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SCHWARZENBACH/SAALE
Warum Entenhausen in Franken liegt
Comic: Die Heimat der Ducks liegt nicht deswegen in Franken, weil hier ein einschlägiges Museum eröffnet hat. Vielmehr handelt es sich um die Überlagerung zweier Universen. Oder ist Erika Fuchs dran schuld?
Die Stadt der Ducks: Entenhausen im Erika-Fuchs-Haus. Der Weg links an der Parkbank vorbei führt zum Geldspeicher.
Foto: Ralph Heringlehner | Die Stadt der Ducks: Entenhausen im Erika-Fuchs-Haus. Der Weg links an der Parkbank vorbei führt zum Geldspeicher.
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 03.12.2019 08:39 Uhr

Am Fuß des Fichtelgebirges liegt das Meer. An dessen Küste breitet sich das Städtchen Kirchenlamitz aus, mit Fischkonservenfabrik, Kanonenkugelgießerei und Seemannsheim. Im Nordosten des Mittelgebirges, das von der berüchtigt-steilen Eisenbahnstrecke „Schiefe Ebene“ durchschnitten wird, liegen Schnarchenreuth und Oberkotzau. Im Süden breitet sich Entenhausen aus. Messegelände, Tierpark, vier Flugplätze (einer militärisch) und Dagobert Ducks Geldspeicher erheben die Stadt zur bedeutendsten weit und breit.

Oberkotzau, Kirchenlamitz und Schnarchenreuth sind reale Orte in Oberfranken, ebenso das Fichtelgebirge. Woraus sich schließen lässt, dass auch Entenhausen fränkisch ist – und dass Franken am Meer liegt. Mit dem Weltbild, das man gemeinhin in der Schule lernt, deckt sich das zwar nicht. Doch es ist mit wissenschaftlichen Methoden belegbar: In 13 Jahren akribischer Arbeit hat Jürgen Wollina, diplomierter Ingenieur für Landkartentechnik, den Plan von Entenhausen und (fränkischer) Umgebung erarbeitet. Der Kartograf und seine Helfer durchforsteten dafür die Donald-Duck-Geschichten von Carl Barks nach topografischen Fakten.

Disney-Zeichner Barks (1901 bis 2000) ist nicht nur der Erfinder von Duckburgh, auf Deutsch: Entenhausen. Er hat der Stadt auch Leben eingehaucht mit Bewohnern wie dem Fantastilliardär Dagobert Duck, dem genialen Erfinder Daniel Düsentrieb, dem Glückspilz Gustav Gans und den Panzerknackern, Donald gab's schon vor Barks. Doch wie geriet die Stadt in die oberfränkische Geografie? Barks wusste als Amerikaner garantiert nichts von Oberkotzau oder Schnarchenreuth.

Hier kommt Erika Fuchs (1906 bis 2005) ins Spiel. Sie hat Donald-Duck-Geschichten (und andere Disney-Comics) zwischen 1951 und 1988 übersetzt. Die Kunsthistorikerin hatte in Lausanne und London studiert und promoviert („Summa cum laude“). 1933 zog sie mit ihrem Mann von der Metropole München in „eine der einsamsten Gegenden Deutschlands“, wie sie befand, nach Schwarzenbach an der Saale. Sie ironisierte die Provinz, indem sie bei ihren Übersetzungen Orte der US-Vorlage mit Namen von Städten und Dörfern aus der Umgebung von Schwarzenbach versah. So wuchsen das reale Oberfranken und das fiktive Entenhausen zusammen – wie auf der Wollina-Landkarte, der für Donaldisten einzig gültigen.

Erika Fuchs beließ es nicht bei Ortsnamen. Auch Details aus Schwarzenbach nahm sie in ihre kreativen Übersetzungen der Bildergeschichten auf: Da verursacht Donald Chaos vor dem Café Rheingold, braust mit dem berühmten 313 – seinem roten Cabrio – an der Eisenhandlung Schaff vorbei und rät Daisy während eines Sturzes aus großer Höhe: „Fall auf was Weiches! Auf die Wattefabrik Sandler am besten!“ Café und Eisenhandlung gab es wirklich in Schwarzenbach, die Wattefabrik ist heute ein international tätiges Textilunternehmen namens Sandler AG. US-typisches verpflanzte Fuchs in die deutsche Lebenswirklichkeit der 1950er und 1960er Jahre, machte aus dem Halloween-Streich einen Scherz zum Rosenmontag. Sie ließ Würstchen essen statt Hot Dogs, Puffmais statt Popcorn: Amerikanismen hatte sie nicht so gern.

