Gibt es eigentlich einen kunstästhetischen Unterschied zwischen Linken und CDU-Mitgliedern? Mögen Sozialdemokraten andere Farben als Grüne? Und was ist mit der FDP, deren Abgeordnete nach der letzten Wahl ihre Räume ausräumen mussten? Nach mehr als zwei Jahrzehnten als „Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages“, wie es auf seiner Visitenkarte steht, hat Andreas Kaernbach da eine klare Antwort: „Mitglieder von Parteien haben keine festgelegten Vorlieben“, sagt der Kunsthistoriker. „Vielmehr gibt es parteienübergreifend zwei Merkmale bei der Auswahl von Kunst: Viele Abgeordnete sehen in ihr einen Fluchtbereich, raus aus der täglichen Arbeit. Andere wiederum achten auf politische Themen, über die sie sich vielleicht mit Besuchern unterhalten können.“
Jeder der 631 Abgeordneten darf die Dienste von Andreas Kaernbach und seinem Team in Anspruch nehmen. Nach der letzten Bundestagswahl gab es viel Arbeit. „Alles hat sich umgruppiert, auch Abgeordnete, die bereits Mitglieder des Bundestags waren, bekamen neue Räume. Und viele von ihnen haben informell bei mir angefragt, mit welcher Kunst sie ausgestattet werden könnten“, erklärt Kaernbach. „Dann erarbeite ich Vorschläge und stelle der entsprechenden Person eine Auswahl vor.“ Eine andere Möglichkeit ist, Parlamentarier durch das hauseigene Depot zu führen, dort können sie sich etwas auswählen. Zur Zeit wird von Handwerkern viel gewerkelt, denn Bilder müssen ab- und andere aufgehängt werden, Skulpturen sind zu transportieren und müssen gut verpackt sein.
Andreas Kaernbach hat zugleich die Funktion eines Sekretärs des Kunstbeirats. Er berät die Kommission und empfiehlt Ankäufe, über die abgestimmt wird.
Die acht Mitglieder des Kunstbeirats des Deutschen Bundestags, partei-paritätisch besetzt und unter Leitung des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, bestimmen über Kunst-am-Bau-Konzepte im Berliner Parlamentsviertel und über die Auswahl von zeitgenössischen Künstlern und deren Kunstwerken bei den Ausstellungen im Kunst-RAUM des Deutschen Bundestags im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus an der Spree. Kaernbach ist beratend tätig bei der mindestens einmal pro Jahr stattfindenden Sitzung. Dort werden alle Felder des Hausrechts im Reichstag und den Gebäuden um ihn herum, in dem sich Abgeordnetenbüros befinden, durchgegangen. Es wird entschieden über die Aufstockung der Kunstsammlung des Deutschen Bundestags und Wettbewerbe, auch die Ausstattung der Artothek, deren Nutzung den Abgeordneten zusteht. Das Budget ist vier Millionen Euro.
Es war die Sozialdemokratin Annemarie Renger (1919-2008), die 1979 die Kunstkommission im Bundestag gründete. Die emsige Politikerin war von 1972 bis 1976 Präsidentin des Bundestages, von 1953 bis 1990 gehörte sie ununterbrochen dem höchsten deutschen politischen Gremium an. 1995 ging die Kunstkommission im neugegründeten Kunstbeirat auf.
Kaernbach, der einen Job hat, den es hierzulande nur einmal gibt, lobt Lammert und die anderen im Beirat. Er wünscht sich, dass dieses Niveau gehalten wird. Zwei Prozent der Bausumme von Parlamentsgebäuden werden in Kunstankäufe gesteckt. Gerhard Richter oder Sigmar Polke sind groß vertreten, auch Jenny Holzer, Bernhard Heisig und Joseph Beuys. Und alle Bilder und Skulpturen nur für Leute mit Hausausweis? Nein, widerspricht der Kurator. Anderthalb Millionen Besucher besichtigen im Jahr den Bundestag. „Den Gerhard Richter sehen hier so viele Menschen wie in keinem Museum“, sagt er. Teile aus der Kunstsammlung werden im Kunst-RAUM am Spreeufer ausgestellt, gratis für jeden Bürger. Zur Zeit wird der Raum erweitert, auch das Ausstellungsprogramm soll noch umfangreicher werden. Kunst für alle: Deshalb erhält der Kurator endlich auch ein Depot – das bisher extern war – im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus. Damit geht für Andreas Kaernbach ein Traum in Erfüllung.