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WÜRZBURG
Was Konstantin Wecker Hoffnung macht
70. Geburtstag: Altersmilde? Nicht wirklich. Konstantin Wecker ist noch immer ein Mann der deutlichen Worte. Ein Gespräch über Gefahren für die Demokratie und notwendige Utopien.
Konstantin Wecker zum 70. Geburtstag       -  „Es sind sehr viel mehr Menschen bereit, mit dem Herzen zu denken, als man es in der Politik wahrhaben möchte“, glaubt Konstantin Wecker..
Foto: Ursula Düren, dpa | „Es sind sehr viel mehr Menschen bereit, mit dem Herzen zu denken, als man es in der Politik wahrhaben möchte“, glaubt Konstantin Wecker..
Das Gespräch führte Olaf Neumann
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:46 Uhr

Kurz vor seinem runden Geburtstag hat Konstantin Wecker eine neue CD herausgebracht (siehe Kasten unten). Geboren wurde er am 1. Juni 1947 in München. Bekannt wurde Wecker als Pianist und Sänger, überzeugte jedoch auch als Komponist von Filmmusiken („Schtonk!“) und Musicals sowie als Autor. An der Würzburger Universität hatte Konstantin zeitweise einen Lehrauftrag. In seinem Workshop Songwriting unterrichtete er Komposition und Arrangement. Am 11. Juni ist der Liedermacher in Lohr beim Schlossplatz Open Air zu erleben.

Frage: Herr Wecker, Ihr Geburtstagsalbum „Poesie und Widerstand“ beginnt mit dem Lied „Den Parolen keine Chance“. Warum haben patriotische Parolen heute wieder Konjunktur?

Konstantin Wecker: Weil die Menschen so verunsichert sind wie seit 50 Jahren nicht mehr. Sie spüren, dass sie aus dem sozialen Gefüge immer mehr herausfallen. Viele haben keine soziale Sicherheit mehr. Sie merken, dass das Wirtschaftswachstum nicht ihnen, sondern nur einem Prozent der Bevölkerung zugutekommt. Sie haben Angst. Und sie stellen sich nicht dem eigentlichen Verursacher entgegen, nämlich einem wildgewordenen Finanzkapitalismus. Sondern sie suchen sich die Schwächsten und Ärmsten in der Kette aus. Und das sind die Flüchtlinge. Das gibt bestimmten Rattenfängern die Möglichkeit, im Trüben zu fischen.

Haben Sie die Hoffnung, dass sich an den Verhältnissen in absehbarer Zeit etwas ändern wird?

Wecker: Nein, nicht wirklich. Aber ich habe eine andere Hoffnung. Jean Zieglers neues Buch handelt davon, warum er trotzdem Mut hat: wegen der Zivilgesellschaft. Menschen betreiben Politik unabhängig von Parteien, indem sie sich einbringen. Ich war in München am Marienplatz auf einer Versammlung von engagierten Flüchtlingshelfern aus ganz Bayern. Dort waren Tausende Leute, aber man liest davon überhaupt nichts. In letzter Zeit spreche ich viel mit Wissenschaftlern über den derzeitigen Aufstand der Leisen. Gleichzeitig mit den schrecklichen Ereignissen in der großen Politik ist das eine spirituelle Revolution. Es sind sehr viel mehr Menschen bereit, mit dem Herzen zu denken, als man es in der Politik wahrhaben möchte. Darin sehe ich eine große Chance. Das ist das Wesen der Demokratie. Sie muss lebendig bleiben, also müssen wir uns rühren und nicht nur wählen. Das allein genügt nicht.

Sie bezeichnen Nationalismus als eine lebensbedrohliche Seuche und Ende der Freiheit. Wie groß ist Ihre Sorge angesichts der Lage derzeit?

