Am Ende hätte man gerne gewusst, wie die Kritiker nun die Interpretation des Schumann Quartetts fanden. 90 Minuten lang war es zuvor mit vielen Hörbeispielen darum gegangen, wie diverse berühmte, altbekannte und junge Ensembles Mozarts Streichquartett Nr. 22 B-Dur, das „zweite Preußische“ auslegten. Und als es dann endlich live und wirklich gespielt wurde, am Sonntagabend in der Residenz, da war auch das Quartett der Kritiker nur noch Publikum, hörte und applaudierte ohne weiter zu kommentieren.
Wie unterschiedlich Urteile ausfallen, wie gegensätzlich Höreindrücke und wie verschieden Geschmäcker sein können, hatten Eleonore Büning von der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, Hans-Klaus Jungheinrich von der „Frankfurter Rundschau“, Elisabeth Richter vom NDR und Thomas Rübenäcker vom SWR demonstriert. Die vier Musikwissenschaftler, Kritiker, Autoren und Journalisten gehören dem Preis der deutschen Schallplattenkritik an. Einem unabhängigen Zusammenschluss von derzeit 157 Musikkritikern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die Quartal für Quartal das Angebot neuer Tonträger in 32 Sparten, von der Sinfonik über Oper, Hörbuch, Kabarett, Jazz bis zu Pop prüfen und Bestenlisten erstellen.
Eine muntere Angelegenheit
Nach Würzburg zum Mozartlabor des Mozartfests war das Quartett gekommen, um Aufnahmen des B-Dur-Streichquartetts Nr. 22, so Eleonore Büning, „auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen“. Eine muntere Angelegenheit, obgleich die Musik nur aus dem Computer kam. Aber die vier Kritiker wussten launig und streitbar zu kommentieren. Das Larghetto des Lotus-Quartetts in der Aufnahme von 1997 beispielsweise, die Hans-Klaus Jungheinrich mitgebracht hatte, fand Thomas Rübenacker, selbst Cellist, nur „wischiwaschi“. Und zur Version des Quatuor Mosaiques, das die historische Aufführungspraxis pflegt, konnte Eleonore Büning nur sagen: „Die hatten Probleme, leider auch intonatorisch.“
In der Aufnahme des Quartetto Italiano aus den 1970er Jahren fand Elisabeth Richter den zweiten Satz „wunderbar ausgespielt“. Während Juror Jungheinrich das ganze „fast ausgewalzt“ und „zu schön“ klang. Die junge Aufnahme des Anima-Quartetts von 2014 wusste indes keinem so recht zu gefallen. Die Urteile reichten von „eine Spur zu schnell“ und „beiläufig“ (Büning) über „eine Art Bettler-Serenade, wirkt lästig und arm“ (Jungheinrich) bis zu „große Purheit, gibt es das Wort Purheit?“ (Rübenacker).
Der Reiz des Ensembles
Inzwischen jedenfalls wurde der Reiz des klassischen Streichensembles deutlich – und warum Goethe einst das Streichquartett „ein Gespräch unter vier vernünftigen Leuten“ nannte. Mozart lässt die vier Instrumente wunderbar gleichberechtigt dialogisieren. Und die bemerkenswerte Partie des Cellos? „Fake-Schwierigkeiten“, sagt Rübenacker, „die tut so, als sei sie furchtbar schwer, ist es aber nicht“. Der preußische König Wilhelm, dem Mozart das Quartett schrieb, hatte selbst Cello gespielt und nach interessanten, gehaltvollen Cellostimmen verlangt . . .
Bemerkenswert jedenfalls, wie vielfältig die Streichquartett-Szene inzwischen ist – zehn Jahre nach dem Ende des weltbekannten Wiener Alban-Berg-Quartetts. Und besonders begeisterte die Aufnahme, die Thomas Rübenacker von seinem Lieblingsensemble, dem Dover-Quartett, mitgebracht hatte: jung, frisch, modern, mit viel Gefühl und ganz anders als das Alban-Berg-Quartett.
Und dann, nach vielem Schnipsel-Hören und Diskutieren, gab es endlich nur noch Mozarts wunderbare Musik, live und am Stück. Das Schumann Quartett, die diesjährigen Artistes étoiles, spielten das „Zweite Preußische“ extrem temperamentvoll, packend, intensiv. Waren einige der gehörten Interpretationen noch lässig, verträumt oder sehr langsam gewesen, spielten die vier jungen Streicher mit fast zu großer Wucht. Druckvoll und übersatt statt tänzerisch im Menuetto, zackig und mit beeindruckenden Crescendi insgesamt.
Für den schmalen Fürstensaal fast zu viel. Man hätte die vier Musiker gerne im Kaisersaal spielen hören um dem reichen Klang mehr Raum zu lassen. Und wie?s die Kritiker fanden? Diese Frage blieb unbeantwortet, vielleicht im Sinne des diesjährigen Festivalthemas Aufklärung. Soll sich jeder Zuhörer seines eigenen Hörverstandes bedienen – und selbst urteilen. Nach seinem Geschmack.