
Castingshow über Castingshow flutet das Fernsehen. Auch Teilnehmer aus der Region sind immer wieder dabei – derzeit aus dem Landkreis Main-Spessart Jerry James und Tuncay Tercanli in „The Voice of Germany“. Was sagt ein Fachmann zu dem Hype? Wir sprachen mit Udo Dahmen von der Popakademie in Mannheim.
Frage: Herr Dahmen, ganz ehrlich: Schauen Sie sich eigentlich manchmal Castingshows im Fernsehen an?
Udo Dahmen: Als Privatmensch ganz sicher nicht, aus Fachinteresse auf alle Fälle. Aber ich muss sagen, dass mein Interesse in den vergangenen Jahren immer mehr nachgelassen hat, weil die Formate in die Jahre gekommen sind und so, wie sie jetzt aufgestellt sind, auch nichts Neues mehr zu erwarten ist.
Sehen Sie Qualitätsunterschiede zwischen einer Show wie „Deutschland sucht den Superstar“ und zum Beispiel „The Voice of Germany“?
Dahmen: Ich muss ehrlich sagen: Als „The Voice“ an den Start ging, fand ich das ganz interessant, weil die Blind Auditions etwas Neues waren und so zumindest bis zu einem gewissen Grad auch eine Objektivierung möglich war. Aber im weiteren Verlauf hat sich dann herausgestellt, dass auch diese Show, selbst wenn sie ein anderes Konzept hat, im Endeffekt in erster Linie dazu dient, dem Publikum einen hohen Unterhaltungswert zu bieten – und nicht dazu, die Kandidaten bekannt zu machen.
Glauben Sie, dass aus einer Castingshow irgendwann tatsächlich mal ein Musiker hervorgehen kann, der sich auf Dauer oben hält?
Dahmen: Ich glaube, dass es letztendlich einfach Unterhaltungsformate sind, in denen die Musik zwar eine große Rolle spielt, aber in denen die Musiker letztendlich wie Schauspieler behandelt werden. Die Erfahrung aus mittlerweile 15 Jahren Castingshows in Deutschland zeigt auch, dass die Halbwertzeit der Stars sehr kurz ist und eigentlich nur so lange gilt, bis die nächste Staffel beginnt. Danach sind die Karrieren eben doch eher dazu geeignet, mal auf einem größeren Stadtfest zu spielen, aber die ganz große Tour – die funktioniert eigentlich nur im ersten Jahr nach der Show.
Die Statistik gibt Ihnen recht, aber Max Giesinger hat – trotz erfolgreicher Teilnahme an einer Castingshow – Karriere gemacht. Was hat er anders, also: besser, gemacht als viele andere?
Dahmen: Max Giesinger ist ein sehr gutes Beispiel. Es hat ihm nicht geschadet, bei „The Voice of Germany“ aufgetreten zu sein, er hat dadurch auch eine gewisse Aufmerksamkeit erlangt. Aber er musste sich trotzdem sehr viel erarbeiten. Das heißt, er hat nach der Sendung eine Band zusammengestellt, ist viel auf Tour gewesen, hat immer weiter Songs geschrieben und sein eigenes Profil gesucht, das allein durch eine Castingshow ja überhaupt nicht zu entwickeln war. Das Durchhaltevermögen ist für den Erfolg eines Musikers nach wie vor entscheidend. Das gilt meiner Meinung nach umso mehr für diejenigen, die an einer Castingshow teilnehmen. Denn sie müssen sich ja auch wieder von diesem Image befreien, um als eigenständige Künstler wahrgenommen zu werden.
Wenn sich ein Castingshow-Gewinner an der Popakademie Baden-Württemberg bewerben würde, wäre das von Vorteil oder von Nachteil?
Dahmen: Wir sind da überhaupt nicht voreingenommen. Es zählt allein die Qualität der Kandidaten, die zu uns kommen. Wir haben auch immer wieder mal Kandidaten, die aus Castingshows zu uns kommen. Sie müssen sich hier genauso dem Wettbewerb aussetzen wie alle anderen Bewerber auch.