Wecker: Ganz entsetzlich groß! Dieser Nationalismus entsteht aus einer Verunsicherung heraus. Weil man spürt, man ist eigentlich niemand mehr in der Gesellschaft. In den 20er Jahren gab es noch einen Arbeiter-Stolz, heute dagegen ist man Leiharbeiter. Man ist zum Großteil nicht mal mehr fest angestellt. Jugendliche haben panische Angst, ob sie jemals im Leben – auch wenn sie studieren – einen Job bekommen werden. Man fühlt sich in dieser Gesellschaft als Versager und sucht deshalb für sich nach irgendeinem Wert. Und da entdecken Menschen, die sich mit Politik noch nie beschäftigt haben, den Nationalismus. Dann ist jeder, der nicht deutsch ist, ein schlechterer Mensch. Das ist das Elend des Nationalismus. Jede Nation hat Dreck am Stecken, aber keine so einen gewaltigen wie wir. Aber wir Deutschen haben aus unserer Geschichte mehr gelernt als andere Nationen. Patriotismus ist eine Flucht aus der Eigenverantwortung. Die schlimmstenfalls darin endet, dass einem jemand sagt: Nun gut, du bist Patriot. Jetzt musst du eben auch sterben fürs Vaterland.

Wie können die Menschen wieder zusammenfinden?

Wecker: Jetzt muss ich als Poet antworten, mein Programm heißt ja auch „Poesie und Widerstand“: Mit Herzlichkeit! Dafür, dass wir nicht mit der alten, intellektuellen Arroganz auf die Menschen zugehen, sondern ihnen dadurch das Herz öffnen, dass wir unser eigenes Herz auch zeigen. Man erreicht bestimmte Leute nicht, wenn man mit rationaler Arroganz um sich schmeißt. Meine Frau war mit unserem Sohn auf Lesbos, da waren die unterschiedlichsten Menschen, von Zeugen Jehovas bis Kommunisten aus ganz Europa. Vereint hat sie das Gefühl, dort Menschen helfen zu können. Die intellektuelle Arroganz war da nicht mehr gefragt. Die deutsche Linke ist eigentlich an der Eitelkeit einzelner ideologischer Grabenkämpfe kaputt gegangen. Das hat der Neoliberalismus geschickt ausgenutzt.

Sie träumen von einer herrschaftsfreien Welt, die vom Miteinander der Menschen zusammengehalten wird. Braucht Demokratie Utopie?

Wecker: Ich bin bekennender Anarcho. Ja, das ist eine Utopie, aber die brauchen wir auch. Es braucht einen Nicht-Ort, damit wir wissen, wohin wir uns bewegen sollen. Dieser Nicht-Ort bedeutet auch, dass es kein festes Ziel in ideologischen Grenzen ist. Auf dem Weg dorthin erfinden wir dieses Ziel immer wieder neu. Ich traue niemandem, der sagt, er könne mit seinem kleinen Verstand etwas erfinden, was die Welt gerechter macht. Das können nur viele Menschen zusammen.

Was macht das mit Ihnen als Künstler, wenn Sie in den Medien jeden Tag mit Terror, Gewalt und Hass konfrontiert werden?

Wecker: Vielleicht hat das damit zu tun, dass ich so viel auf Tour bin: Ich erlebe jeden zweiten Abend Hunderte, manchmal Tausende von Menschen, die die gleiche Sehnsucht haben wie ich. Da ist ganz viele Liebe im Spiel. In meinem kleinen Universum erlebe ich etwas, was mir Hoffnung macht. Wenn Sie so viele Menschen sehen, die ähnlich ticken wie Sie, dann macht das Mut. Würde ich allein in meinem Kämmerchen sitzen, würde ich vielleicht auch zu einem Zyniker werden. Es ist eine grenzenlose Welt, in der ich leben und denken will.

Werden Sie für Ihre offenen Worte angefeindet?

Wecker: Ja, ganz schön heftig. Vor einem Jahr hat es mir noch wehgetan, aber mittlerweile kenne ich das Schema: Ich poste etwas, die ersten Kommentare sind noch klug und bedacht, und nach ein paar Stunden beginnt der Shitstorm. Ich habe zwei Leute, die versuchen, das Schlimmste zu löschen, aber man kann nicht alles entfernen. Das geht bis hin zu Gewaltandrohungen.

