Helmut Kohl, Angela Merkel, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder – vier Bundeskanzler sitzen vor einem Kunstwerk in sattem Rot. Was sie da tun? Nachdenken, vermutlich. Andreas Gursky hat die aktuelle Regierungschefin und ihre Vorgänger so in Szene gesetzt, dass sie selbst von hinten genau identifizierbar sind – sinnierend, rauchend, einander zu- und abgewandt. „Rückblick“ heißt das erstmals ausgestellte monumentale Bild des Düsseldorfer Fotokünstlers. Es steht im Mittelpunkt der Ausstellung „Andreas Gursky“ im Museum Frieder Burda. Auch der Programmatik wegen, die sich die Baden-Badener Schau gegeben hat.
Die 34 meist großformatigen Werke, die bis zum 24. Januar zu sehen sind, zeigen, warum Gursky einer der teuersten und berühmtesten zeitgenössischen Fotokünstler ist, werfen aber auch einen anderen Blick auf ihn – mit seinen digital bearbeiteten großen Panoramen nähert er sich immer stärker der Malerei.
Doch die Bilder von Börsen, Wohnmaschinen, Konsumtempeln, Korbflechterinnen, Müllhalden oder Autopisten sind sehr viel mehr als ein sauber mit Präzision und Farben montiertes Fest fürs Auge, meint Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie in Berlin. Er hat die Schau kuratiert, um den „anderen“ Gursky vorzustellen.
Denn jenseits der verführerischen Ästhetik fordert der Künstler nach Überzeugung Kittelmanns die Betrachter auf, „über den Grund und die Ursache ihrer Existenz nachzudenken“. Diesen subversiven Gursky will er in Baden-Baden sichtbar machen – mit vielen altbekannten Werken, aber durch Auswahl und Hängung mit anderer Botschaft. Andreas Gursky selbst sieht sich nicht als Politkünstler. Aber, so sagt der 60-Jährige: „Ich habe offenbar einen prognostischen Blick.“ Da ist zum Beispiel das im Jahr 2007 entstandene Bild „Frankfurt“. Unter der riesigen Anzeigetafel des Flughafens mit Zielen in die ganze Welt stehen und sitzen verloren kleine Menschengrüppchen: schwarzhaarige junge Männer, Frauen mit Kopftüchern, Kinder und jede Menge Gepäck. Schwarz ist die Tafel, schwarz der Boden der Abflughalle – und düster auch die Stimmung.
„Als es entstand, gab es noch keine Flüchtlingsströme“, erinnert sich Gursky. Wenn man jetzt das Bild betrachte, denke man aber automatisch an die aktuelle Situation. So geht es vielen seiner Werke – von der Cheops-Pyramide, die an die von Islamisten zerstörten Kulturdenkmäler erinnert, bis hin zur Ocean-Serie, bei der man unweigerlich an Bootsflüchtlinge denkt. „Die Bilder haben ihre Unschuld verloren“, sagt Gursky.
Das mag ein wenig Zufall sein, ist aber wohl auch das, was Kunst ewig macht: Denn die Werke des in Leipzig geborenen Künstlers und ehemaligen Meisterschülers von Bernd Becher sind nur vermeintlich neutral. Gursky nimmt den Bildern die Individualität – um ihnen damit Spielraum für Assoziationen zu geben. Das ist bei den kunstvoll manipulierten Massenfotografien von einem Madonna-Konzert, vom Kirchentag oder einer Menschenparade in Nordkorea genauso wie beim Werk „Rhein II“, das vor vier Jahren für umgerechnet 3,4 Millionen Euro zu einem Rekordpreis in New York versteigert wurde.
Und wie war das mit dem Treffen der vier Kanzler im „Rückblick“? Ein Medienfoto von einem Treffen anlässlich der Opel-Rettung im Kanzleramt im Jahr 2009 hat Gursky dazu inspiriert. Merkel saß da wirklich, alles andere ist fiktiv.
Wie vieles hier, das nicht so real ist, wie es scheint – oder wie Gursky es ausdrückt: „Wirklichkeit ist überhaupt nur darzustellen, indem man sie konstruiert.“ Und, um Spekulationen vorzubeugen: Eine politische Aussage enthält das Bild nicht, betont Gursky. Das kann noch kommen. Das Bild ist noch ganz neu – und offen für alle Assoziationen.
Geöffnet ist die Ausstellung jeweils Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, auch an allen Feiertagen.