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Schwebheim
Was ein Schwebheimer alles im Drogennebel fand
Wer manchmal einen Joint raucht, dem geht es besser. Vereinfacht könnte man so die Erfahrung des Dr. Ernst Freiherr von Bibra interpretieren. Der unterfränkische Drogenforscher wurde vor 200 Jahren geboren.
Ernst von Bibra       -  Ernst von Bibra
Foto: Ortsgeschichtlicher Arbeitskreis Schwebheim | Ernst von Bibra
Von unserem Redaktionsmitglied Torsten Maier
 |  aktualisiert: 17.10.2017 12:56 Uhr
Ernst Freiherr von Bibra? Irgendwo zwischen Dom und Residenz gibt es doch diese Bibrastraße . . .? Ja, ja, Würzburgs Söhne hatten nicht nur mit Bildhauerei oder spätbarocker Baukunst zu tun. Zumindest einer, allerdings in Schwebheim geboren, gab sich vor rund 150 Jahren ganz den berauschenden Lastern des Lebens hin. Vielleicht ist sein zeitweise berauschendes Leben der Grund dafür, dass der Name Ernst Freiherr von Bibra eher ein Fragezeichen in viele Köpfe projiziert. Vor 200 Jahren, am 9. Juni 1806, wurde der Forscher, Mediziner und Schriftsteller in Schwebheim bei Schweinfurt geboren, später ging er nach Würzburg.

Auch das städtisches Internet-Portal www.wuerzburg.de, ansonsten Hort vieler berühmter Persönlichkeiten, schweigt sich beharrlich aus. Ein Drogenforscher in eine Reihe gestellt mit Röntgen, Riemenschneider, Neumann und Co? Bibra studierte ab 1826 viele Jahre lang an der Würzburger Universität und war Mitglied der Studentenverbindung "Corps Franconia". Entwirrte er anfangs die Paragrafen der Rechtswissenschaften, widmete er sich später seiner Neigung: den Geheimnissen der Naturwissenschaften. Fortan vertiefte er seine Arbeiten besonders auf dem Gebiet der Chemie.

Im Jahre 1855 veröffentlichte er seinen Bestseller "Die narkotische Genussmittel und der Mensch". Auf einer ein Jahr dauernden Forschungsreise durch Südamerika mit reichlich Berauschendem in Berührung gekommen, fasste er seine Beobachtungen und Erfahrungen in diesem Klassiker zusammen. Und: Bibra vertrat provozierend liberale Thesen. Kostprobe: "Es geht klar hervor, dass die Natur den Menschen darauf hingewiesen hat, irgend ein Sorgen brechendes Mittel zu benützen. Es ist also der Gebrauch narkotischer Mittel gewissermaßen ein Bedürfnis für den Menschen.

Ohne Narkotika . . . kann der Mensch, wie die Erfahrungen gezeigt haben, leben. Durch ihren Genuss aber wird die Existenz eine glücklichere und sie sind deshalb zu billigen." Der in Hamburg lebende Altamerikanist und Ethnopharmakologe Dr. Christian Rätsch sagt über das Buch: "Zum ersten Mal wurden die damals bekannten psychoaktiven Drogen ausführlich dargestellt und in ihrer Wirkung beschrieben. Bibra löste im deutschsprachigen Raum eine Welle der interdisziplinären Drogenforschung aus, die bis heute nicht abebbt." Bibra sei "Kulturheros, Urahn und Ältester des psychedelischen Stammes".

Die Vereinten Nationen (UN) veröffentlichten im Jahre 1969: "Bibras Buch ist das erste seiner Art, das Chemiker veranlasst hat, ein Feld zu studieren, das so interessant für die Forschung und so voller Rätsel war." Um den rätselhaften Nebel zu lichten, schluckte Bibra die ein oder andere Droge gleich selbst. Seine Selbstbeobachtungen schmücken seinen Bestseller aus. Sie gehören zu den lesenswertesten Passagen in dem ohnehin lesenswerten Buch. Beispiel Haschisch: Geplagt von Rückenschmerzen nahm er seine erste Haschisch-Dosis zu einem Glas Wasser. "Ich fühlte ein Prickeln im Blute, eine unnatürliche Lebendigkeit", beginnen seine Ausführungen. Weiter sah er in einem schlichten weißen Tuch in der Hand plötzlich "die prachtvollsten Figuren gebildet: bärtige Männerköpfe oder Tiere aller Art. Allerdings mag meine Beschäftigung etwas an das stille Treiben gewisser Leute erinnert haben, welche in verschlossenen Zellen sitzen und Strohhalme zupfen".

An anderer Stelle schreibt er von plötzlicher Heiterkeit oder einer weiteren Wirkung: "Das Haschisch macht trefflich Appetit. Mitten unter den plastischen Gebilden meines Tuches . . . verspeiste ich mächtige Portionen kalte Küche." Seine Rückenschmerzen waren nach dem Abklingen des Rausches wie verflogen. Verflogen und in Vergessenheit geraten ist auch die Person Bibra. Zu Unrecht, denn der Mann war mehr als ein Urvater aller Hippies.

Er tummelte sich auf vielen Wissensgebieten. Er schrieb Reisegeschichten und Forschungsberichte, zu Themen der Meteorologie, Zoologie, Gesteins- oder Völkerkunde. Seine Leidenschaften galt zudem der Kunst und den Kunstwissenschaften. Das Nürnberger Stadtarchiv zählt Bibra "zu den Pionieren der wissenschaftlichen Erforschung Südamerikas". Die "Fürther Nachrichten" nannten ihn an seinem 100. Todestag 1978 "einen der ersten Arbeitsmediziner", weil: Die Arbeiter der damaligen Fürther Spiegelindustrie verdankten ihm entscheidende Erkenntnisse gegen ihre gefürchtete Berufskrankheit, die Quecksilber- Vergiftung.

