Was einem zu Andersens Märchen „Die Schneekönigin“ alles einfallen könnte im Zeitalter von globaler Erderwärmung bei gleichzeitigem Wachstum sozialer Kälte! Doch davon werden sich die Macher des Weihnachtsmärchens am Staatstheater Meiningen nicht leiten lassen. Regisseur Lars Wernecke und sein Team wollen die Kinder ja nicht verschrecken.
Dass sich mit jedem Schritt, den die kleine Gerda Richtung Nordpol macht, um ihren Kay zu finden, die wichtigste moralische Botschaft fester in uns verankert, versteht sich: Freundschaft und Herzensgüte. Komponist Rudolf Hild legt zudem mit einem flotten Freundschaftslied Gerda immer wieder die Tugend in den Mund und uns Zuschauern einen Wurm ins Ohr.
Das vom Regisseur in Nuancen veränderte Märchen erfordert eine enorme Wandlungsfähigkeit der Schauspielerinnen und Schauspieler, die – ausgenommen Nora Hickler als Gerda – in die unterschiedlichsten Rollen schlüpfen müssen: Evelyn Fuchs, Christine Zart, Carla Witte, Renatus Scheibe, Yannick Fischer und Matthias Herold. Der, zum Beispiel, wandelt sich von der Großmutter zur Feuerlilie, von der Feuerlilie zur Krähe, von der Krähe zum Räuber, vom Räuber zur Finnin und schließlich wieder zur Großmutter.
Werneckes Interpretation des Stoffes lebt vom Wechsel dramatischer, poetischer und humorvoller Passagen, von einer inneren Spannung also, die von der äußeren Dramatik kongenial begleitet wird. Durch lebhaften Einsatz der Bühnentechnik und durch die, trotz Reduktion, märchenhaft sympathischen Bühnenbilder von Kerstin Jacobssen und farbenfrohe Gewänder von Anke Pradel-Schönknecht.
Welches Teufelchen wohl den Regisseur geritten hat?
Das Premierenpublikum – Kinder, Eltern, Großeltern – verfolgt Gerdas Reise aufmerksam. Dank seines unschuldigen und freundlichen Wesens verkraftet das Mädchen die unheimlichsten Begegnungen. Schließlich kommt es zum dramatischen Höhepunkt im Eispalast der Schneekönigin. Selbst die magischen Realisten unter den Zuschauern wissen plötzlich nicht mehr, welches Teufelchen den Regisseur geritten hat: Die ewige Dialektik zwischen Gut und Böse, die zum Leben gehört wie das Atmen, löst sich auf in einer süßlichen Verschmelzung der Welten. Die Schneekönigin konvertiert augenblicklich zum Guten! Hört man da nicht einen Aufschrei des Entsetzens aus Hans Christian Andersens Grab, wenn sich am Nordpol alle in den Armen liegen?
Warum wählt der Regisseur ein solches Ende? Als würde das ewig-eisige Böse durch eine freundliche Umarmung dahinschmelzen. Ohne die Macht des Guten zu verunglimpfen: Kinderfantasien sind realistischer als ihr Ruf. Sie verkraften eine freundliche Wahrhaftigkeit besser als das Vorgaukeln eines Eiapopeia-Friedens. Nicht zu vergessen: Nach dem Gesinnungswandel der Schneekönigin würden die Polkappen noch schneller schmelzen!
Vorstellungen bis zum 26. Dezember. Kartentel.: (03693) 451222. www.meininger-staatstheater.de