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WÜRZBURG
Warum wir nicht vergessen dürfen
Der Dom nach der Zerstörung am 16. März 1945.
Foto: Walter Röder | Der Dom nach der Zerstörung am 16. März 1945.
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:15 Uhr

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, am 16. März 1945, wurde Würzburg von englischen Bomben in Schutt und Asche gelegt. An die 4000 Menschen starben. Zum Gedenken läuten Jahr für Jahr am 16. März von 21.20 bis 21.40 Uhr – der Zeit des Angriffs – die Kirchenglocken in der Innenstadt. Würzburg steht mit dieser Art des Gedenkens ziemlich einzigartig da in der Republik. Was bringt sie? Was denken die Würzburger heute über den 16. März?

Das Würzburger Mainfranken Theater ist diesen Fragen nachgegangen. In einem Rechercheprojekt wurden Zeitzeugen ebenso befragt wie Historiker. Die Erkenntnisse werden in dem Theaterabend „Magnolienzeit“ gebündelt. Uraufführung ist am 8. Februar im Max-Stern-Keller unter der Würzburger Neubaukirche.

„Identitätsstiftend“

Die Würzburger scheinen eine stärkere Beziehung zur Zerstörung ihrer Stadt aufgebaut zu haben als die Bewohner anderer im Krieg zerbombter Städte. „Das Gedenken ist in Würzburg identitätsstiftend“, sagt der Historiker Dr. Roland Flade, der seit Langem zum Thema Nationalsozialismus in Würzburg forscht.

Antonia Tretter und das Recherche-Team des Theaters haben bei Zeitzeugen-Befragungen ähnliche Erfahrungen gemacht. Über einen Kamm scheren lassen sich die Erinnerungen der Augenzeugen, die damals noch Kinder waren, aber nicht, so Produktionsdramaturgin Tretter. „Die Aussagen sind sehr individuell.“

Vor allem Trauer

Lässt sich also nichts über die Empfindungen des Würzburgers sagen, der Jahr für Jahr per Glockenläuten an ein Ereignis erinnert wird, das nun schon 73 Jahre zurückliegt? „,Den‘ Würzburger gibt es nicht“, sagt Historiker Flade, der auch vom Theater für „Magnolienzeit“ interviewt wurde. Doch er glaube jedenfalls nicht, dass eine Mehrheit beim Gedanken an den 16. März die Engländer als Schuldige und die Deutschen als unschuldige Opfer sehe.

Bei vielen gehe es wohl vor allem um die Trauer, dass „eine wunderschöne Stadt zerstört wurde“. Ob das Gedenken darüber hinaus als Mahnung gegen jegliche Form von Krieg und Diktatur verstanden wird – der Historiker mit jahrzehntelanger Erfahrung als Lokalredakteur ist sich da nicht sicher.

Missbrauch durch Rechtsradikale

Und doch könne er sich durchaus vorstellen, dass die Erinnerung an die Bombardierung ein Menschenalter später auch die Willkommenskultur für Flüchtlinge beeinflusst hat, die Roland Flade in Würzburg als besonders herzlich empfunden hat. „Vielleicht denkt mancher: ,Diese Stadt hat schrecklich unter einem Krieg gelitten. Jetzt leiden andere – denen sollte man helfen.‘“ Antonia Tretter kann das bestätigen. Bei den Befragungen habe sich einer der Zeitzeugen – befragt wurde ein Dutzend – in diesem Sinne geäußert.

Sowohl Tretter als auch Flade wissen aber: Der Gedenktag wurde auch schon von Rechtsradikalen missbraucht, um die eigene krude Ideologie zu verbreiten. Dabei werde versucht, die Schuldfrage umzudrehen und die Nazis reinzuwaschen. Flade glaubt indes, dass das bei den meisten Würzburgern keinen Widerhall findet.

Die Erinnerung wach halten

„Die Erinnerung an den 16. März hat sich seit den 80er Jahren verändert“, referiert Antonia Tretter ein Ergebnis der Recherchen und Interviews. Man habe sich geöffnet und nicht nur der Zerstörung gedacht, sondern auch die Shoah mit einbezogen und das Umfeld ausgeleuchtet, in dem es überhaupt so weit kommen konnte. Noch nicht genug, glaubt die 27-Jährige: „Es gibt noch so viele Geschichten zu erzählen, so viele Themen aufzuarbeiten.“

Den Theaterleuten ist ebenso wie dem Historiker eines wichtig: „Es darf keine Kultur des Vergessens geben.“ Die Erinnerung an Nazi-Herrschaft, Holocaust und die Folgen müsse wachgehalten werden – auch in der Zukunft, in der es keine Zeitzeugen mehr geben wird. Auch deswegen wurden bei dem Theaterprojekt Neuntklässler einbezogen, ganz junge Menschen also, die schon rein zeitlich sehr sehr weit weg sind vom 16. März 1945, der ein wunderschöner Frühlingstag gewesen war.

Das Thema lässt, berichtet Tretter von den Proben, selbst die Schauspieler nicht kalt. Auch die Zuschauer sollen von dem Stück, das aus fiktiven und authentischen Texten zusammengesetzt ist, emotional gepackt werden.

Uraufführung von „Magnolienzeit“ ist am 8. Februar, 20 Uhr, im Max-Stern-Keller unter der Würzburger Neubaukirche. Die nächsten Aufführungen sind am 14., 22., und 28. Februar. Vorverkauf: Tel. (09 31) 39 08-124

 
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