„Man kann nicht gebildet genug sein, um Comics zu übersetzen“, meinte Erika Fuchs und arbeitete gerne mit Klassikerzitaten: „Etwas ist faul im Staate Dänemark“, faucht Dagobert Duck auf den Spuren von Shakespeares Hamlet; Tick, Trick und Track brüllen beim Spielen: „Das ist Lützow's wilde, verwegene Jagd“ – ein Zitat aus einer Ballade des Dichters Carl Theodor Körner (1791 bis 1813).

Bei Bedarf hat Fuchs die Klassiker auch kräftig verballhornt: „Wo man raucht, da kannst du ruhig harren, Menschenfresser haben keine Zigarren“, behauptet Donald Duck im Windschatten von Johann Gottfried Seumes (1763 bis 1810) „Wo man singet, da lass dich ruhig nieder . . . böse Menschen haben keine Lieder“.

Anspielungen und Zitate schaffen über der simplen Comic-Handlung eine zweite Leseebene, an der vor allem Erwachsene Spaß haben. Fuchs-Texte sind pfiffiger und vielschichtiger als amerikanische Originale und heutige Übersetzungen. Dass Comics das Schundheftchen-Image verloren haben, ist auch ein Verdienst der sprachschöpferischen Kunsthistorikerin. Vor allem mit dem Inflektiv ist sie noch immer im Alltag präsent: Nicht nur in Chats und bei SMS werden die Infinitiv-Endungen von Verben a la Fuchs gekappt: „zisch“, „krach“, „schepper“. Das ist eine comictypische Art, Geräusche darzustellen. Fuchs perfektionierte den Gebrauch der scherzhaft „Erikativ“ genannten Form und nutzte sie verstärkt, um Seelenzustände auszudrücken: „seufz“, „stöhn“, „kicher“.

Die Stadt Schwarzenbach an der Saale hat jüngst das Erika-Fuchs-Haus eröffnet (siehe Kasten). Dort ist auch ein begehbares Entenhausen aufgebaut. „Jedes Haus, jeder Busch ist in Barks-Geschichten belegbar“, beteuert Museumsleiterin Alexandra Hentschel. Entenhausen liegt somit also ganz wörtlich in Oberfranken.

In Wirklichkeit ist es natürlich nicht so simpel. Entenhausen liegt nicht in Oberfranken, weil man in Museumskulissen von Donalds Haus am Geldspeicher vorbei zum Hafen flanieren kann. Sondern weil die Stadt in einem Paralleluniversum existiert, in dem sich intelligentes Leben – unter anderem – aus Enten entwickelt hat. Dieses Paralleluniversum überlagert sich, irgendwo bei Schnarchenreuth, mit unserem Universum, wie die Wollina-Karte beweist. Schuld daran sind – grübel, sinnier – wahrscheinlich Quantenwirbler oder ein ergrautes Schwarzes Loch. Vielleicht hat auch eine Zeitmaschine von Daniel Düsentrieb einen relativistischen Gravitationsdrall ausgelöst und die ohnehin gekrümmte Raumzeit endgültig verbogen.

Erika-Fuchs-Haus

Museum für Comic und Sprachkunst nennt sich das kürzlich eröffnete Erika-Fuchs-Haus in Schwarzenbach an der Saale. Dementsprechend geht es auf 600 Quadratmetern sehr unterhaltsam unter anderem darum, wie Erika Fuchs auf ihre kreative Art die Donald-Duck-Comics ins Deutsche übertragen und wie die einstige Chefredakteurin der deutschen „Micky Maus“ die Sprache beeinflusst hat.

Der Besucher kann an verschiedenen Stationen selbst mit der Sprache spielen, kann multimedial Sprechblasen übersetzen (und einsehen, dass die Fuchs-Versionen witziger sind). Er kann zudem durch ein kulissenartig aufgebautes Entenhausen laufen (Geldbad-Möglichkeit im Geldspeicher!) oder an einem großen Touchscreen die fränkischen Bezüge der Duck-Welt abrufen. Ein Film informiert über die Geschichte der Kunstform Comic. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10–18 Uhr

 
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