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PARIS/PRAG
Warum der 1. April für Milan Kundera metaphysische Bedeutung hat
Milan Kundera
Foto: dpa | Milan Kundera
dpa
 |  aktualisiert: 30.03.2014 15:39 Uhr

Wie kaum ein anderer Schriftsteller hat Milan Kundera, der am Dienstag (1. April) in Paris seinen 85. Geburtstag feiert, das Schicksal des Exilanten erlebt. Noch vor seinem Entschluss, nach der Niederschlagung des Prager Frühlings nach Frankreich auszuwandern, schrieb er seinem deutschen Übersetzer mit grünem Kuli einen Brief. „Er fragte, ob er von der tschechischen Sprache weggehen sollte“, erinnert sich Franz Peter Künzel. Er, Künzel, habe Kundera damals mit Nein geantwortet.

Da war Kundera, der 1975 dann doch nach Frankreich gehen sollte, auch im Westen schon bekannt. In der Erzählung „Der Scherz“ von 1967 legte er die Humorlosigkeit des real existierenden Sozialismus in seiner Heimat Tschechoslowakei offen. Darin schickt der Student Ludvik eine folgenschwere Postkarte an seine Kommilitonin Marketa. „Optimismus ist das Opium der Menschheit! Ein gesunder Geist stinkt nach Dummheit! Es lebe Trotzki!“ Was als harmloser Scherz gedacht war, endet für Ludvik in einer Tragödie. Er muss die Universität verlassen und Militärdienst leisten. Jahre später will Ludvik sich am damaligen Parteivorsitzenden der Fakultät rächen. Er verführt dessen Ehefrau, erniedrigt sie bei sadistischem Sex.

Erzählbände wie das „Buch der lächerlichen Liebe“ (deutsch 1986) besiegelten den Ruf Kunderas als eines Schriftstellers, der vom Persönlichsten ausgeht, ohne dabei die großen politischen Zeitläufe aus dem Blick zu verlieren. Er zeigt dabei in pointierten Erzählungen sieben Metamorphosen von Liebe und Sexualität. Der junge tschechische Schriftsteller Jaroslav Rudis findet besonders diesen Band klar und zart zugleich. „Bei Kundera ist unheimlich spannend, dass bei ihm kein Wort überflüssig ist“, sagt der 41-Jährige. Kurios ist, dass Rudis zur deutschen Übersetzung greifen muss, wenn er die neuesten Bücher des weltberühmten Romanciers lesen will. „Er ist der Meinung, er würde die Bücher am besten selbst übersetzen, hat aber keine Zeit dafür“, sagt Rudis.

Kunderas Meisterwerk „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ erschien erst 22 Jahre nach der französischen Erstausgabe von 1984 in einer offiziellen tschechischen Fassung. Zu den Übersetzern hat Kundera ohnehin ein schwieriges Verhältnis. „Es war keine reine Freude“, berichtet Künzel, der für den Suhrkamp-Verlag „Das Leben ist anderswo“ übertrug. Kundera habe damals großes Vertrauen zu seinem französischen Übersetzer gehabt. „Wenn der irgendetwas monierte, dann änderte der gute Kundera das, während ich schon bei der Übersetzung war“, sagt der bald 89-Jährige. Selbst Namen von Figuren blieben nicht verschont.

Verlust der Heimat

Auf den jungen Kundera hatte Künzel ein anderer Schriftsteller aufmerksam gemacht. „Seine Erzählweise mit der Einflechtung von Lebensweisheiten der widersprüchlichen Art – das hatte eine bestimmte Originalität“, meint der Übersetzer. Tatsächlich kommentiert der Erzähler bei Kundera laufend seine Figuren. Kundera flicht scheinbar mühelos philosophische Diskurse, Abhandlungen über mährische Folklore oder Architektur ein. Der Mensch Kundera lag mit seinen eigenen Überzeugungen mitunter daneben, was dem Exilanten in Tschechien bis heute vorgehalten wird. „Warum hat Kundera es geschafft, in jeder Zeit das zu schreiben, was gerade aktuell war?“, bemängelte der Kritiker einer renommierten Literaturzeitung. Kunderas Lobesgedichte auf Stalin sind ebenso wenig vergessen wie sein Vorwurf des „moralischen Exhibitionismus“ an den Bürgerrechtler Vaclav Havel Ende 1968.

Den Verlust der Heimat und das Gefühl des Emigranten, nicht mehr dazuzugehören, machte Kundera in „Die Unwissenheit“ (2001) zum Thema – ähnlich wie auf andere Art Libuse Monikova in „Verklärte Nacht“. Die inneren Widersprüche des eigenen Werdegangs erklärte Kundera in einem Interview einmal so: „Ich bin am 1. April geboren – das hat seine metaphysische Bedeutung, es war zugleich ein schöner Tag und eine schöne Bescherung.“

 
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