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BAD KISSINGEN
Was Berg und Beethoven verbindet
Tilman Schlömp, Intendant des Kissinger Sommers, im wiederhergestellten Luitpoldbad im historischen Bad Kissinger Kurbezirk.
Foto: Mathias Wiedemann | Tilman Schlömp, Intendant des Kissinger Sommers, im wiederhergestellten Luitpoldbad im historischen Bad Kissinger Kurbezirk.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:24 Uhr

Tilman Schlömp verspätet sich ein wenig zum Interview. Der Grund ist verzeihlich, wie sich herausstellt. Soeben ist es ihm gelungen, einen Ersatz für Valery Gergiev zu finden. Der Dirigent hatte aus gesundheitlichen Gründen absagen müssen. Nun wird Alexander Sladkovsky das Konzert am 23. Juni leiten. Erleichtert steckt der Intendant des Kissinger Sommers das Handy weg – genug aktuelles Krisenmanagement fürs erste, jetzt ist Zeit für einen Blick auf Konzept und Programm der Ausgabe 2018 der Festivals, das vom 15. Juni bis 15. Juli stattfindet.

Frage: Das Motto des kommenden Kissinger Sommers lautet „1918 – Aufbruch in die Moderne“. Wo beginnt denn für Sie in der Musik die Moderne? In der Bildenden Kunst gibt es entsprechende Schlüsselwerke – gibt es die auch in der Musik?

Tilman Schlömp: Es gibt, glaube ich, kein Einzelwerk. Aber es gibt diese Momente. Witzigerweise sind diese Momente in der Bildenden Kunst und in der Musik über zwei Personen miteinander verknüpft. Anfang des 20. Jahrhunderts hat sich Kandinsky mit seinem ersten vollkommen abstrakten Aquarell vom Gegenständlichen gelöst. Ein paar Jahre später hat Schönberg gewissermaßen das gleiche gemacht. Schönberg und Kandinsky waren ja auch befreundet. Schönberg hat sich zunächst vom Tonalen gelöst und später dann die Zwölftontechnik entwickelt. Die finde ich bei ihm allerdings etwas spröde, so richtig hat sie sich nicht im Festivalprogramm niedergeschlagen. Für uns ist vielmehr die Aufbruchsstimmung am Beginn des 20. Jahrhunderts entscheidend.

Wie schlägt sich dieser Moment im Programm nieder?

Schlömp: Wir haben zum Beispiel die Lyrische Suite von Alban Berg von 1925. Eines der frühen Zwölftonwerke, das aber sehr gut anhörbar ist. Ich versuche immer auch auf die Zuhörer zu achten, die nicht mit hochintellektuellen Ansprüchen zu uns kommen, sondern einfach nur tolle Musik hören möchten. Ein anderes Beispiel ist der Einfluss des Jazz – wir spielen im Abschlusskonzert Gershwins „Rhapsody in Blue“.

Ausstellungen mit Werken der klassischen Moderne in der Kunst sind Publikumsrenner. In der Musik fehlt das. Die Programme sind weitestgehend im 19. Jahrhundert verhaftet. Warum mögen die Menschen moderne Bilder aber keine moderne Musik?

Schlömp: Ich habe dazu nur eine Vermutung. Ich glaube, dass die Scheu daher kommt, dass man im Museum ja Herr über die eigene Zeit ist. Man kann ein Bild anschauen ober einfach weitergehen. Wenn ich im Konzert sitze, bin ich gewissermaßen gefangen und dieser Musik ausgeliefert. Und dieses Gefühl liebt nicht jeder. Also lassen sich viele nur auf das ein, was sie schon kennen. Aber ich kann nur jeden ermutigen, neugierig zu sein. Das ist ja Musik, die hundert Jahre alt ist, seit langem ihren Weg in die Konzertprogramme gefunden hat und von Generationen von Konzertbesuchern für gut befunden wurde.

Aber Sie bombardieren die Menschen jetzt nicht ausschließlich mit hundert Jahre alten, gleichwohl modernen Klängen?

Schlömp: Nein. Wir haben bewusst keine rein modernen Programme zusammengestellt. Wir wechseln immer klassische mit modernen Werken ab, so dass man durch den Kontrast vielleicht auch zu neuen Erkenntnissen kommt.

Es ist das zweite Programm, das Sie verantworten. Mit der Auslastung 2017 waren Sie nicht ganz zufrieden. Wo haben Sie für 2018 korrigiert, nachgebessert, umgestellt?

Schlömp: Die Erfahrungen mit der Auslastung eines Programms können eigentlich erst in das übernächste einfließen, weil das jeweils nächste dann schon fertig geplant ist. Wir haben vor allem beim Marketing nachgelegt. Beim Inhaltlichen habe ich zunächst so weitergemacht wie 2017: Wenn sich eine neue Handschrift etablieren soll, muss sie erstmal zwei oder drei Jahre konstant bleiben. Ich habe 2017 während des Festivals viele positive Rückmeldungen bekommen – viele Leute fanden es schön, dass mal neues Repertoire und neue Ideen kamen. Und es gab bei keinem Konzert die Erkenntnis: Das war nichts.

Sie folgen mit Ihren Programmen einer gewissen Logik der Epochen.

Schlömp: 2017 war das Motto im frühen 19. Jahrhundert verhaftet, jetzt sind wir mit Klassikern des 20. Jahrhunderts in die frühe Moderne gegangen. Und 2019 wird es wieder eine andere Epoche sein. Wir mischen natürlich trotzdem bunt durcheinander.

