zurück
Interview
Weltklasse-Geigerin Anne-Sophie Mutter über dominante Männer
Erstaunliche Einsichten: Weltklasse-Geigerin Anne-Sophie Mutter über Kinder und dominante Männer
Anne-Sophie Mutter: „Um ein Solist zu sein, muss man natürlich eine starke Persönlichkeit haben.“ Unten die Geigerin 1978 mit Herbert von Karajan, ihrem großen Mentor.
Foto: Deutsche Grammophon, Culture Images | Anne-Sophie Mutter: „Um ein Solist zu sein, muss man natürlich eine starke Persönlichkeit haben.“ Unten die Geigerin 1978 mit Herbert von Karajan, ihrem großen Mentor.
Das Gespräch führte Christoph Forsthoff
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:30 Uhr

Seit 35 Jahren steht Anne-Sophie Mutter auf der Bühne: Hoch konzentriert scheint die berühmte Geigerin dort stets der Ernst in Person, verzieht kaum eine Miene. Im Gespräch hingegen lacht und lächelt sie gerne und kokettiert mit charmantem Understatement. Am 29. Juni wird die im badischen Rheinfelden geborene Musikerin, die einst von Herbert von Karajan entdeckt wurde, 50 Jahre alt. Mutter war von 1989 bis zu dessen Tod 1995 mit dem Rechtsanwalt Detlef Wunderlich und von 2002 bis 2006 mit dem Komponisten André Previn verheiratet.

Frage: Auf der Bühne scheinen Sie immer nach größtmöglicher Perfektion zu streben – sind Sie als Mutter auch so perfekt?

Anne-Sophie Mutter: Als Mensch bin ich sicher weit von Perfektion entfernt – it’s learning by doing. Selbst wenn man das Glück hätte, spät im Leben noch einmal Kinder zu haben, würde man wieder von vorne anfangen, denn es gibt kein Rezept: Jeder Mensch fordert einen anders, jeder Mensch benötigt einen anderen Teil einer Mutter oder eines Vaters. Selbst mit Erfahrung, die ich inzwischen in der Kindererziehung gesammelt habe, würde ich nicht behaupten, ein Rezept zu haben, würde ich noch ein drittes Kind bekommen.

Sie meinen, Sie würden wieder von vorne anfangen . . .

Mutter: . . . ja – und ich würde ganz sicher wieder Fehler machen, die ich zutiefst bedauern würde, die aber unvermeidbar sind. Und ein junger Mensch muss sich auch mit Frustrationen und dem Gefühl des Unverstandenseins auseinandersetzen, denn auch das Leben später hat wenig zu tun mit ewiger Harmonie und dem perfekten Kokon: Dafür sind wir nicht geschaffen.

Was würden Sie heute anders machen in der Erziehung Ihrer Kinder?

Mutter: Ganz wichtig ist, nichts persönlich zu nehmen – übrigens auch zwischen Erwachsenen: Man darf die Dinge im Moment der Auseinandersetzung nicht persönlich nehmen, weil man dann die Sachlichkeit verliert. Andererseits ist es manchmal auch wichtig, Dinge persönlich zu nehmen, seine Gefühle und auch seine Verletztheit zu zeigen . . . aber wir wollen hier ja keine Eltern-Kind-Therapie beginnen.

Viele berufstätige Eltern haben ein schlechtes Gewissen, nicht genug Zeit für ihre Kinder zu haben. Hätten Sie sich rückblickend manchmal mehr Zeit für Ihre Kinder gewünscht?

Mutter: In einem idealen Leben hätte ich mir natürlich auch ein Leben gewünscht, das ich nicht 15 Jahre als Witwe verbringe. Es ist irrelevant zurückzublicken und Dinge verändern zu wollen: Ich versuche, das Beste aus dem Moment zu machen und aus der Vergangenheit zu lernen.

Ohne schlechtes Gewissen?

Mutter: Ich glaube, wir alle haben ein schlechtes Gewissen: Das gehört einfach zu dem Verantwortungsbewusstsein, das man als Eltern in sich trägt – man hätte immer noch mehr machen können. Doch mein Bestes zu geben ist am Ende alles, was ich tun kann.

Zweifellos auch auf der Bühne: In der Regel nimmt der Konzertbesucher den Dirigenten dort als die beherrschende Persönlichkeit wahr. Bei Ihnen hat man hingegen immer das Gefühl, dass Sie auf dem Podium dominieren.

Mutter: Dass in einem Solokonzert der Solist mehr in Erinnerung bleibt als der Dirigent, ist bedauerlich, aber auch nicht so ungewöhnlich. Bliebe allerdings der Dirigent nach seiner großen Sinfonie nicht in Erinnerung, wäre das natürlich fatal.

Noch einmal ganz direkt nachgehakt: Ordnen Sie selbst sich vielleicht auch nicht so gern unter?

Mutter (lacht): Hmm, grübel . . . um ein Solist zu sein, muss man natürlich eine starke Persönlichkeit haben. Trotzdem gehe ich davon aus, dass eine musikalische Partnerschaft nur miteinander funktioniert. Zumal das ja in den meisten Fällen Partnerschaften sind, die über Jahre und Jahrzehnte halten – und die sind nur deshalb so produktiv und für beide Seiten positiv und inspirierend, weil beide sich voll einbringen können. Weder dominiert da der eine, noch folgt der andere blind: Das ist tatsächlich ein Zusammenspiel – natürlich unterschiedlicher Gewichtung, je nachdem, welcher Dirigent neben mir steht.

Welche Typen von Dirigenten gibt es da?

