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GEMÜNDEN/HALLSTADT
Warum Andreas Kümmert den ESC nicht schaut
Andreas Kümmert und der ESC, das ist eine besondere Geschichte. Im Gespräch äußert sich der Gemündener über den Eklat von Hannover, seine früheren Ängste und neue Songs.
Warum Andreas Kümmert den ESC nicht schaut       -  Leidenschaft auf der Bühne: Andreas Kümmert.
Foto: Thomas Obermeier | Leidenschaft auf der Bühne: Andreas Kümmert.
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 15.07.2024 08:50 Uhr

Hallstadt bei Bamberg, Ende April. Anderthalb Stunden dauert es noch, bis das Konzert mit Andreas Kümmert auf dem Kulturboden in der Marktscheune beginnt. Der Sänger ist gut gelaunt, der Bart frisch gestutzt. Er trägt – wie immer – Kapuzenpulli. Den Soundcheck hat er hinter sich. Gemeinsam mit Keyboarder Sebastian Bach, seinem Begleiter auf der aktuellen Tour, wartet der 29-Jährige auf den Beginn der Show. Vor den beiden steht ein Teller mit Obst und Gemüse-Sticks, daneben Apfelschorle. „Das muss Rock'n'Roll sein“, denkt der Reporter.

Über ein Jahr hat man auf diesen Termin gewartet. Andreas Kümmert hat es den Medien nicht leicht gemacht, seit jenem 5. März 2015, als er den deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest (ESC) gewann, dann aber vor einem Millionenpublikum seinen Verzicht auf das Finale in Wien verkündete. Erklärungsversuche gab es viele, verständnisvolle wie bösartige.

Kümmert selbst sprach lange nicht, er haderte mit Journalisten, gab bald wieder Konzerte, ging ansonsten aber auf Tauchstation. Im September dann outet er sich in der „Süddeutschen“, Kümmert berichtet von Panikattacken, von Angstzuständen. Im März folgt ein ausführliches Interview im „Stern“. Das offene Bekenntnis zu Depressionen ist sein Befreiungsschlag.
 

Frage: Sie hatten ein schwieriges Jahr. Jetzt sind Sie auf Tour und spielen parallel ein neues Album ein. Ist es das, was Sie brauchen?

Andreas Kümmert: Das ist eine ziemlich garstige Frage.

Warum?

Kümmert: Diese Parallelität ist Zufall. Es hat sich halt zeitlich nicht anders legen lassen. Aber es läuft.

Bei der aktuellen Tour treten Sie in kleineren Hallen vor maximal 1000 Zuhörern auf. Ist das Zufall – oder ist das die Suche nach Geborgenheit, nach Nähe?

Kümmert: Ich finde die Frage doof. Wir sind eben auf Club-Tournee, der Sebastian Bach als Keyboarder und ich im Duo, und spielen da meistens vor 400 bis 1000 Leuten.

Macht das mehr Spaß als in großen Hallen?

Kümmert: Man hat einfach die Nähe zum Publikum.

Und die brauchen Sie?

Kümmert: Das direkte Feedback ist wichtig. Man gibt Energie frei und es kommt welche zurück.

Und die neuen Songs, was dürfen die Fans erwarten?

Kümmert: Auf jeden Fall wieder mehr ich, mehr Andreas Kümmert als auf dem letzten Album „Here I am“. Da haben zu großen Teilen andere Leute die Stücke geschrieben, ich war nur der Interpret. Jetzt bin ich wieder sowohl Autor als auch Interpret.

Was erzählen Sie in Ihren Songs? Dominiert Melancholie?

Kümmert: Es ist viel Melancholie dabei, die Songs spiegeln mich selbst wider, ich verarbeite da meine Stimmungen. Die Texte sind manchmal simpel, manchmal auch sehr kryptisch. Da muss man dann um die Ecke denken.

Zum Beispiel?

Kümmert: Da kann ich jetzt gar kein Beispiel nennen. Da muss sich jeder selbst drauf einlassen.

Aber Sie orientieren sich schon weiter an Rock und Blues der 60er, 70er Jahre?

Kümmert: Ja, würde ich schon sagen. Aber ich möchte die Musik von damals, auch den Soul, in die heutige Zeit transformieren und transportieren.

