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Was die Menschen an Verbrechern so sehr fasziniert
Prozess: Verteidiger Leonhardt (Josef Bierbichler, links) und sein Mandant (Edgar Selge).
Foto: ZDF/Gordon Muehle | Prozess: Verteidiger Leonhardt (Josef Bierbichler, links) und sein Mandant (Edgar Selge).
Das Gespräch führte Martin Weber
 |  aktualisiert: 29.03.2013 18:56 Uhr

Mit seinem Buch „Verbrechen“ sorgte der Berliner Staranwalt Ferdinand von Schirach für Aufsehen. Der Band mit Kurzgeschichten landete auf den Bestsellerlisten. Einige der auf wahren Fällen basierenden Storys über kuriose Morde und andere spektakuläre Fälle wurden verfilmt und sind nun im ZDF in der sechsteiligen Serie „Verbrechen“ zu sehen (ab 7. April, 22 Uhr). Josef Bierbichler spielt den Anwalt Friedrich Leonhardt, der mit ungewöhnlichen Kriminalfällen und merkwürdigen Mandanten konfrontiert wird.

Frage: Herr von Schirach, was fasziniert die Menschen an Verbrechen und Verbrechern?

Ferdinand von Schirach: Zum einen wird der Gangster zu unserem Stellvertreter, er darf die Dinge tun, die wir nicht tun dürfen. Wenn wir in ein Restaurant gehen und der Kellner uns blöd behandelt, reißen wir uns trotzdem zusammen. Und am Ende geben wir ihm sogar noch Trinkgeld. Tony Soprano aus der Mafiaserie „Die Sopranos“ würde ihn ohrfeigen, Al Pacino in „Scarface“ würde ihn erschießen. Für den Gangster gibt es keine Regel, er ist frei. Aber wir führen ein bürgerliches Leben, wir müssen 150 Ge- und Verbote befolgen, bevor wir am Morgen im Büro angekommen sind: im Auto anschnallen, nicht während der Fahrt telefonieren und so weiter. Unsere Welt ist überreguliert, sie ist mühsam, unsere Freiheit wird immer kleiner. Und der zweite Grund: Wir erkennen die Verbrecher als Menschen, die uns ähnlich sind.

Ihre Storys legen nahe, dass jeder unter bestimmten Umständen zum Mörder werden kann. Welches sind nach Ihrer Erfahrung die Hauptmotive für einen Mord?

von Schirach: Ein Polizist in einer meiner Kurzgeschichten sagt: „Folgen Sie dem Geld oder dem Sperma, die meisten Verbrechen klären sich so auf.“ In der Regel stimmt das: Es geht um Gier und um Eifersucht.

Waren Sie an der Produktion der Serie beteiligt – konnten Sie zum Beispiel bei der Auswahl der Geschichten ein Wörtchenmitreden?

von Schirach: Ich hätte können, aber ich wollte es nicht. Film ist eine andere Kunstform, sie entsteht nach anderen Regeln. Die Drehbuchautoren, Regisseure und der Produzent sollten die Freiheit haben zu tun, was sie möchten.

Sind Sie mit den Verfilmungen zufrieden?

von Schirach: Ich bin sehr zufrieden. Wenn ich der Regisseur gewesen wäre, hätte ich es vielleicht anders gemacht: keine Musik, nur schwarz-weiße Bilder, kaum Dialoge, kaum Schnitte, wenig Bewegung, keine Effekte, alles langsam und dunkel. Es wäre vermutlich ein Episodenfilm geworden. Und natürlich wäre es dann so schief gegangen, dass ihn nur ein paar Leute nachts um drei Uhr auf Arte geschaut hätten. Der Produzent, Oliver Berben, hatte eine andere Vision. Er wollte, dass „Verbrechen“ nicht wie ein „Tatort“ aussieht. Ich glaube, das ist ihm gelungen. Für das Fernsehen ist „Verbrechen“ etwas Ungewöhnliches. Und dieser Mut verdient Lob, zumal die Filme die Grundgedanken der Geschichten adäquat vermitteln.

Teilweise geht es ziemlich brutal zu. Finden Sie das in Ordnung?

von Schirach: Die Welt wird gezeigt, wie sie ist. Sie können ja auch nicht für oder gegen Schwerkraft sein.

Die kuriosen Geschichten basieren angeblich auf echten Fällen aus Ihrer Kanzlei. Haben Sie sich dichterische Freiheiten genommen?

von Schirach: Was ist Wahrheit? Es gibt eine Wirklichkeit, also das, was tatsächlich geschieht. Aber wir nehmen die Dinge nicht so wahr, wie sie tatsächlich sind. Wir können immer nur einen Teil sehen, und jeder von uns sieht etwas anderes. Bei meinen Geschichten ist es genauso: Hätte ein Staatsanwalt sie geschrieben, wären es andere Geschichten. Dazu kommt, dass ich als Strafverteidiger unter anwaltlicher Schweigepflicht stehe: Ich darf die Geschichten also nie so erzählen, wie sie tatsächlich passiert sind. Ich setze eine Kurzgeschichte deshalb aus vielen Fällen zusammen. Sie sind trotzdem wahr, schon weil Literatur immer wahrer als die Wirklichkeit ist.

Wie bekommen Sie die Schreiberei mit Ihrem Job als Anwalt unter einen Hut?

von Schirach: Die Bücher „Verbrechen“ und „Schuld“ habe ich nachts geschrieben und bin tagsüber ins Büro gegangen. Beim „Fall Collini“ war es schon mühsamer, ich musste Archive und verschiedene Orte aufsuchen. Die letzten 18 Monate war ich kaum in der Kanzlei. Ich habe einen neuen Roman geschrieben, der im Herbst erscheint, werde aber den Anwaltsberuf nicht aufgeben.

Wenn Sie sich zwischen den Berufen als Anwalt und Schriftsteller entscheiden müssten: Wie würden Sie wählen?

von Schirach: Ich bin glücklich, dass ich es nicht entscheiden muss. Als Schriftsteller haben Sie die Verantwortung für die Figuren, die Sie erschaffen. Als Anwalt haben Sie die Verantwortung für wirkliche Menschen. Aber als Schriftsteller braucht man Einsamkeit, Zeit, die man ungestört mit einer Geschichte alleine ist. Die Strategie für ein Strafverfahren entsteht aus Akten, aus Gesprächen mit Richtern, Kollegen und Mandanten. In einer Hauptverhandlung kommt es darauf an, eine Situation schnell zu erfassen, für einen Zeugen die richtigen Fragen zu finden. Es ist ein sozialer Vorgang. Das Schreiben ist es nicht. Es ist das Gegenteil.

Ferdinand von Schirach

Geboren 1964 in München. Seit Mitte der 90er Jahre arbeitet er als Rechtsanwalt. Der Jurist vertrat prominente Mandanten wie den Ex-SED-Funktionär Günter Schabowski. Sein Großvater, Baldur von Schirach, wurde 1946 bei den Nürnberger Prozessen als Naziverbrecher zu 20 Jahren Haft verurteilt.

 
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