haben, darauf ist Stark heute stolz. Der 72-Jährige ist Grafik-Designer (FH). Schriften gehörten für ihn immer dazu, aber vor etwa 20 Jahren hat er sich ganz darauf spezialisiert. Heute arbeitet er "nach Bedarf" und gibt Kurse in Kalligrafie.

Wolfgang Beltracchi war 2011 zu sechs Jahren Haft verurteilt worden, seine Frau Helene kam mit vier Jahren davon. Über Jahre hinweg hatte er Bilder im Stile berühmter Maler wie Max Ernst, Max Pechstein, Fernand Léger oder André Derain geschaffen – so wie diese sie hätten malen können, aber nie gemalt haben. Dann hat er sie unter deren Namen teuer verkauft.
Beltracchi kannte alle Tricks, um die Experten zu täuschen
Der Fälscher ging mit einigem Fachwissen vor. Er benutzte Farben, wie sie zur Zeit der jeweiligen Künstler gebräuchlich waren. Er bemalte alte, gebrauchte Leinwände. So wurden die Bilder jahrelang auch in Untersuchungen mit wissenschaftlichen Methoden nicht als Fälschungen entlarvt. Seine Frau kümmerte sich um die Vermarktung. In der Anklage am Kölner Landgericht war von fast 16 Millionen Euro die Rede, die der Verkauf der Bilder eingebracht hatte. Die Beltracchis hatten den Kunstmarkt im großen Stile vorgeführt. Noch heute hängen schätzungsweise 250 Bilder von Beltracchi mit den Signaturen berühmter Maler in Museen.
Die Fähigkeit Beltracchis, sich in den Stil verschiedener Künstler zu versetzen, haben die Münchner Zott Artspace GmbH beziehungsweise deren Geschäftsführender Gesellschafter Christian Zott für ihre Ausstellung "Kairos. Der richtige Moment" genutzt. Diese führt dem Betrachter 2000 Jahre Kunstgeschichte vor. In der Beschreibung heißt es: "Zeitgeschichtliche Ereignisse und kulturhistorisch bedeutsame Momente, die von den Meistern ihrer Epoche nie gemalt wurden, erhalten in ,Kairos. Der richtige Moment' ihre zweite Chance." Rund 25 Bilder von Beltracchi sind zu sehen, darunter auch das gemeinsam mit Gosbert Stark gestaltete Pergament.

Gosbert Stark hat den Text für ein Blatt in der Abteilung "Das antike Erbe" geschrieben. Um sich in den Stil hineinzufinden, studierte er intensiv die griechischen Schriften aus einem Buch des 13. Jahrhunderts. Das Werk ist einer illuminierten, also illustrierten Handschrift aus dem 14. Jahrhundert nachempfunden. Thema sind die Gelehrten von Byzanz. In dem griechischen Text schildert Anna Komnene, Tochter des Kaisers Alexius, das Byzanz des 12. Jahrhunderts. Sie berichtet über einen wenig toleranten Philosophen namens Johannes Italos.
Fehler wurden weggekratzt – wie damals im Mittelalter auch
Stark benutzte eine Vogelfeder, deren Kiel er mit heißem Quarzsand gehärtet hatte. Ansonsten wäre er unter der flüssigen Farbe weich geworden – wie Haare, wenn sie nass werden. Knapp eine Zeile schaffte der Kalligraf mit einem Mal Eintunken. Nicht ganz passend zum 14. Jahrhundert verwendete er Acrylfarbe, weil sie nicht verblasst und nicht verwischt. Dass beim Schreiben mit einer Vogelfeder gelegentlich mal etwas danebengeht, gehört dazu. Stark kratzte das mit einer Rasierklinge weg. "Die fanden das bei Zott gar nicht schlimm, eher im Gegenteil, schließlich kam das früher auch vor." Seine Schrift sei besser geworden als erwartet, bestätigte ihm schließlich der Auftraggeber.

Stark musste auf dem Pergament Flächen freilassen für die Illustrationen Beltracchis. Der malte etwa den vortragenden Italos und daneben einen Schüler, der zur Strafe am Bart gezogen wird. In einer anderen Szene liegt ein Schüler in einer Grube.
Die Ausstellung hatte beim Start vergangenes Jahr in Venedig von September bis Oktober rund 25 000 Besucher, von November bis Ende Januar in Hamburg waren es 7000. Bis 21. September war sie in Wien zu sehen. Dort traf Gosbert Stark dann auch mit Beltracchi zusammen. "Ein unwahrscheinlich lockerer Typ", erzählt er. Die beiden entdeckten auch Gemeinsamkeiten. So war Gosbert Starks Vater Maler, der von Wolfgang Beltracchi Kirchenmaler.
Die nächste Station der Ausstellung ist 10. November bis voraussichtlich Ende März in der neuen mSE-Kunsthalle in Unterammergau.