Die "Nürnberger Nachrichten" schrieben in den dreißiger Jahren: "Bibra war jener in Deutschland seltene Typ des wirtschaftlich und beruflich völlig unabhängigen Wissenschaftlers, der aus privater Initiative ernsthafte wissenschaftliche Forschung betreibt, dem großen Alexander von Humboldt ähnlich." Bibras bedeutende wissenschaftliche Arbeit blieb nicht ohne Lohn. Er erhielt Auszeichnungen wie den "Prix Montynon" der Pariser Akademie der Wissenschaft oder die Medaille für Kunst und Wissenschaft, den königlichen preußischen roten Adlerorden.

In seinen letzten Lebensjahren widmete er sich mehr und mehr belletristischen Arbeiten. Bibra war so etwas wie ein Universalgelehrter. Was er allerdings nie war: den Drogen verfallen. Zwar gab auch er sich während einer Lebenskrise mal für längere Zeit einem "Sorgen brechenden Mittel" hin. Jedoch: "Das sonst so perfide Opium war nicht zu bewegen, mir eine Unwahrheit zu sagen. Es wiegte mich nie in Träume, welche niemals in Erfüllung gegangen sind." Eine Reise entwöhnte ihn dann des Opiums, "welches mir vielleicht sonst schwere Kämpfe hätte bereiten dürfen".

Er war nicht blind ob der Gefahren von Rauschmitteln. Dennoch war sein Fazit eindeutig. "Ist nun endlich dieser allgemein ausgebreitete Gebrauch der narkotischen Genussmittel ein Glück zu nennen für das Menschengeschlecht oder ein Unglück, muss es vom moralischen Standpunkte aus gebilligt oder bekämpft werden? Ich glaube unbedingt das Erste." Ach ja: Die Bibrastraße in Würzburg zwischen Dom und Residenz ist keine Wertschätzung des Ernst von Bibra. Vielmehr erinnert sie an einen seiner Vorfahren: Lorenz von Bibra weilte ab 1495 bis zu seinem Tode 1519 als Bischof in Würzburg.



Die Bibras in Würzburg und Bad Kissingen

Wer eigentlich war dieser Dr. Ernst Freiherr von Bibra? Die Nürnbergerin Christel Freifrau von Bibra weiß darauf zuerst keine rechte Antwort. Mehrere Blicke in die Ahnengalerie ihrer weit verzweigten Verwandtschaft später dann ihr Urteil: "Das war ja ein richtig interessanter Mann."

Das finden auch die Schwebheimer Hans Schwinger und der Vorsitzende des Ortsgeschichtlichen Arbeitskreises Schwebheim, Günther Birkle. Sie befassen sich seit Jahren mit dem berühmten Sohn ihrer Stadt. In den "Beiträgen zur Familiengeschichte der Reichsfreiherren von Bibra" heißt es: "Bibra war ein vollendeter Erzähler, gewandt im Ausdruck, dabei eine gewisse Kolorierung der Tatsachen nicht verschmähend. Ernst war nämlich von zu Hause aus eine heiter angelegte Natur."

Ernst von Bibra erblickte am 9. Juni 1806 in Schwebheim bei Schweinfurt das Licht der Welt. Er entstammt einer alten Adels-Familie. Ein Jahr nach Bibras Geburt übernahm Christoph Franz Freiherr von Hutten, großherzoglicher Würzburger Kammerherr, die Vormundschaft und später die Erziehung über Ernst. Grund: Bibras Vater war gestorben.

Ab Herbst 1826 studierte er an der Universität Würzburg. Seine großes Interesse galt der Chemie. "Ein zeitweise ernstes Studium tauchte nicht selten auf. Es bedurfte indes noch vieler Jahre bis er es, nachdem er die Universität Würzburg verlassen hatte, für angemessen hielt, die Frucht seiner Studien literarisch zu verwerten."

Im Mai 1836 heiratete er in Gaibach Josephine Pickel aus Würzburg. Zehn Jahre später zog er mit seiner Familie nach Nürnberg, weil er dort eine bessere Erziehung für seine drei Kinder und mehr wissenschaftlichen Austausch mit Fachgenossen erhoffte (ein vierter Sohn verstarb kurz nach der Geburt, ein weiterer stammt aus einer Beziehung vor seiner Heirat).

Anfang April 1849 begann seine über ein Jahr dauernde Südamerika-Reise. Zurück in Nürnberg, forschte er weiter auf dem Gebiet der Chemie und zierte sein Haus mehr und mehr mit Kunst aus aller Herren Länder. "Nur langsam, oft angezogen durch wertvolle Kunstgegenstände, rückte man durch manche Räume endlich in das Arbeitszimmer des Hausherren vor." König Maximilian II. von Bayern und Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen waren nur einige der prominenten Besucher.

Ab 1861 beschäftigte sich Bibra hauptsächlich mit belletristischen Arbeiten, Reiseskizzen oder kulturhistorischen Schilderungen. "Dr. Ernst von Bibra ist am 5. Juni 1878 in voller Geistesfrische in einem Alter von nahezu 72 Jahren in Nürnberg gestorben." Der Name Bibra taucht sowohl in Würzburg als auch in Bad Kissingen oder Nürnberg auf - jedoch: "Die Schwebheimer Linie der Bibras ist ausgestorben", weiß Freifrau von Bibra. Der letzte direkte männliche Vorfahre des Ernst Freiherr von Bibra lebte 1955, so Birkle.x
 
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