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Was Helge Schneider im Spiegel sieht - Interview
Pretty Joe: Unter diesem Pseudonym und begleitet von einer Band, die sich die Dorfschönheiten nennt, geht der exzentrische Musikkomiker auf seine vorerst wohl letzte Tournee. Sie führt ihn auch nach Hof und Würzburg.
Evangelischer Pressedienst
 |  aktualisiert: 13.01.2016 10:52 Uhr

Helge Schneider ist bekannt für exzentrische Auftritte und unberechenbare Interviews. Soeben hat er verkündet, seine diesjährige Tournee, die ihn am 30. März nach Hof und am 9. August zum Hafensommer nach Würzburg führt, werde die vorerst letzte sein. Er nennt sich neuerdings „Pretty Joe“ und schart Dorfschönheiten in Gestalt alter Weggefährten wie Peter Thoms um sich. Schneider selbst freut sich, dass er dank dieser Band endlich wieder tanzen, Quatsch machen, singen und Instrumente spielen kann. Beim Frühstück in seiner Heimatstadt Mülheim an der Ruhr erzählte er auch, was er sieht, wenn er morgens in den Spiegel schaut.

Das Gespräch führte Olaf Neumann

Frage: Für diese Tournee nennen Sie sich „Pretty Joe“. Zeigen Sie sich diesmal von einer ganz anderen Seite?

Helge Schneider: Ne, das kann ich doch gar nicht. Ich bin immer noch derselbe Helge. Aber ich lasse mir gerne was einfallen. Gestern stieg ich aus der Wanne, hatte meinen Bademantel angezogen und dachte: „Wie wäre es, wenn die neue Show mit Musik von Carl Orff anfängt?“ Die Melodie, mit der Henry Maske immer aufgetreten ist. Mal gucken.

Zu den Dorfschönheiten, Ihrer Band, gehören u. a. zwei Drittel des legendären Spardosen-Terzetts, das bereits mit Wiglaf Droste, Ina Müller und Thomas Quasthoff gearbeitet hat. Was zeichnet Ihre neue Gruppe aus?

Schneider: Ich kenne alle diese Musiker schon ganz lange, aber mit ein paar von ihnen spiele ich erst seit kurzem zusammen. Das macht irre Spaß. Wichtig ist, dass wir gemeinsam üben können und keiner so weit weg wohnt. Ich habe jetzt eine Band zusammengestellt, bei der ich sage: Nach der Tour kann ich endlich mal eine Pause machen. Und zwar mindestens zwei Jahre, wenn alles gut geht und ich mich nicht breitschlagen lasse, zwischendurch mal irgendwo auf einem Jazzfestival zu spielen. Diese Band klingt so organisch, danach muss mal eine Zeit lang Schluss sein.

Welches Konzert haben Sie zuletzt besucht?

Schneider: Ich glaube, es war Sonny Rollins in der Tonhalle in Düsseldorf. Das ist schon länger her. Ansonsten habe ich mir Straßenmusik angehört. In München waren kürzlich ein paar gute Leute auf der Straße. Einer spielte Beethoven auf dem Akkordeon. Ich dachte, das gibt’s doch gar nicht. Er spielte wirklich supergut.

Haben Sie selbst Straßenmusik gemacht?

Schneider: Ich hab’s zumindest versucht. Zum Beispiel in den frühen 1980ern mit Peter Thoms. Unsere Besetzung war Saxofon und Trommel. In München war das nicht erlaubt, denn beides ist zu laut. Also sind wir nach Köln gefahren, um dort in der Fußgängerzone zu spielen. Sofort kam die Polizei. Die hat uns einen Platz am Dom zugewiesen, da wo der Wind so um die Ecke fegt. Wir haben dann in einer halben Stunde eine Mark eingenommen. Die wurde geteilt und anschließend sind wir nach Hause gefahren. Da war Feierabend mit der Straßenmusik.