Wie entstehen die Songs? Erst die Musik oder erst die Texte?

Kümmert: Das ist ganz unterschiedlich. Oft gibt es zuerst eine Melodie, dann wieder gibt es eine Text-Idee, die reift und die ich niederschreibe.

Auf der Bühne identifizieren Sie sich mit den selbst geschriebenen Songs anders als mit jenen, die andere geschrieben haben?

Kümmert: Na ja, das eine ist, als würde man etwas vorlesen, was jemand anderes geschrieben hat. Man versucht eben, sich das so gut es geht anzueignen. Und das andere ist: Man liest etwas vor, was man auch selbst entworfen hat. Da hat man ein ganz anderes Gefühl.

Spielt die Region beim Texten von Liedern eine Rolle?

Kümmert: Die Frage verstehe ich nicht.

Können die Texte genauso in der Großstadt spielen wie in Gemünden?

Kümmert: Ach, so meinen Sie das. Ich denke ja. In erster Linie geht?s um Gefühle, eine Emotion, die jeder kennt oder schon mal gefühlt hat, egal wo er herkommt.

Sind Sie lieber im Studio oder lieber auf der Bühne?

Kümmert: Momentan bin ich lieber auf der Bühne, muss ich ehrlich sagen.

Warum?

Kümmert: Es ist mehr Abwechslung. Im Studio ist richtig konzentriertes Arbeiten, auf der Bühne kann man bei den Stücken einfach auch mal loslassen, weil die ja schon existieren.

Welche Rolle spielt das Publikum? Sie haben neulich mal gesagt: „Das Schöne ist die Nähe, das Schlimme ist aber auch die Nähe.“

Kümmert: Ja, so ist es. Aber das gilt vermutlich für jeden Menschen, der auf eine Menschenmasse trifft, die er nicht wirklich kennt. Man hat dabei immer so ein Unbehagen. Also ich empfinde das zumindest so.

Sie haben vor einigen Monaten erstmals Ängste, Panikattacken, eine Depression öffentlich gemacht? Ist Ihnen das schwer gefallen?

Kümmert. Ja, auf jeden Fall. Weil das etwas ist, was man nicht so gerne zugibt. Weil es um Schwäche geht. Aber mittlerweile ist das kein Problem mehr.

Wie waren die Reaktionen? Der Umgang mit Depressionen ist noch immer mit vielen Tabus belegt.

Kümmert: Ich achte nicht auf Reaktionen. Ich lese mir nichts mehr durch, keine Artikel, keine Posts auf Facebook. Ich habe gelernt, dass man das nicht machen sollte. Wenn mir jemand etwas sagen möchte, kann er dies Face to Face nach den Konzerten tun. Wir stehen da meistens noch eine Stunde am Merchandising-Stand. Aber ich habe gehört, dass viele andere Depressions-Patienten meine Interviews recht aufschlussreich fanden.

Das halten Sie konsequent durch, einfach nichts zu lesen?

Kümmert: Ja.

Welche Rolle spielt denn die Musik bei der Therapie?

Kümmert: Eine große natürlich. Aber Musik spielt generell eine große Rolle in meinem Leben. Ich höre mir gerne Musik an, mit der ich mich identifizieren kann, auch lyrisch.

Warum Andreas Kümmert den ESC nicht schaut       -  Lebt für seine Musik: Andreas Kümmert im Interview.
Foto: Thomas Obermeier | Lebt für seine Musik: Andreas Kümmert im Interview.

Zum Beispiel?

Kümmert: Ich höre sehr viel 70er Jahre Sachen, viel Led Zeppelin, Stones, ich höre gerne die Eagles, auch neuere Sachen wie die Deftones. Ich mag progressive Bands wie Tool. Mir kommt es drauf an, dass die Texte eine Botschaft haben. Ich bin ein großer Fan von Velvet Underground. Diese erste Platte, die mit dem Bananen-Cover von Andy Warhol, die ist großartig. Da entfaltet sich in den Texten eine Kryptik, das ist Avantgarde, die man es sich als Musik nicht wirklich vorstellen kann. Aber es funktioniert trotzdem.

Hilft das in krisenhaften Situationen?

Kümmert. Ja, natürlich. Weil man das Gefühl hat, jemand anderes hat das auch schon mal erlebt. Man kann sich daraus einfach unglaublich viele Stärken ziehen.

Der Augenblick, als Sie den ESC-Entscheid in Hannover gewonnen und vor Millionenpublikum den Verzicht erklärt haben: Können Sie in einem Satz zusammenfassen, was da abging?

Kümmert: Furcht, einfach die blanke Angst.

Ich fand es vor allem auch sehr mutig, gerade weil Ihnen klar sein musste, dass Sie viele Fans enttäuschen.

Kümmert: Ja und nein. Wenn jemand wirklich Fan der Musik ist, braucht er nicht enttäuscht sein. Die Musik hat stattgefunden, die Musik hat es danach weitergegeben. Da habe ich eigentlich niemanden enttäuscht. Vielleicht habe ich den klassischen „Tatort“-Gucker enttäuscht, der nur mal so zugeschaut und angerufen hat, weil ihm das Stück gefallen hat. Für den tut es mir natürlich leid.

Haben Sie die Absage jemals bereut?

Kümmert: Nein. Ich denke, Vieles wäre einfach noch schlimmer gelaufen, wenn ich am ESC-Finale teilgenommen hätte und nicht vorher die Bremse gezogen und mir eingestanden hätte, dass ich ein Problem habe. Dadurch, dass mir das aber gelungen ist, verläuft jetzt alles einfach besser. Und wenn man mal im Nachhinein drüber nachdenkt: Rein PR-technisch hat die Absage mehr gebracht als die Teilnahme.

Möglicherweise. Es sei denn, Sie hätten in Wien gewonnen.

Kümmert: Ja, aber so einen Rückzug hat noch keiner zuvor gemacht.

Die x-mal gestellte Frage lautet dann ja immer: Warum sind Sie überhaupt angetreten?

Kümmert: Ja, weil ich gedacht habe, ich hätte die Kraft dazu.

Das dem nicht so ist, ist Ihnen dann erst während des Auftritts auf der Bühne tatsächlich klar geworden?

Kümmert: Jeder, der sagt, das hätte er doch vorher wissen können, den würde ich widerlegen wollen. Man kann es vorher einfach nicht wissen. Ich hatte Fernseherfahrung, aber nicht in dieser Größenordnung. Daher ist diese Aussage einfach totaler Blödsinn.

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Was gibt Ihnen Halt, wo holen Sie Ihre Energie?

Kümmert: Halt gibt mir auf jeden Fall die Musik. Und all die Dinge, die ich einfach gern mache: Platten sammeln, lesen, viel schreiben, zuhause musizieren. Meine Freundin gibt mir auch Halt.

Was lesen Sie?

Kümmert: Aktuell lese ich Schopenhauer. So philosophische Sachen mag ich gern. Ich lese aber auch andere Sachen, viel Stephen King.

Wer inspiriert mehr?

Kümmert: Dann doch eher Schopenhauer.

Lesen Sie auch Lyrik?

Kümmert: Ich schreibe selbst Gedichte.

Werden die dann zu Songs?

Kümmert: Eher selten. Die Gedichte sind ja in Deutsch, die Songtexte englisch.

Letzte Frage noch: Verfolgen Sie, was in Sachen ESC so läuft?

Kümmert: Ich habe gar keinen Fernsehanschluss.


Andreas Kümmert:  Live beim Würzburger U & D

Fans von Andreas Kümmert dürfen sich auf Sonntag, 19. Juni, freuen. Um 20.40 Uhr tritt der Gemündener live beim Umsonst & Draussen-Festival (U & D) auf den Mainwiesen in Würzburg auf. Das U & D habe ihn und seine Musik schon gefördert, als er noch nicht so bekannt gewesen sei, sagt Kümmert. Nicht zuletzt deshalb spiele er dort immer wieder gern. Weitere Konzerte mit Andreas Kümmert in der Region sind am Freitag, 22. Juli (20 Uhr), beim Sommer-Open-Air auf Burg Wertheim (Lkr. Main-Tauber), am Freitag, 28. Oktober, im Hirsch in Nürnberg und am Sonntag, 13. November, in der Batschkapp in Frankfurt.

 
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