Mit wehendem Bart schwebt der alte Mann auf Adam zu, streckt die Hand aus. Beinahe berühren sich die Zeigefinger von Gott und Mensch. Michelangelos „Erschaffung des Adam“ an der Decke der Sixtinischen Kapelle ist eines der größten Kunstwerke überhaupt. Genau genommen liegt das Fresko des Renaissance-Meisters aber voll daneben, wie so viele Gottesbilder der Kunstgeschichte. Denn Gott ist kein bärtiger Alter, und wer ihn sich so vorstellt, schrumpft ihn aufs Menschenmaß. „Du sollst dir kein Gottesbildnis machen“, heißt es im Alten Testament. Dieses sogenannte Bilderverbot gilt nicht nur für Maler und Bildhauer. Es ist ein sinnvoller Hinweis für jedermann: Ein Wesen, das dem Glauben nach übernatürlich und übermenschlich ist, passt nicht in irdische Denkstrukturen. Also sollte man erst gar nicht versuchen, es sich vorzustellen.
Wie also von Gott reden, wie ihn denken, wenn man ihn nicht fassen kann? Indirekt! Eine Möglichkeit eines indirekten Bildes von Gott bietet die Farbe Weiß. So sieht das jedenfalls Hans-Joachim Sander. „Gott ist weiß“, sagt der Theologieprofessor der Universität Salzburg plakativ. Das klingt erst einmal gewagt. Doch der Dogmatiker, der in Würzburg studiert und promoviert hat, hat Argumente. Und er kann sich auf Traditionen in der Geistes- und Kunstgeschichte stützen.
Für Sander begann die intensive Beschäftigung mit der Farbe Weiß in der Salzburger Kollegienkirche. Das barocke Gotteshaus der Universität war im vorigen Jahr nach langer Renovierungszeit wieder eingeweiht worden. Hatten Wände, Figuren und Verzierungen zuvor einen grauen Anstrich, strahlt der Innenraum nun in Weiß, wie schon zur Zeit seiner Weihe im Jahr 1707. „Wenn man im Sommer im Kirchenraum steht, stellt sich ein merkwürdiges Gefühl ein. Alles verschwimmt“, schildert der Professor seine Eindrücke. „Mit Weiß wird Ungewissheit erzeugt, und Klarheiten werden aufgelöst.“ Es gibt keine scharfen Konturen, keine Präzision. Sander: „Die Kirche zeigt etwas, was sie nicht darstellen kann.“
Dieses Nichtfassbare könne als allegorische Darstellung Gottes verstanden werden, so Sander. Deswegen war die Kollegienkirche schon in der Barockzeit in Weiß gefasst. Das Denken in Allegorien, Symbolen und Emblemen war seinerzeit in allen Künsten verbreitet.
Physikalisch gesehen entsteht Weiß durch ein Gemisch aus Einzelfarben. Weiß trägt also viele Farben in sich. Eine Vielfalt vereinigt in einem: Auch das kann als Darstellung Gottes verstanden werden, die ihn nicht in ein konkretes Bild zwängt, ihn nicht aufs Menschenmaß reduziert. Das funktioniert – weil auf physikalischen Gesetzen basierend – heute ebenso wie im Barockzeitalter, wo man begann, mit Prismen zu experimentieren, die weißes Licht in die verschiedenen Spektralfarben zerlegen.
Besucher der Salzburger Kollegienkirche sind häufig verunsichert. „Weiß muss man erst mal aushalten können“, sagt Hans-Joachim Sander, denn: „Weiß kann klein machen. Weiß ist konfrontativ.“ Jedenfalls im westlichen Kulturraum steht Weiß für Reinheit, für Unschuld. Die Kollegienkirche konfrontiere den Menschen also auch mit dem eigenen Makel. Der Mensch sei aufgefordert, über seinen Schatten zu springen und so eine Transzendenz zu erreichen, also die irdischen Sphären zu überschreiten.
Wie bei keiner anderen Farbe wird bei Weiß meist der Gegensatz mitgedacht: Schwarz. Auch dahinter steckt Bedeutung: Weiß steht für hell und gut, Schwarz für dunkel und böse. Weiß – Schwarz ist wie der Gegensatz zwischen Himmel und Hölle. Aus Theologensicht gilt es, das Denken in diesen Gegensatzpaaren zu vermeiden. Weiß als allegorisch verstandene Farbe Gottes funktioniert nicht, wenn der Gegensatz Schwarz ausgeblendet wird. Hans-Joachim Sander sagt im Gespräch und bei einem Vortrag für die Akademie Domschule in Würzburg denn auch „bloß“ weiß und nicht „rein“ weiß. Denn bei „rein“ schwingt der Gegensatz „unrein“ mit . . .
Der Professor bewegt sich in komplexen Gedankengängen. Und Ausgangspunkt ist ausgerechnet Weiß, das viele gar nicht als Farbe sehen, das als „Unfarbe“ gilt, aber offenbar geradezu aufgeladen ist mit Bedeutung. Die christlich-allegorische Sicht ist ja nur eine von vielen Möglichkeiten, sich der Farbe zu nähern.
Das zeigt aktuell eine Ausstellung des Würzburger Museums im Kulturspeicher (siehe Kasten). Künstler verschiedener Epochen und Stilrichtungen geben auf ihre Weise Statements zum Thema Weiß ab. Auch die 115 Ausstellungsstücke sind aber nur ein kleiner Ausschnitt aus dem weiten Kosmos von Weiß – ebenso wie das Innere der Salzburger Kollegienkirche.
Ausstellung im Kulturspeicher
Die Farbe Weiß steht im Mittelpunkt einer Ausstellung im Würzburger Kulturspeicher. 115 Stücke – Bilder, Skulpturen, Objekte, entstanden zwischen 1895 und 2014 – repräsentieren Stilrichtungen vom Impressionismus bis zur Konkreten Kunst. Zu sehen sind Werke von 89 Künstlern, darunter Max Slevogt, Günther Uecker und Robert Rauschenberg.
Die Ruhe, die Abkehr vom schrillen Bunt des Alltags (und der Kunst) trieb manchen Künstler zum Weiß. Hinter einigen Werken steht dementsprechend ein philosophischer oder von fernöstlicher Religion beeinflusster Hintergrund.
Öffnungszeiten: Dienstag 13-18, Mittwoch, Freitag bis Sonntag 11-18, Donnerstag 11-19 Uhr. 24., 25. und 31. Dezember geschlossen. Bis 22. Februar 2015.