Lampenfieber kann zu Höchstleisungen anstacheln, Bühnenangst jedoch kann einem Musiker das Leben zur Hölle machen. Die Ärztin Maria Schuppert ist Professorin an der Musikhochschule Würzburg für „Musik & Medizin“. Sie hilft nicht nur bei verspanntem Nacken oder entzündeten Stimmbändern, sondern steht auch bei der Bewältigung von Ängsten bei – mit psychologischen Ansätzen und praktischen Übungen. Ein Workshop im September steht auch Außenstehenden offen.
Maria Schuppert: Ja, man kann sehr viel machen. Das Problem: Es gibt keine standardisierte Herangehensweise. Auftrittsangst ist in der Entstehung wie in der Ausprägung vollkommen individuell, und deshalb muss man mit jeder Person einen eigenen Weg finden.
Schuppert: Auftrittsangst ist eigentlich eine klassische Stressreaktion, die ist in uns allen verankert. Sie spielt sich auf drei Ebenen ab, der psychologischen, der körperlichen und auf der Verhaltensebene. Auf der bewussten Ebene gibt es Befürchtungen wie „Dieser Lauf geht bestimmt daneben!“ Auf der emotionalen Ebene ist das häufig mit einem ausgeprägten Schamgefühl verbunden. Und dann kommt die körperliche Ebene – die stört die Musiker am meisten, weil sie unmittelbar hineinfunkt in ihre Fertigkeiten: kalte Hände, nasse Hände, Bogenzittern, zittrige Lippen, ungleichmäßiges Vibrato, weil das Zwerchfell angespannt ist. Das sind Reaktionen des vegetativen Nervensystems, die durch die Stresshormone getriggert sind. Das alles kann – auf der Verhaltensebene – sogar dazu führen, dass man solche Situationen möglichst vermeidet. Dass man Abschlussprüfungen immer wieder verschiebt.
Schuppert: Die waren ja ursprünglich mal gut und wichtig, weil sie uns vor Gefahren schützen sollten. Wenn wir am Höhleneingang standen, und da war plötzlich der Höhlenbär, dann hieß es kämpfen oder fliehen: fight or flight, so ein Begriff, den der amerikanische Physiologe Walter Cannon geprägt hat. Es wurde alles mobilisiert, was in so einer Situation gebraucht wurde, und alles andere wurde runtergefahren. Der schnelle Herzschlag, die angespannte Muskulatur, damit wir schnell wegspringen konnten – das sind natürliche und eigentlich sinnvolle Reaktionen, aber für den Musiker auf der Bühne selbstverständlich vollkommen unangemessen.
Schuppert: Ich fange immer damit an, dass ich erkläre, was da abläuft. Denn wenn man das nicht verstanden hat, ist es für den Betroffenen schwer, eigene Lösungsansätze zu finden oder den Weg nachzuvollziehen, den ich vorschlage. Wir können auf allen Ebenen ansetzen und damit Sachlichkeit schaffen, das ist sehr wichtig. Man arbeitet viel mit mentalen Strategien. Dass man um Himmels willen nicht sagt, „hoffentlich zittert mein Bogen nicht wieder so“. Denn dann bekommt unser Gehirn die Informationen „Bogen“ und „Zittern“ und wird genau das tun.
Schuppert: Ja, es kann sogar eine Konditionierung sein. Man kann sich konkret erinnern an Situationen, die nicht so gut gelaufen sind. Die Ausschüttung der Stresshormone und die Kaskade der Reaktionen beginnt schon, wenn wir uns eine solche Situation nur vorstellen. Das heißt, wenn wir auf die Bühne gehen mit dem Gedanken an das letzte Probespiel, wo dies und das geschehen ist, dann ist die Gefahr sehr groß, dass das wieder getriggert wird. Wir vermitteln deshalb viele positive Imaginationsübungen, stärkende Gedanken, die unmittelbar vor dem Gang auf die Bühne noch einmal abgerufen werden sollten: „Ich kann es, ich schaffe es.“ Wie im Leistungssport.
Schuppert: Wir sind ja vollgepumpt mit Flucht- oder Kampfenergie. Die kann aber auf der Bühne nicht raus, oder sie kommt dann eben über den Körper in Form störender Reaktionen wie etwa Bogenzittern heraus. Also müssen wir diese Energie vorher loswerden. Ich habe Studierende, die rennen dreimal die Treppen rauf und runter vor dem Auftritt.
Schuppert: Es gibt Übungen, die man auch noch kurz vor dem Rausgehen machen kann. Etwa ausladende Körperbewegungen, um die Energie loszuwerden. Oder Ansätze aus der progressiven Muskelanspannung, auch wenn man das Verfahren nicht gelernt hat: Einige Male nacheinander alles möglichst stark anspannen, dann loslassen. Es gibt Atemübungen. Angewandt auf Musiker geht das im langsamen Dreivierteltakt so: Man atmet einen Takt durch die Nase ein, dann atmet man durch den Mund zwei Takte aus, eventuell mit einem leichte „pfff“ gegen die Lippen, und auf dem vierten Takt macht man gar nichts. Wenn man das auch nur eine Minute gemacht hat, wird das selbst gesetzte Metrum interessanterweise schon langsamer, ebenso wie der Herzschlag. Das ganze vegetative Nervensystem fährt runter. Für den besten Effekt sollte man zehn Minuten in dieser Form atmen. Je häufiger man diese Übungen macht, desto besser sind sie abrufbar. Zu den langfristigen Strategien gehört das Erlernen von Entspannungstechniken, dazu gehören auch Sport und eine gute Körperwahrnehmung etwa über Feldenkrais oder Alexandertechnik.