Das heißt, wir können Entwarnung geben: 2019 kommt nicht die Avantgarde der 1970er Jahre?

Schlömp: Nein, nein. Es wird auch nicht um Mittelaltermusik gehen. Aber ich versuche schon, Kontraste reinzubringen.

Viele Jahre war es für viele Stammgäste selbstverständlich, dass bestimmte Hits im Programm waren, manchmal sogar mehrfach, etwa Klavierkonzerte und Sinfonien von Beethoven oder Tschaikowsky. Rennen diese Leute Ihnen jetzt davon?

Schlömp: Nein, das glaube ich nicht. Wir setzen trotz allem ganz klar auch auf den romantischen Mainstream. Wir versuchen nur, diese Werke in neue Zusammenhänge zu setzen und damit neu erfahrbar zu machen. Ein Beispiel für 2018 wäre Dvoøáks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“, ein absoluter Klassiker. Die Leute hören ihn nur diesmal unter der Perspektive „Abschied von der Romantik“. Wer möchte, kann an einem anderen Tag etwas Moderneres hören. Man kann sich aber auch auf diese Klassiker fixieren.

Die Komponisten der klassischen Moderne sind ihrerseits nicht vom Himmel gefallen – zeigen Sie, wie sehr sie in der Romantik verwurzelt sind?

Schlömp: Ja klar, deshalb stellen wir zum Beispiel die Lyrische Suite Schumann und Beethoven gegenüber. Berg als Wiener Komponist wurzelt ganz klar in der Wiener Klassik und hat da seine Vorbilder. Und die Gegenüberstellung mit Beethovens cis-Moll-Quartett op. 131 ist absolut sinnvoll. Nicht nur, weil das eines meiner Lieblingsquartette ist. Sondern, weil es das Werk Beethovens ist, das am stärksten Richtung Moderne weist. Er hat darin die Quartettform fragmentiert und Melodien teilweise bis auf einzelne Intervalle zerlegt und mit neuer Bedeutung aufgeladen. Berg macht das gleiche später mit dem einzelnen Ton, insofern ist das eine große Nähe. Und zum Wohlfühlen ist dann noch der Schumann dabei. Das sind Kombinationen, die man bei Spotify nur zufällig bekommt, wenn man auf Shuffle stellt, bei uns ist das sorgfältig geplant!

Das Luitpoldbad im historischen Kurbezirk, das 25 Jahre leer stand, ist prachtvoll wiederhergestellt worden. Unter anderem hat der Kissinger Sommer nun hier seine Büros. Finden auf dem Areal 2018 auch Konzerte statt?

Schlömp: Ja, im Innenhof. Das war von Anfang an bei der Renovierung so geplant, da haben sich die Architekten mit uns unterhalten. Man hat Kabelschächte und Zufahrten gleich mit eingebaut, es gibt einen Bereich, in dem der Ton abgemischt wird. So können jetzt hier Open-Air-Konzerte stattfinden. Und das erste wird im Rahmen des Kissinger Sommers sein, am 30. Juni, mit einem ganz klassischen Programm, das mit Moderne überhaupt nichts zu tun hat. Das Venice Baroque Orchestra spielt Vivaldi, natürlich die „Vier Jahreszeiten“, und andere italienische Barockkomponisten. Wichtig ist mir, dass wir das möglichst authentisch machen, also mit einem venezianischen Ensemble, das in der Lagune auch ein bisschen den Geist von Vivaldi eingeatmet hat.

Wenn man bedenkt, wie manche Lagunen riechen, vielleicht ein etwas unglückliches Sprachbild.

Schlömp: Die Lagune riecht heute gar nicht mehr muffig! Aber es ist tatsächlich so: Diese Atmosphäre in Venedig, wo man die Wellen an die Marmormauern schlagen hört, das Schaukeln der Boote auf dem Wasser. Man könnte jetzt darüber diskutieren, inwieweit sich das in der Musik von Vivaldi niedergeschlagen hat, aber das Venice Baroque Orchestra hat diese Tradition verinnerlicht. Sie pflegen die historische Aufführungspraxis und beherrschen die Ideen des italienischen Barock: die plötzlichen Geschwindigkeitswechsel, das schnelle gemeinsame Reagieren, das können die fantastisch.

Und es gibt noch eine Premiere, habe ich gesehen.

Schlömp: Ja, neben dem historischen Bad spielen wir auch im modernen Bad, in der KissSalis Therme. Den Wunsch gab es schon lange, jetzt setzen wir ihn um. Mit Musik, die da auch hineinpasst, gespielt auf Instrumenten, die nicht so feuchtigkeitsempfindlich sind. Im Ensemble „Music for a While“ hat sich die Mezzosopranistin Tora Augestad mit norwegischen Pop- und Jazzmusikern zusammengetan. Sie können, wenn Sie möchten, die Musik auch vom Wasser aus hören, also gewissermaßen Wellness für Körper und Seele.

Tilman Schlömp, geboren in Gießen, aufgewachsen in Minden/Westfalen, ist seit 2017 Intendant des Kissinger Sommers. Er studierte nach dem Abitur Musikwissenschaft in Hamburg, Münster und Mainz und promovierte 1997. Während des Studiums arbeitete er als Journalist und als wissenschaftlicher Assistent. Nach zwei Jahren als Orchesterinspizient des Staatstheaters Mainz übernahm er für fünf Jahre die Leitung der Dramaturgie und Öffentlichkeitsarbeit für das Konzerthaus Dortmund. Ab 2005 war er Leiter des künstlerischen Betriebs Beethovenfest Bonn.

 
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