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WÜRZBURG
Was Tierfilme über Menschen erzählen
Was machen die Beine eines Rennpferdes im Galopp? Diese Frage stand am Anfang des (Tier-)Films. Das Filmfest in Würzburg widmet sich auch diesem Genre.
Ein absoluter Tierfilm-Klassiker: Szene aus James Algars Streifen „Die Wüste lebt“ von 1954.
Foto: Disney/Cinetext | Ein absoluter Tierfilm-Klassiker: Szene aus James Algars Streifen „Die Wüste lebt“ von 1954.
Das Gespräch führte Alice NAtter
 |  aktualisiert: 25.03.2012 18:49 Uhr

Wer weiß heute schon, dass vor über 120 Jahren ein Pferd den Bildern Beine machte? Der Biologe und Philosoph Cord Riechelmann hat für das 38. Würzburger Filmwochenende eine kleine Reihe sehr alter und ganz klassischer Tierfilme zusammengestellt.

Frage: Erzählen Tierfilme von Tieren – oder verraten sie nicht mehr über uns Menschen?

Cord Riechelmann: Beides. Wenn man eine Kamera auf ein Tier hält, erzählt das natürlich erst einmal von dem Tier. Gleichzeitig erzählt es von dem, der die Kamera hält. Weil er nicht alles filmen wird, sondern immer nur einen bestimmten Ausschnitt – und das sagt natürlich auch etwas über den Menschen aus. Ein Punkt ist sicherlich die Bemerkung von Elias Canetti: „Wenn man ein Tier lange genug anschaut, sieht man den Menschen darin.“ Das ist eine Sichtweise, von der ich befürchte, dass sie weit verbreitet ist. Schaut sich jemand Tiere an, ist der Anteil dessen, darin sich selbst oder allgemein Menschen sehen zu wollen, sehr, sehr hoch.

Neigen wir dann auch zu sehr dazu, das Tier zu vermenschlichen, ihm menschliche Gefühle und Verhaltensweisen zuzusprechen?

Riechelmann: Die Gefahr besteht. Aber natürlich gibt es gerade Emotionen oder Affekte bei Tieren, die man ohne Weiteres auch auf Menschen übertragen kann: Aggression, Wut, Freude oder auch Eifersucht. Nur, vielleicht überträgt man das viel zu schnell und zu einfach und berücksichtigt dann das Tier nicht mehr.

Gibt es überhaupt den „neutralen“ Tierfilm, der nur das Tier sieht – und sonst nichts?

Riechelmann: Das gibt es natürlich schon. Der Film fängt, um es ganz radikal zu sagen, mit genau diesen Fragen an. Wenn man an den Anfang des Films die sequenzielle, serielle Fotografie von Eadweard Muybridge stellt, dann stand dahinter eine schlicht tierische Frage. Nämlich: Was machen die Beine eines Rennpferdes im Galopp? Die Weiterentwicklung zum laufenden Bild, zum Film, der über einen Projektor gezeigt wird, betrieben dann in Paris ein Professor für Physiologie, Étienne-Jules Marey, und sein Assistent und Präparator Georges Demeny. Sie wollten uns über all die Bewegungen von Pferden, Insekten, Katzen, Vögeln, denen unsere Augen nicht folgen können, aufs Genaueste unterrichten. Der Film beginnt experimentell, im Labor, mit der Frage nach dem Tier.

Ohne die Neugier eines Wissenschaftlers am Tier hätte es mit dem Aufkommen des Films noch ein bisschen gedauert?

Riechelmann: Man kann es radikal oder polemisch so sagen. Natürlich rückt dann auch sehr schnell der Mensch in den Blickpunkt der laufenden Bilder. Oder anders gewendet: Was wir als Filmspiel sehen, ist ein Abfallprodukt der Forschung.

Aber das filmische Interesse am Tier blieb – zum Stillen einer Sensationslust wie beim Zoobesuch?

Riechelmann: Um eine Geschichte zu erzählen, aber immer verbunden mit einem Moment der Aufklärung. Tiere werden zu Modellen für menschliches Verhalten, in ganz verschiedener Form. Besonders im deutschen und französischen Tierfilm vor dem Zweiten Weltkrieg behält das Tier immer etwas Böses, etwas, was man nicht in den Griff bekommt.

Ziehen Tiere immer? Locken Tiere stets ins Kino?

Riechelmann: Nein, absolut nein. Tiere gehen nicht immer. Sie gehen dann immer, wenn man sich dem „Larifari-Gute-Laune-Journalismus“ anschließt. Von dem Moment an, wo man eine etwas wissenschaftlichere Sprache benutzt und sich keine Sensation erzählen lässt, verliert sich das Interesse. Es ist auch verständlich: Man kann nicht jeden Tag etwas Neues über Löwen erzählen.

Es gibt auch den langweiligen Tierfilm?

Riechelmann: Ja, das wäre für mich natürlich der Beste. Langweilig würde dann bedeuten, dass tatsächlich das Verhalten gezeigt wird. Wenn man ein Krokodil im Fernseh- oder Kinofilm sieht, ist das immer ein ziemlich gefährlicher Akt: Entweder jagt es oder wird gejagt und verstrickt sich in Kämpfe mit Büffeln oder Zebras. Der langweilige Film würde bedeuten: keine Schnitte, nicht verkürzt, einfach einer Bewegung gefolgt. Und da passiert in der Natur beim Krokodil meist nicht viel.