Im Video „To Be A Man“ zeigen Sie sich fast nackt, nur mit einem knappen Lendenschurz bekleidet. Hat diese Nacktheit eine Botschaft? So wie bei den Femen-Aktivistinnen, die barbusig gegen Putin protestieren?

Schneider: Genau das sollte es sein: Protest! Wenn ich das mache, kräht allerdings kein Hahn danach. Wenn Justin Bieber es tut, dann ist das weltweit in allen Zeitungen und soll was ganz Dolles sein.

Würden Sie dies auch auf der Bühne tun?

Schneider: In dem Video trage ich eine zerschnittene Unterhose und eine Tasche. In dem entsprechenden Rahmen würde ich es auch auf der Bühne tun. Es war so ein Spiel, da als Neandertaler rumzulaufen. Aber das Kostüm ist längst nicht so packend wie mein blauer Anzug. Er ist eine Maßanfertigung nach meinen Vorstellungen. Also viel zu klein eigentlich.

Geht es Ihnen darum, eigene Grenzen zu sprengen?

Schneider: Wenn du das Video ansprichst, dann war das keine Grenze, die ich sprengen wollte. Es war das Spiel mit dem Urwüchsigen, den Urgewalten, der Wüste. Aber eigene Grenzen? Neulich bin ich im Flugzeug geflogen, es war gerade ein unglaublicher Sturm. Beim Landen ist die Maschine hoch und runter und mit der Schnauze fast ins Gras. Viele Passagiere haben geschrien, weil sie wirklich Angst hatten. Aber ich nicht. Vielleicht ist das eine Grenze, die ich überschritten habe.

Litten Sie bis dahin unter Flugangst?

Schneider: Angst hatte ich noch nie, ich bin aber sehr vorsichtig. Das ist ein Unterschied. Ich bin jahrzehntelang nicht mit dem Flugzeug geflogen, aber nicht aus Angst, sondern aus Vorsicht. Es könnte ja mal was passieren. Aber fliegen selber tue ich gerne, also lieber als Zugfahren. Das hat sich auch geändert, seit ich in Spanien ein Häuschen habe. Die Gegend ist ein bisschen wie Mülheim, das Haus liegt in der Wüste. Hier ist Betonwüste und da ist richtige Wüste. In Spanien sitze ich nicht nur rum, ich arbeite auch viel. Ich wohne ja auf keiner Touristeninsel. Das wäre mir zu langweilig.

Sie werden in diesem Jahr 59. Wie lautet Ihr aktuelles Lebensmotto?

Schneider: Weiter so! Mein Lebensmotto ist, immer dazuzulernen. Auch außerhalb meiner Arbeit Leute zu beobachten. Auch im größeren Stil, also politisch. Sich für die Rolle der Politik, der Medien und des Internets in unserer Gesellschaft zu interessieren. Viele Dinge stürzen auf einen ein, und man kommt nicht umhin, da kritisch drüber nachzudenken. Zu diesen Gedanken kann man dann spazieren gehen.

Was beschäftigt Sie gegenwärtig?

Schneider: Ich beschäftige mich aktuell mit der Großen Koalition und der Geschichte, wegen der der ehemalige Innenminister Friedrich zurückgetreten ist. Und auch noch andere weggehen werden. Bei dieser komischen Geschichte fragt man sich: Ist das wahr? Wo kommt das her? Wem nützt das? Was soll das? Stimmt das? Besonders die letzte Frage stelle ich mir immer öfter, egal, was passiert auf der Welt. Es wird mir auch bewusst, dass man eine ganz kleine Nummer ist, eine Ameise in dem riesigen Ameisenhaufen von Menschen. Da kann man natürlich umso glücklicher sein, wenn man so einen Beruf hat wie ich, wo man mit dem, was man gerne macht, auch noch Geld verdient und andere Menschen damit in irgendeiner Weise berührt. Und sogar glücklich macht. Das sollte aber niemals die Intention sein.

Sondern?

Schneider: Das ist nur ein Effekt, der mich darüber nachdenken lässt, wer ich überhaupt bin.