Schuppert: Wenn wir merken, der Körper gehorcht uns jetzt besser, der Bogen zittert nicht mehr, dann werden wir auch mental ruhiger. Und umgekehrt: Wenn wir es schaffen, nicht mehr diese Katastrophenbefürchtungen zu haben, dann läuft der Körper nicht mehr so aus dem Ruder. Es ist immer eine Art Teufelskreis, den wir durchbrechen müssen.
Schuppert: Man muss bedenken – die Musiker fangen meist im Grundschulalter an zu musizieren und stellen sich von da an immer Leistungserwartungen. Und machen sich angreifbar – hinterher werden sie mehr oder weniger psychologisch geschickt von ihren Lehrern, Dozenten, von der Familie und vom Publikum beurteilt. Da ist einfach auch die Angst, sich zu blamieren und zu versagen. Gerade Musiker, die aus anderen Kulturkreisen zu uns kommen und nochmal mehr über die Musik sozialisiert sind, denen fehlen manchmal andere Fertigkeiten, über die sie sich profilieren könnten. Da hängt dann alles an der Musik. Das ist zum Teil existenziell.
Schuppert: Genau – das erleben wir öfter. Es geht aber in manchen Kulturkreisen auch um gesellschaftliches Ansehen, wenn Familienmitglieder die in sie gesetzten Hoffnungen und Erwartungen nicht erfüllen.
Schuppert: Wir versuchen, diesen Perfektionismus, der ja ein Stück weit notwendig ist, zu relativieren. Er darf nicht umschlagen in einen dysfunktionalen Perfektionismus. Klassisches Beispiel: Martha Argerich, die sich schon als Kind gesagt hat, wenn ich eine falsche Note spiele, sterbe ich. Man muss das immer wieder geraderücken, und dabei brauche ich natürlich die Unterstützung der Pädagoginnen und Pädagogen hier. Fehler sind erlaubt. Es geht ja nicht darum, eine Konserve abzuliefern, wie eine CD, die 150 Mal geschnitten ist. Keiner erwartet fehlerfreies Spiel, aber jeder erwartet authentisches, lebendiges, schönes Musizieren.
Schuppert: Wir machen etwa Video-Feedback. Das ist extrem hilfreich. Da biete ich an, dass nur ich dabeisitze mit der Kamera ganz still in der Ecke. Oder ich verleihe die Kamera. Hinterher schauen wir uns das gemeinsam an – wie jemand auf die Bühne geht, eventuell eine Jury begrüßt und dann eben spielt. Der Effekt ist zu über 90 Prozent, dass die jungen Musiker sagen, war doch gar nicht so schlecht.
Schuppert: Absolut. Das Gemeine ist ja, dass der Druck auch von uns kommt, vom Publikum. Wir kennen ja alle die perfekten CDs. Aber das ist eben etwas ganz anderes. Es gibt Kollegen, die sagen, wir müssen uns für eine Humanisierung des professionellen Musizierens einsetzen. Da ist schon was dran.
Schuppert: Ja – wir haben einen Überschuss an unglaublich gut ausgebildeten jungen Musikern. Es werden immer mehr, wir bilden sie immer besser aus, während der Markt immer weniger Festanstellungen hergibt. Die Studierenden-Zahlen gehen hoch, die Stellen in den Orchestern runter. Und im pädagogischen Bereich gilt dasselbe. Der Druck ist definitiv immer größer geworden, und er steigt weiter.
Schuppert: Themen wie Stressbewältigung oder Bühnenpräsenz-Training gehören längst zur Ausbildung dazu. Außerdem vermitteln die Hochschulen den Studierenden eine noch breitere Ausbildung mit Mehrfachqualifikationen. Auch oft über das rein Künstlerische hinaus. Zum Beispiel ist Musikmanagement heute an den Hochschulen ein wichtiges Unterrichtsfach. So sind sie auch als freischaffende Musiker gut aufgestellt.
Schuppert: Ich gebe da im Allgemeinen keinen offiziellen Rat, das steht mir nicht zu. Aber die Studierenden kommen zum Teil selbst an diesen Punkt. In der geschützten Atmosphäre der Einzelsprechstunde kommen solche Themen natürlich ab und zu auf den Tisch. Da denke ich dann schon manchmal, okay, die beiden passen einfach nicht zueinander. Es gibt ja nicht den katastrophalen Dozenten, aber es gibt eine eventuell katastrophale Kommunikationssituation, dann trifft das, was der Lehrer sagt, beim Studierenden vielleicht einen wunden Punkt nach dem anderen. Ich weise dann darauf hin, dass das vielleicht seitens der Studierenden eine Überinterpretation ist. Es wird ja nie die ganze Person infrage gestellt.
Zur Person
Maria Schuppert hat Medizin in Würzburg, Hannover und San Francisco studiert. Sie ist selbst Bratschistin. Seit 1993 befasst sie sich mit Prävention, Diagnostik und Therapie musikerspezifischer Belastungen und Erkrankungen. Sie ist Gründerin und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin. Seit 2014 leitet sie als Professorin den Bereich „Musik & Gesundheit“ an der Hochschule für Musik (HfM) Würzburg.
Der Workshop „Vom Lampenfieber zur Auftrittsangst und zurück!“, 23. September, 10 bis 16.30 Uhr, an der Musikhochschule vermittelt Hintergründe und Strategien für Auftrittssicherheit und Stressmanagement. Ein Angebot der Professional School der HfM, die für berufsbegleitende Weiterbildung zuständig ist. Anmeldung bis 23. August, weitere Informationen unter www.hfm-wuerzburg.de maw