Was halten Sie dann von den modernen Kinofilmen mit den spektakulären Bildern? Mit Tieren mitgeschwommen, mitgeflogen, unterlegt mit pathetischer Musik und eindringlichem Kommentar?

Riechelmann: Das Spektrum bei den modernen Filmen ist sehr, sehr weit. Es gibt die komplett dramatisierten Filme, unterlegt mit Orchestermusik, bei denen die Töne der Natur keine Rolle mehr spielen. Die Bilder sind oft toll und sehr, sehr gut. Die BBC hat das ermöglicht: Diese Filme beruhen auf Material, das über Jahre gesammelt und zusammengeschnitten ist. Man hatte die Zeit zu warten, hat bestimmtes Verhalten nicht provoziert. Und wenn die Musik zu schlimm ist, muss man eben auf die DVD warten und den Ton abstellen. Es gibt aber auch die Tendenz, sich mit dem Kommentar zurückzuhalten und fast gar nichts mehr zu sagen.

Ein Tipp der neuesten Kino-Geschichte?

Riechelmann: Einer meiner wirklichen Lieblingsfilme der letzten Zeit ist „Planet der Affen: Prevolution“ von Rupert Wyatt aus dem vergangenen Jahr. Da hat man es über Animationstechniken und über Bild- und Schauspielleistungen wirklich geschafft, einen Tierfilm zu drehen ohne Tiere. Bestimmte Formen tierischen Verhaltens sind dort wiedergegeben, wie man das nicht schaffen würde, wenn man Tiere nur dokumentiert.

Und was sind die Klassiker des Tierfilms?

Riechelmann: Walt Disneys „Die Wüste lebt“ ist sicherlich ein Klassiker. Wenn wir uns auf den deutschen Tierfilm beschränken, natürlich die Filme von Heinz Sielmann und Bernhard und Michael Grzimek. Heinz Sielmann ist wirklich ein international strahlender Filmemacher gewesen: „Zimmerleute des Waldes“, einer seiner ersten Filme über Spechte, hat im Umgang vom Bild mit dem Tier das eingeführt, was man heute den Standard des BBC-Films nennt. Sielmanns Film von 1954 (Anmerkung: der beim Filmwochenende gezeigt wird), ist wirklich der Beginn des britischen Tierfilms von heute.

Wann hat eigentlich das Tier im Spielfilm Einzug gehalten?

Riechelmann: Das beginnt sofort. Der Film bietet ja die Möglichkeit des Animierens, des Zum-Leben-Erweckens. Der Film, der das exemplarisch tut, heißt „The Cameraman's Revenge“ von Vladislav Starevich aus dem Jahr 1912. Starevich hat echte tote Insekten genommen und mit ihnen eine Geschichte erzählt: Die Insekten fahren Fahrrad, gehen ins Kino, lieben sich, sterben.

Ansonsten ist das Tier im Spielfilm entweder der Retter und Held – oder Feind und Bestie?

Riechelmann: Oder das eine schlägt ins andere um wie bei den frühen King-Kong-Filmen. Das liegt schlicht an den dramaturgischen Erfordernissen. Man muss die Zuschauer in langen Filmen emotional bei der Stange halten. Selbst wenn man die großartigen Dokumentarfilme von Richard Attenborough betrachtet, die den Tieren und ihrem Verhalten gerecht werden: Auch da findet man Dramaturgie. Wenn er Krabben oder Krebse am Strand filmt, inszeniert er das Szenario nach dem Vorbild von griechischen Tragödien.

Und welche Tiere sind besonders filmtauglich?

Riechelmann: Gehen Sie in den Zoo und schauen Sie, welche Tiere Namen haben: Giraffen, Elefanten, Pferde, auch Löwen. Affen natürlich, und ganz klassisch: Hunde.

Ihr persönlicher Filmwochenend-Tipp?

RiechelmaNn: Weil Esel zu meinen Lieblingstieren gehören, mag ich die kurze Verhaltenssequenz über den Gang eines Esels von Marey aus den Anfangsjahren. Mein liebster Tierfilm der letzten Jahre ist tatsächlich Romuald Karmakars „Esel mit Schnee“. Er macht nichts anderes, als mit einer stehenden Kamera und ohne Schnitt einen Esel zu zeigen. Er schreibt ihm, das ist das Wichtigste, keine Geschichte auf den Leib. Der Esel kommt auf die Kamera zu, guckt einmal kurz – und geht wieder.

 

Cord Riechelmann beim Filmfest in Würzburg

Der Biologe und Philosoph, geboren 1960 in Celle, war Lehrbeauftragter für das Sozialverhalten von Primaten und für die „Geschichte biologischer Forschung“. Riechelmann lebt in Berlin, sein Hauptinteresse gilt den Lebensbedingungen von Natur in der Kultur städtischer Lebensräume. 2004 erschien sein Buch „Wilde Tiere in der Großstadt“, vor drei Jahren gab er seine Sammlung von Tierstimmen heraus. In Würzburg präsentiert und kommentiert Riechelmann beim 38. Internationalen Filmwochenende am Sonntag, 25. März, um 11 Uhr im Kino Central den etwa 60-minütigen Kurzfilmblock „Das Kino der Tiere“. Gezeigt werden elf Kurzfilme, unter anderem Heinz Sielmanns Klassiker „Zimmerleute des Waldes“, „Schwalben am Spieß“ von Bernhard und Michael Grzimek, dazu Aufnahmen der Gebrüder Lumiere von 1907. FOTO: Zora del Buono

 
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