Wen sehen Sie, wenn Sie morgens in den Spiegel gucken?

Schneider: Dann sehe ich so einen wild gewordenen Aufnehmer. So einen Mopp. Ich bin meistens ungekämmt. Ich sehe mich dann. Und dann gehe ich da wieder weg.

Ihr Gitarrist Sandro Giampietro ist Frontmann der Melodic-Metal-Band Starchild. Auf deren Debütalbum sind Sie als Gast-Organist zu hören. Was kann ein Jazzer dem Heavy-Metal abgewinnen?

Schneider: Der Sandro kam mit einem Kassettenrekorder zu mir nach Hause und ich habe für ihn eine Tonspur auf meiner Orgel eingespielt. Seine Musik spricht mich irgendwie an, aber noch mehr spricht mich AC/DC an. Von denen finde ich alles kolossal: die Musik, den Rhythmus, die Texte, die Soli, den Sänger. Ich habe die Band einmal in Hamburg im Stadtpark live erlebt.

Was fehlt der Popmusik von heute?

Schneider: Humor. Sie könnte sich ein bisschen mehr selbst auf die Schippe nehmen. Das ist mir alles zu verkrampft und zu harmonielos. Seitdem Sade damals bei diesem Gassenhauer die zwei Akkorde in Moll gemacht hatte, habe ich das Gefühl, dass die Stilistik in der Popmusik gleich geblieben ist. Das ist schon fast Muzak, also Gebrauchsmusik für U-Bahnschächte. Mir fehlen Leute wie The Who, die wirklich was zu sagen haben und das durch ihre Musik auch ausdrücken. Von mir aus auch die Beatles oder einen Gitarristen wie Rory Gallagher. Heute dreht es sich nur noch ums Aussehen von Sängerinnen oder Sängern. Dann gibt es einen kleinen Text und ein bisschen Musik. Das ist alles so unselbstständig. Eine neue Janis Joplin sehe ich gegenwärtig nicht.

In Ihrem neuen Programm behaupten Sie, „Mr. Bojangles“ einst für Hansi Hinterseer geschrieben zu haben. Wie kam es, dass dieses Lied ein Welthit wurde?

Schneider: Das ist irre, 'ne. Schon Sammy Davies Jr. hat das Lied ganz fabelhaft gesungen, fast cineastisch. Ich habe ihn mal live gesehen, und das ist bei mir hängen geblieben. Deswegen habe ich „Mr. Bojangles“ irgendwann in mein Repertoire aufgenommen. Es kann sein, dass ich es für Hansi Hinterseer geschrieben habe. Weil er mal Skirennläufer war. Ich glaube, er kann heute noch ganz gut fahren. Ich könnte mir gut vorstellen, dass er sich mit Skiern gut zu diesem Walzerrhythmus bewegen kann.

Helge Schneider

Geboren am 30. August 1955 in Mülheim an der Ruhr, wurde der Unterhaltungskünstler, Schriftsteller, Film- und Theaterregisseur, Schauspieler und Multiinstrumentalist vor allem durch Bühnenauftritte bekannt, in denen er Klamauk und Parodien mit Jazz verbindet und viel Raum für Improvisation lässt. Schon als Kind begann er, Klavier zu spielen. Heute versucht er sich auf einer Vielzahl an Instrumenten, wie Saxofon, Vibrafon, Marimbafon, Akkordeon, Gitarre, Geige, Hawaiigitarre, Blockflöte, Schlagzeug, Trompete, Hammond-Orgel, Cello oder Kontrabass. 1994 trat Schneider bei „Wetten, dass . .?“ vor einem Millionenpublikum auf, worauf sich sein Song „Katzeklo“ zu einem Hit mauserte. Ab da konnte er mit seinen Programmen größere Säle füllen. Seine Tournee 2014 führt ihn und seine Begleitband „Die Dorfschönheiten“ auch nach Franken: Am 30. März gastiert er in Hof (Freiheitshalle), am 9. August beim Würzburger Hafensommer.

Schneider als Straßenmusiker.
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