
Wenn es das Stück, das nun im Meininger Theater zu sehen ist, nicht bereits gäbe: Spätestens jetzt, inmitten der gegenwärtigen Menschheitsplage, müsste es geschrieben werden. Und zwar genau in der Tonart, in der es sein Autor Thornton Wilder 1942 zu Papier gebracht hat.
„Wir sind noch einmal davongekommen“ ist die Geschichte des ewigen Kampfes des zivilisierten Menschen mit sich selbst, von der Eiszeit über Sintflut und Nachkriegstrümmerlandschaft bis zur jüngsten globalen Herausforderung. Das Stück spielt mit Alltagsszenen, die man kennt und mit den Überlebensmitteln, die immer wieder dazu dienen, sich nach Katastrophen neu einzurichten: Mitgefühl, Familie, Bücher.
Die Familie Antrobus hangelt sich schlecht und recht durch alle Katastrophen
Die Komödie belehrt nicht, sie führt vor, wie sich der Mensch im Lauf von 5000 Jahren ziemlich treu geblieben ist in seinem Streben und Beben, in Güte und Bosheit, in Dummheit und Weisheit. Wilders Vorzeigefamilie heißt Antrobus (abgeleitet vom griechischen „Anthropos“ – Mensch). Die typisch amerikanische Mittelschichtfamilie – mit Dienstmädchen – ist das Abbild der biblischen Urahnen: der ständig erfinderische Adam, die alles im Zaume haltende Eva, der unberechenbare Kain (der bereits seinen Bruder erschlagen hat), eine pubertierende Schwester (ohne biblischen Stammbaum) und Lilith, Adams erste Frau und ewige Verführerin.
Die Inszenierung von Tobias Rott europäisiert die Familie dezent. Ausstatterin Cornelia Brey setzt die Sippe, samt Dinosaurier im Vorgarten, in eine karge aber symbolträchtige Landschaft aus Kulissenteilchen. Darin hangeln sich die Antrobus' schlecht und recht durch die Katastrophen – immer am Rand des Abgrunds. In ihrer Beharrlichkeit, Fehler zu wiederholen und trotzdem zu überleben, ähneln sie als Archetypen den Comicfamilien der Feuersteins und Simpsons, deren Schöpfer Thornton Wilder offensichtlich sehr gut verstanden haben.

Verstanden haben die einst revolutionäre Mischung aus Leichtsinn, Tiefsinn, Nonsense, Aus-der-Rolle-Fallen und Sich-dem-Publikum-Zuwenden die Meininger Theatermacher. Die Schauspieler mimen ihre Typen souverän, werfen sich geschickt die Bälle zu, überraschen stets aufs Neue und verkünden ihre selbstgezimmerten Überlebensstrategien scheinbar frei von der Leber weg: Vivian Frey (Vater), Anja Lenßen (Mutter), Marie-Sophie Weidinger (Tochter), Georg Grohmann (Sohn), Nora Hickler (Lily Sabina) und Emil Schwarz (unter anderem Dino, Ansager, Moderator, Wahrsager).
Das Ende des Stückes ist noch nicht geschrieben
Zum Überleben braucht es kein großartiges Interieur (das wird von der nächsten Sintflut eh weggeschwemmt), dazu braucht es vor allem den starrköpfigen Willen weiterzumachen und ein kleines Repertoire an Belohnungen, inklusive Bildung und Zerstreuung. Und nicht zuletzt braucht es eine Mutter, die den Laden zusammenhält. Wenn Anja Lenßen ihre abstandsregelnden, verlängerten Armstelzen zum Theaterhimmel reckt, dann wird sie als Frau Antrobus zur zeitlosen Ikone der Hoffnung (kein Wunder, sie hat's ja schließlich bereits 5000 Jahre mit Adam ausgehalten).
Und wenn die gerne das Geschehen kommentierende Nora Hickler als Lily Sabina kurz vor der nächsten Eiszeit das Publikum mit den Worten verabschiedet „Wir müssen noch ewig so weitermachen. Gehn Sie nach Hause. Das Ende des Stücks ist noch nicht geschrieben. Gute Nacht“, dann fühlt man sich als Mitglied dieser weltumspannenden Sippschaft fast genötigt, das Stück weiterzuschreiben.
Nächste Vorstellungen: 17. 10., 19.30 Uhr; 1.11., 15 Uhr; 7. und 28.11., jeweils 19.30 Uhr. Kartentelefon: (03693) 451 222. www.meininger-staatstheater.de