Nehmen Sie das ernst?

Wecker: Man kann das natürlich auch anwaltlich verfolgen, aber ich habe es bis jetzt noch nicht gemacht. Ich kann die Fernsehmoderatorin Dunja Hayali verstehen, die schon zum zweiten Mal jemanden verurteilen ließ, der ihr auf Facebook rassistische Gemeinheiten geschrieben hat.

Auch Sie sind ein gebranntes Kind durch die Erfahrungen, die Ihr Vater im Nationalsozialismus gemacht hat.

Wecker: Das nimmt in meiner Biografie einen großen Stellenwert ein. Je älter man wird, desto milder und liebevoller blickt man auf seine Eltern. Meine Eltern waren beide keine Faschisten. Dass ich mit ihnen als Kind über diese grauenvolle Zeit reden konnte, war ein Wunder. Bei fast allen meinen Altersgenossen wurde das Thema zu Hause totgeschwiegen. Mein radikaler Pazifismus ist meinem kriegsdienstverweigernden Vater geschuldet. Er hatte den Mut, dies in der Hitlerzeit zu tun. Da gehört schon was dazu.

Ist es Ihr Wille zum Widerstand, der Sie dazu bringt, immer weiterzumachen?

Wecker: Nein. Als Künstler weitermachen zu wollen, hat zuerst einen zutiefst innerlichen Grund. Weil man sich durch die Gedichte immer wieder neu entdeckt. Der künstlerische Impetus ist kein politischer, sondern eher ein mystischer. Der Zugang zu Poesie und zu Kreativität ist in erster Linie ein spiritueller. Gleichzeitig spürt man, wie sehr alles zusammengehört, wie wenig getrennt wir Menschen über alle Rassen und Nationen hinweg in Wirklichkeit doch sind. Wie wir mit dem Sinn der Schöpfung eins sind. Es gibt etwas Geistiges, was uns verbindet. Je mehr man das spürt, umso verzweifelter ist man über diejenigen, die diese Einheit spalten wollen. In Form von Nationalismus, Rassenwahn und was auch immer es da für schreckliche Versuche gibt.

Wie altert man als Künstler in Würde?

Wecker: Ich habe da mit meinem Papa mal drüber gesprochen, da war er 84 Jahre alt. Er sagte zu mir: „Du, Konstantin, man denkt nicht dauernd an das, was morgen passieren wird. Es ist eine große Chance des Alters, mehr in der Gegenwart zu sein als in der Jugend. Es wäre eine Katastrophe, wenn man jeden Tag dasitzen würde und darüber grübelt, was passierte, wenn man morgen einen Schlaganfall bekäme. Damit kann man sich sein ganzes Leben versauen. Also müssen wir lernen, in der Gegenwart zu sein. Wenn man bewusst das Alter annimmt, lernt man besser als in der Jugend. Es gab neulich eine interessante Untersuchung. Es wurde festgestellt, dass Menschen ab einem bestimmten Alter eigentlich glücklicher sind als Jüngere. Das glaube ich auch. Ich habe kein Problem mehr mit meinen 70. Ich freu' mich sogar drauf.

Doppelalbum zum Siebzigsten

Eine neue CD hat Konstantin Wecker sich geschenkt – und seinen Fans. Und nicht nur eine, gleich zwei: „Poesie und Widerstand“, ein Doppelalbum, in dem der Musiker seine Hörer auf Streifzug durch fünf Jahrzehnte Schaffen nimmt. 31 Lieblingstitel hat der Komponist im Studio live neu eingespielt – und manchmal fast neu erfunden. Mal Solo, mal im Trio oder mit Orchester: es sind frische Interpretationen alter Lieder und Klassiker. Reverenz als Mitmusiker erweisen unter andern. Conchita Wurst, Pippo Pollina, Angelika Kirchschlager.
 
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