Was bringen Sie Ihren Studenten denn bei, damit die es schaffen, sich lang- fristig im Musikgeschäft zu etablieren?
Dahmen: Einmal legen wir sehr viel Wert darauf, dass alle, die bei uns studieren, auch in der Lage sind, an ihrer eigenen Musik zu arbeiten. Dass also vor allem die Songwriter und Produzenten selbst komponieren, selbst texten, selbst produzieren und performen und sich möglicherweise auch selbst vermarkten. Das ist das, was wir lehren. Und alle diese Dinge müssen meiner Meinung nach auch gelernt sein, weil man so mit Sicherheit langfristigen Erfolg verbuchen kann. Ob man dann zum Star wird, so wie es Joris geschafft hat, der in Mannheim studiert hat, das ist noch mal ein anderes Thema. Da gehört auch ein bisschen Glück dazu. Aber die Voraussetzungen müssen einfach gegeben sein.
Eine gute Stimme allein reicht nicht?
Dahmen: Eine gute Stimme ist eine super Voraussetzung. Aber das allein reicht nicht, weil in der Regel dazukommen muss, dass gute Sänger bis zu einem gewissen Grad auch selbst komponieren und texten können müssen, um auf Dauer glaubwürdig zu sein. Und sie müssen in der Lage sein, gut zu performen und auch ihre Songs selbst aufzunehmen. Ohne Talent geht es überhaupt nicht, aber es muss eben auch eine große Beständigkeit, ein großer Wille dazukommen, sich zu verbessern und sich dann auch zu behaupten.
Bei aller Kritik an Castingshows: Glauben Sie, dass bei den Kandidaten im Allgemeinen stimmliche Qualität gegeben ist?
Dahmen: Es gibt unter den Kandidaten natürlich erhebliche Qualitätsunterschiede. Für die Zuschauer am Fernseher ist es aber gar nicht immer möglich zu beurteilen, ob die Stimme, die im Studio am Mikrofon tatsächlich sehr gut klingt, auch wirklich so gut ist. Das Volumen einer Stimme oder das Timbre bei unterschiedlichen Lautstärken ist über den Fernseher in der Regel nicht wirklich zu beurteilen.
Wenn man Sie fragen würde, ob Sie in einer Castingshow-Jury sitzen möchten – könnten Sie sich das vorstellen?
Dahmen: Das würde ich konsequent ausschließen. Ich bin in der Tat schon gefragt worden, aber ich würde mich nicht in solch einen Zusammenhang begeben wollen.
Wenn bekannte und erfolgreiche Musiker wie zum Beispiel Andreas Bourani oder Yvonne Catterfeld in der Jury einer Castingshow sitzen, haben Sie dafür Verständnis?
Dahmen: Ich glaube, das muss jeder für sich selbst entscheiden, ob er in so einem Zusammenhang dabei sein möchte. Für mich kann ich das aber ausschließen.
Castingshows sind ja am Ende nichts weiter als Wettbewerbe, in denen es darum geht, der Beste zu sein. Haben Sie grundsätzlich ein Problem mit Musikwettbewerben – oder nur mit Castingshows?
Dahmen: Generell habe ich kein Problem mit Wettbewerben. Aber da, wo die Musik möglicherweise zur besten Nebensache in einer Show wird, und das ist bei Castingshows in der Regel so, hätte ich tatsächlich ein Problem damit.
Udo Dahmen (65) ist seit 2003 künst-lerischer Direktor und Geschäftsführer der Popakademie Baden-Württemberg in Mannheim und leitet dort den Fachbereich Populäre Musik. Dahmen hat Schlagzeug studiert, in verschiedenen Bands gespielt und für unterschiedliche Musiker gearbeitet. Von 1983 bis 2003 war er Dozent für Popularmusik an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Dahmen ist Vizepräsident des Deutschen Musikrates.