zurück
MÜNCHEN
Wie Achternbusch den Panzer der Gleichgültigkeit durchstößt
Herbert Achternbusch
Foto: dpa | Herbert Achternbusch
dpa
 |  aktualisiert: 26.11.2013 14:31 Uhr

Um Herbert Achternbusch ist es ruhig geworden. Als er 70 wurde, gab es in München noch eine große Filmretrospektive und in Passau eine Ausstellung seiner Gemälde. Zum 75. Geburtstag des Schriftstellers, Filmemachers, Schauspielers und Malers am 23. November findet in München nur eine Lesung aus seinen literarischen Werken statt. Stimmt also, was Achternbusch schon vor einigen Jahren selbstkritisch, aber auch ironisch anmerkte: „Meine Zeit ist vorbei. Meine Zeit hat es nie gegeben. Was ich mache, interessiert keinen mehr wirklich“.

Die Zeit des Provokateurs Achternbusch, der vor allem mit seinen Filmen die CSU, die Kirche und das Land Bayern beleidigte, ist tatsächlich vorbei. Aber ihre Qualität sollte Achternbuschs Werken eine Zukunft sichern, auch wenn sie zwischendurch einmal vergessen werden. Achternbusch und Rainer Werner Fassbinder sind die Hauptvertreter einer bayerischen Avantgarde der 60er bis 80er Jahre. Sie wurden schon damals, nicht zuletzt durch die Goethe-Institute, weit über Bayern und Deutschland hinaus bekannt. Als Maler ist Achternbusch jenseits aller Moden ein eigenständiger Künstler. Der 1938 geborene Münchner hat in den 60er Jahren Malerei in Nürnberg und München studiert. Expressiv geht er mit Farben um, mischt ausdrucksvoll Abstraktion und Gegenständlichkeit. Das Bild „Kosmos“ zum Beispiel aus dem Jahr 2008 bringt das auf den Punkt: Inmitten von grau-blau-schwarzen Farbflächen sitzt eine einsame Figur, die Arme wie Hilfe suchend ausstreckend – das Gemälde ist Tibet gewidmet.

Seine Filme drehte Achternbusch zwischen 1974 und 2002, der erste war „Das Andechser Gefühl“, der letzte „Das Klatschen der einen Hand“, meist Außenseiterproduktionen. Am bekanntesten war der Filmemacher Achternbusch in den 80er Jahren, vor allem durch den Skandal, den 1983 sein Film „Das Gespenst“ auslöste. Der damalige Bundesinnenminister, Friedrich Zimmermann (CSU), wollte die letzte Förderrate für den Film nicht auszahlen, weil er durch ihn „das religiöse Empfinden großer Teile der Bevölkerung“ verletzt sah. In dem Film steigt die von Achternbusch selbst gespielte Christusfigur vom Kreuz herab und zieht durch die Welt, ein erneuertes Christentum fordernd. Die juristischen Auseinandersetzungen, die der Filmemacher schließlich gewann, zogen sich bis 1992 hin. Achternbusch hat das Publikum verunsichert, aber auch begeistert – vor allem dadurch, dass er in seinen Werken nicht trennt zwischen Komik und Klamauk auf der einen und bitterem Ernst, Schmerz und Verzweiflung auf der anderen Seite.

Er vermischt auf eine politisch unkorrekte Art Witz und Tragik und kann damit nach Ansicht von Kritikern bei vielen den Panzer der Gleichgültigkeit durchstoßen. In „Hades“ (1994) zum Beispiel spielt Achternbusch den Besitzer eines bizarren Münchner Beerdigungsunternehmens, der als Junge aus einem polnischen Ghetto gerettet wurde. 50 Jahre später wird er in München von Neonazis erschlagen – Kasperltheater und Apokalypse in einem Film vereint.

In seinem Meisterwerk „Das letzte Loch“ (1981) hat Achternbusch den unglaublichen Einfall, die Hauptfigur Nil (für lateinisch nihil, nichts) für jeden der sechs Millionen ermordeter Juden ein Glas Schnaps trinken zu lassen. Aber auch dies hilft Nil nicht. Am Ende stürzt er sich in den Ätna. In seinem Abschiedsbrief schreibt er: „Ich begehe Selbstmord, denn als Selbstmörder gehöre ich zum Totenberg der Opfer. Zum Totenberg der selbstgerechten Deutschen will ich nicht gehören.“

Im Fragebogen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ bekannte sich Achternbusch einst zu Hölderlin als seinem Lieblingslyriker. Er verpasste ihm aber den Vornamen Karl, in Anspielung auf Karl Valentin, mit dessen bitterem Humor ihn viel verbindet. Herbert Achternbuschs gesamtes Werk gleicht einer Suche nach dem Sinn des Lebens, der Existenz – einer Suche, die eigentlich immer scheitert.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich
CSU
Christentum
Filmemacher
Friedrich Zimmermann
Herbert Achternbusch
Johann Wolfgang von Goethe
Karl Valentin
Kunstwerke
Literatur
Rainer Werner Fassbinder
Schauspieler
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen