Kampfhubschrauber im Tiefflug vor einer rot glühenden Sonne. Lautsprecher plärren gegen das Hämmern der Rotorblätter an: Wagners „Walkürenritt“ soll den Feind in Angst und Schrecken versetzen. Die Szene aus Francis Ford Coppolas Film „Apocalypse now“ ist legendär, und: Sie hat sich womöglich wirklich abgespielt. Zwar nicht in Vietnam Ende der 1960er Jahre, aber später. Die US-Armee soll die Klänge aus Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ 2003 bei Angriffen im Irak als Teil der psychologischen Kriegsführung eingesetzt haben.
Zwar klingt der „Walkürenritt“ – passend zu Wotans wilden Weibern – angriffslustig. Als Waffe im realen Krieg war die Musik aber nicht gedacht. Doch irgendwie schafft es die Menschheit (oder Teile davon), nahezu alles für Krieg, Folter und Gewalt zu missbrauchen. Sogar Musik.
In deutschen Konzentrationslagern wurde Musik eingesetzt, „um Insassen psychisch und physisch zu quälen“, erklärt Dr. Christoph Henzel. Der Professor der Würzburger Hochschule für Musik hält bei den Tagen der Neuen Musik (siehe Kasten) einen Vortrag zum Thema. Auch in Konzentrationslagern wurde Wagner gespielt, aber nicht nur. „Die haben die Menschen Volkslieder singen lassen, stundenlang draußen, in Eiseskälte – grausam“, sagt Henzel. Inhaftierte Sänger mussten Operettenschlager zum Besten geben. An sich sind Operetten die heiterste Form des Musiktheaters. Strauss, Lehár & Co. wollten mit ihren Melodien glücklich machen. Im „Dritten Reich“ wurde auch das pervertiert. Die Absicht des Komponisten spielt im Zweifelsfall keine Rolle. Beethovens 9. Sinfonie wurde auch bei den Nationalsozialisten gerne zu triumphalen Festen aufgeführt. Dirigiert von Wilhelm Furtwängler, feierte man mit ihr am 19. April 1942 Hitlers Geburtstag. „Freude schöner Götterfunke“ – mitten in jenem Krieg, den der „Führer“ angezettelt hatte. „Alle Menschen werden Brüder“ – während an den Fronten die Menschen starben. Das ist – aus heutiger Sicht – zynisch. Mit der verzerrten Nazi-Optik betrachtet, passte es aber schon.
„,Mensch‘ und ,Menschheit‘ wurden umdefiniert“, sagt Musikwissenschaftler Henzel. „Dann können sich die Vertreter einer angeblichen Herrenrasse angesprochen fühlen und das Stück zelebrieren.“
Gezielt fürs Militär
Beethoven und Schiller (von dem der Text stammt) hatten anderes im Sinn als Krieg, Diktatur und Völkermord. Die Begründung der Europäischen Gemeinschaft, die die Neunte zur Europahymne machte, trifft den Willen der beiden Geistesgrößen schon eher: Das Werk versinnbildliche Werte, die alle teilen, sowie die Einheit in der Vielfalt, heißt es in der Begründung.
Als Teil der Nazi-Ideologie wird die Neunte gegen ihre eigentliche Bedeutung gebürstet, ebenso wie Wagner-Musik, wenn sie Teil des Waffenarsenals wird. Doch es gibt auch Musik, die gezielt für den Gebrauch in Armeen bestimmt ist – und Armeen sind letztlich dazu da, um Kriege zu führen. „Musik stand auch immer im Dienst des Militärs“, so Christoph Henzel. Sein Beispiel: „Märsche sollten den Gleichschritt der Infanteristen koordinieren, zum Kampf motivieren und mobilisieren.“
Die Zeit der gleichschreitenden Bataillone ist längst vorbei. Heute dröhnt's anders. „Panzerfahrer im Irak haben sich mit Heavy Metal gepusht“, weiß Henzel. Das Prinzip ist das gleiche wie beim Marsch: Dumpf gleichförmige, harte Rhythmen treiben an – und helfen, das Denken abzuschalten. So kämpft sich's leichter. Und womöglich ist Krieg für Soldaten anders gar nicht zu ertragen.
Händel und Haydn
Doch selbst Musik, die nicht direkt kriegerisch ist, ist nicht zwangsweise friedliebend. Das zeigt etwa Georg Friedrich Händels „Utrechter Te Deum“. „Da wird ganz klar nur der Sieger gefeiert“, sagt Christoph Henzel. Die anderen Seiten des Krieges – Gewalt, Sterben, Grausamkeiten, Elend – würden erst gar nicht in den Blick genommen. Dass es auch anders geht, beweist nur eine Generation später Joseph Haydn: „In seiner ,Missa in tempore belli‘ wird implizit die Furcht vor Krieg hörbar“, sagt der Würzburger Musikwissenschaftler.
Christoph Henzels Resümee: „Musik kann als böse Macht in Erscheinung treten, die Herrschaft demonstriert, zur Aggression antreibt. Sie kann aber auch trösten und erheben; sie kann auf einmalige Weise der Sehnsucht nach Frieden und Harmonie Ausdruck verleihen. Es sind Menschen, die Musik machen und gebrauchen. Wozu, liegt ganz bei ihnen.“
Tage der Neuen Musik
„zuFrieden“ heißt das Motto der Würzburger Tage der Neuen Musik. Vom 7. bis zum 10. Mai dreht sich in Konzerten und Vorträgen alles um das Verhältnis von Musik zu Krieg und Frieden. Anlass ist der Jahrestag des Kriegsendes vor 70 Jahren. Zu hören sind unter anderem Kompositionen von Helmut Lachenmann und András Hamary.
Das Programm der „Tage der Neuen Musik“ findet sich auf der Homepage der Hochschule für Musik: www.hfm-wuerzburg.de