Mutter: Nicht jeder Dirigent hat in den Tutti-Passagen glänzende Ideen, zudem gibt es auch eher stille Dirigenten, die dem Orchester und dessen Erfahrung sehr viel überlassen; dann gibt es aber auch wieder die Tüftler – und mit beiden arbeite ich. Habe ich die Wahl, ziehe ich allerdings schon diejenigen vor, die eine sehr starke eigene Meinung haben, weil ich es unglaublich spannend finde, gerade ein vertrautes Werk wie etwa das Brahms-Violinkonzert in der ersten Tutti-Probe neu zu erleben. Das sind meine Highlights, wenn jemand neben mir steht, der seinen Part auf den Kopf stellen kann, gleichzeitig aber auch sehr gut zuhört und mich unterstützt, wo ich ihn brauche.

Sie lassen sich also durchaus auch führen?

Mutter (lacht): Man kann wirklich nicht sagen, der Dirigent führt immer oder der Solist hat immer recht – das ist absoluter Schwachsinn und je nach Stück unterschiedlich gewichtet. Auf jeden Fall ist es wie in einer Freundschaft immer spannender, ein Gegenüber zu haben, das etwas mit einbringt. Ich möchte ja nicht nur in Konservendosen hineinsprechen oder nur ein Echo haben, sondern ich möchte auch angeregt und herausgefordert werden und ständig lernen. Das ist auch der Grund, warum mich immer diese Generation von Musikern fasziniert hat, die so viel mehr Erfahrung hat als ich: Ich finde es einfach spannender, mit jemandem zusammen zu sein, der viel weiß und viel kann – die Herausforderung ist mir lieber als das bequeme Durchwurschteln (lacht).

Tun sich männliche Dirigenten da womöglich schwerer neben einer selbstbewussten, profilierten Frau?

Mutter: Da es leider fast keine Frauen gibt, die dirigieren, haben die Männer überhaupt keine Wahl – Pech gehabt (lacht). Nein, zum Glück gibt es in der Musik diese blöde Rollenverteilung nicht, da ist es wurscht, wie alt man ist, und das Geschlecht spielt auch keine Rolle.

Sie haben also mit dominanten Männern . . .

Mutter: . . . überhaupt keine Probleme, nein.

Nun haben Sie ja schon als Kind davon geträumt, Musikerin zu werden – haben sich die Vorstellungen erfüllt, die Sie damals vom Leben als Musikerin hatten?

Mutter: Ich hatte keine bestimmten Vorstellungen, auch wenn es natürlich Plätze gab wie die Carnegie Hall, an denen ich unbedingt mal konzertieren wollte. Allerdings erinnere ich mich, dass ich mir brennend gewünscht habe: Wenn ich 40 bin – damals dachte ich natürlich, mit 40 sei ich uralt . . . jetzt bin ich über 40 und finde überhaupt nicht, dass ich uralt bin (lacht) . . .

. . . da stimme ich Ihnen natürlich zu.

Mutter: Also, das einzige Ziel, das ich wirklich ganz fest vor Augen hatte, war, mit der Musik die Welt verändern zu wollen – und in einer etwas bescheideneren Form habe ich mir diesen Gedanken bewahrt. Denn ich bin der Meinung, dass man bei einigen sozialen Dingen, auf die man immer wieder hinweist und für die man sich persönlich mit Zeit und auch mit eigenen finanziellen Mitteln engagiert, dass man da sehr wohl etwas bewegen und damit auch etwas Sinnvolles in seinem Leben anstellen kann. Schließlich geht es ja nicht allein darum, noch schöner, noch schneller und noch sauberer zu spielen: Das kann nicht der Sinn und Zweck des Lebens sein, das wäre zu egozentrisch und egoistisch.

Können Sie eigentlich mit Pop-Musik etwas anfangen?

Mutter: Ich bin mit der Musik der 70er und 80er Jahre groß geworden und fühle mich da total zu Hause. So bin ich ein großer Michael-Jackson-Fan, mag aber auch einiges, was etwa Pink oder Beyoncé machen: Das kommt ganz auf die einzelnen Songs und auch sehr auf die Texte an. Denn ich rezipiere ein Lied sehr über den Text – und das ist in den meisten Fällen mein großes Problem mit der Popmusik.

Pink und Beyoncé gehören ja nun nicht zur Musik der 70er und 80er Jahre – Sie sind also auch durchaus offen für die Musik Ihrer Kinder?

Mutter: Ja, natürlich! Wenn man Kinder hat, wird man sowieso täglich in den Grundfesten erschüttert und infrage gestellt (lacht) – das ist nicht immer ganz einfach und angenehm, aber es ist ein sehr interessanter Prozess, dem ich mich gerne aussetze. Ich kann zwar nicht sagen, dass ich alles toll finde, was meine Kinder gerne hören, aber vieles ist sehr spannend. Und da ich ein leidenschaftlicher Sportler bin, stellt mir Arabella immer sehr flotte Bänder für meinen MP3-Player zusammen, bei denen ich natürlich besser trainieren kann als bei einer Mozart-Sinfonie . . .

Und welchen Sportarten gehen Sie dann nach?

Mutter: Zum einen jogge ich, und dann mache ich so ziemlich alles, was in einem Fitnessstudio herumsteht – abgesehen von Gewichten: Erstens will ich keine Muskeln, und zweitens wäre das auch für die Feinmotorik meiner Hände nicht sehr gut.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
André Previn
Beyoncé Giselle Knowles
Dirigenten
Geigerinnen
Herbert von Karajan
Johannes Brahms
Michael Jackson
Sinfonien
Theater
Wolfgang Amadeus Mozart
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen