Am liebsten wollte man gar keine Worte machen. Gar nichts schreiben über dieses Konzert. Weil alles, was man darüber schreiben wird, nur ansatzweise ausdrücken kann, wie es war und was dieser Musiker . . . ja, was dieser Musiker „macht“. Und weil alle Beschreibungsversuche, alle Schilderungsbemühungen nur andeuten werden, wie intensiv diese Musik ist, wie tief sie reicht. Und weil man auf der Suche nach Vokabeln schnell bei den Superlativen und damit auch Übertreibungen ist. Sensationell, spektakulär, bewegend, großartig. Lassen wir es, um der Gefahr des Kitsches und der Schwärmerei zu entgehen, bei einem: außergewöhnlich. Das Konzert am Mittwochabend beim Würzburger Hafensommer – es war außergewöhnlich. Und außergewöhnlich gut.
Da setzt sich also ein schmaler, 38-jähriger Musiker auf die Bühne, allein mit fünf Gitarren und einer Beatmaschine. Und beginnt zu spielen, dann zu singen. Wenn man das singen nennen kann, was nach wimmern, jammern, beben, zittern, flattern, jaulen, klagen, schreien, krähen klingt. Es ist viel gesagt und geschrieben worden über die Stimme des Ausnahmekünstlers Asaf Avidan.
Unmittelbare Gefühle
Markant ist sie, außerordentlich, viele Oktaven umfassend vom tiefen Bass bis zum extremen Falsett. Aber alle Vergleiche mit amerikanischen Rocksängerinnen und Hippielegenden treffen nicht, Asaf Avidan mag sie auch nicht, weil er sie für anmaßend hält. Lieber ist ihm, was eine französische Journalistin schrieb, selbst wenn es nicht als Kompliment gemeint war: Dass er sich anhöre wie eine verwundete Katze.
Und genau darum geht‘s. Unmittelbare Gefühle. Emotionen, Ängste, Schmerz. Asaf Avidan sitzt also auf der schwimmenden Bühne in seinem Instrumentenarsenal, nicht im grellen Scheinwerferlicht, sondern im Halbdunkel. Und singt. Mit dieser besonderen Stimme, die so verletzt, so schmerzerfüllt und gläsern klingen kann, dass man ihn sofort in den Arm nehmen und festhalten will. Und die dann von jetzt auf gleich alles erfüllt in einem so warmen, so ergreifend schönen Ton, dass man sich selbst umfangen und festgehalten fühlt.
So hingeschrieben, schwarz auf weiß, klingt das furchtbar kitschig. Aber genau das ist das, was Asaf Avidan macht, gerade nicht. Auch wenn es in seinen Liedern scheinbar um immer das Gleiche geht: Liebe und Schmerz. Kräftig und zart, brüchig und energiegeladen, fragil, elektrisierend, unmenschlich fast – alles ist diese Stimme, mit der Avidan, studierter Animationsfilmfachmann, in Israel mal Synchronsprecher unter anderem für „Die Schlümpfe“ war.
Mit welchen Vokabeln beschreibt man Avidans Art? Seine Musik, wenn er wie selbstvergessen singt, versunken ist in das (außerordentlich gute) Gitarrenspiel und manchmal Tönen nachhört, manchmal rasend schnell über die Saiten fährt, wenn er mit dem Mund trompetet oder der Mundharmonika das Heulen überlässt? Wenn er verschroben wie exaltiert mit Mimik und Gestik, am ganzen Körper zuckend das Gesagte, Geklagte untermalt? Vollkommene Hingabe vielleicht. Aber am liebsten würde man keine Worte suchen dafür.
Seelen-Archäologie
Künstler will Avidan sein, kein Entertainer. Einer, der nicht nur gute Show macht, sondern reflektiert. Alles hinterfragt, Seelen-Archäologie betreibt mit seinem Folk-Rock-Blues und immer tiefere Schichten im Innern frei legt und nach dem „Warum“ sucht. Warum hat sie mich verlassen, warum bin ich eifersüchtig, warum tut es so weh, warum habe ich Angst. Am Ende, sagt der Musiker, ist es immer – ganz archaisch – die Angst. Vor der Einsamkeit, vor der eigenen Bedeutungslosigkeit.
Apropos Bedeutungslosigkeit. Dass der Berliner DJ Wankelmut vor sechs Jahren seinen „Reckoning Song“ remixte und die Bearbeitung als radiotaugliches „One Day“ viral und global zum Chartbuster wurde – ja, die Bekanntheit freue ihn schon, sagt Avidan auf der Hafenbühne. Aber dass Wankelmut das „Abrechnungslied“ optimistisch in einen Gute-Laune-Song übersetzte . . . „Ihr könnt heimgehen, die Remix-Version hören und happy sein“, sagt der Sänger. Das sei okay. Aber er selbst habe es so nicht gemeint, sondern an die Brüche, die Scherben im Leben gedacht. Und dann singt er – nachdenklich, versunken - das Original.
Und am Ende, als Gesang und Gitarre dann doch nicht mehr reichten und er die Beatmaschine bearbeitet hat, um im flackernden Scheinwerferlicht orchestrale Klangcollagen zu legen, bedankt sich Asaf Avidan tatsächlich. Dass man ihm, der auch auf Sommerfestivals mit coolen Rockbands und fröhlicher Stimmung „nicht die einfachste Show“ biete, so aufmerksam und geduldig zugehört habe. Dabei gilt das Danke ihm – von einem bewegten, erfüllten Publikum.