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WÜRZBURG
Vorstadtweiber: Vorgebliche Freundinnen
In Serie: In einer Reihe von Artikeln beschäftigen wir uns feuilletonistisch mit alten und neuen Fernsehserien. Heute: „Vorstadtweiber“ oder Die Housewives treffen Kottan.
Das Erste / Tagessieg für die 'Vorstadtweiber' im Ersten       -  Sehr, sehr gute Freundinnen, die nur darauf warten, einander zu hintergehen: Maria (Gerti Drassl), Nicoletta (Nina Proll), Caro (Martina Ebm), Waltraud (Maria Köstlinger) und Sabine (Adina Vetter).
Foto: : ARD/ORF/MR Film/Petro Domenigg | Sehr, sehr gute Freundinnen, die nur darauf warten, einander zu hintergehen: Maria (Gerti Drassl), Nicoletta (Nina Proll), Caro (Martina Ebm), Waltraud (Maria Köstlinger) und Sabine (Adina Vetter).
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 03.12.2019 08:49 Uhr

Wie viele gute Geschichten beginnt auch diese mit einer Beerdigung. Wobei der Zuschauer erst sehr viel später erfährt, wer da beerdigt wird. Eines allerdings ist klar: Mit dem Ableben der zu beerdigenden Person ist etwas faul. Major Pudschedl von der Kriminalpolizei formuliert es so: „Es gibt den Verdacht auf eine Mutmaßlichkeit.“

Jörg Pudschedl ist nur eine Nebenfigur in der österreichischen Serie „Vorstadtweiber“, aber eine wichtige. Denn er hat in extremster Ausprägung das Problem, das hier alle Männer haben: Frauen. Frauen heiratet man, man nutzt sie aus, belehrt sie, betrügt sie, lässt sie sitzen. Aber ernst nimmt man sie nicht. Selbst dann nicht, wenn man sie so neurotisch fürchtet wie Major Pudschedl.

Auf eingangs erwähntem Begräbnis benehmen sich die Männer höchst verdächtig, verhaftet werden aber die Frauen. Obwohl die – sehr ausnahmsweise – an dieser speziellen Mutmaßlichkeit unschuldig sind.

Die erste Staffel der „Vorstadtweiber“ lief mit zehn Folgen im Mai und Juni in der ARD, eine zweite soll bis Ende das Jahres abgedreht sein, eine dritte ist beschlossene Sache. Während das vereinigte Feuilleton an klischeehaften Figuren und einem mäßig spannenden Plot herummeckerte, war das Publikum Feuer und Flamme. Tatsächlich findet die Serie nach ein, zwei hölzernen Ecken sehr schnell zu einem wunderbar wurschtigen Tonfall, der lustvoll und mit viel Schmäh alle Ösi-Klischees bedient und dabei eine Brücke schlägt zwischen „Kottan ermittelt“ und „Desperate Housewives“. Aufgebaut ist die Serie pikanterweise wie Arthur Schnitzlers Skandalstück „Reigen“ aus dem Jahr 1920.

Warum das so ist, lässt sich nicht belegen, wenn man zu viel von der Handlung ausplaudert – wer die Serie noch nicht gesehen hat, der liest also ab hier auf eigene Gefahr weiter. „Vorstadtweiber“ spielt in einem Wiener Nobelvorort, der es an Trostlosigkeit locker mit jeder Reihenhaussiedlung der Mittelschicht aufnehmen kann. Die Männer sind – vorgeblich – erfolgreich und wichtig, die Frauen (bis auf eine) dank zu ihren Ungunsten abgeschlossener Eheverträge abhängig und untätig.

Politiker und Polizisten sind unfähig und/oder korrupt. Unehrlich sind sie alle miteinander.

Es gibt fünf Vorstadtweiber, ein Kreis vorgeblicher Freundinnen, die keine Gelegenheit auslassen, einander die Butter vom Brot zu nehmen. Im Mittelpunkt steht die schüchterne und enervierend integre Maria. Sie wird sich angesichts der Ereignisse vom ahnungslosen Muttchen zur wilden Rachegöttin entwickeln. Als Katalysator erweist sich dabei die Entdeckung der weiten Welt des (bezahlten) Sex. Ihrem alten Allheilmittel bleibt Maria dennoch treu: Malakoff-Torte. Es gibt keine Seelenpein, der nicht mit einem Stück Malakoff-Torte beizukommen wäre. Die großartige Gerti Drassl verkörpert die Metamorphose so überzeugend, dass einem nur Angst und Bange werden kann.

Marias beste Freundin ist Waltraud (Maria Köstlinger), eine verarmte Adlige, die mit Josef verheiratet ist, einem ambitionierten Ministerialrat auf der Schwelle der Ernennung zum Hofrat. Ach ja: Waltraud geht mit Marias 16-jährigem Sohn Simon ins Bett, aber das weiß Maria natürlich nicht.

Marias Mann Georg seinerseits geht mit dem Minister Schnitzler ins Bett, während er werktags angeblich in Dubai seinen Geschäften nachgeht. Der Schnitzler (netter Running Gag: „Der Minister, nicht der Schriftsteller.“) kungelt mit Waltrauds Mann Josef, der wiederum ein Verhältnis mit Nicoletta (Nina Proll) hat, die in ihrer Boutique gefälschte Edelfummel an die Freundinnen verkauft. Waltraud will Josef loswerden, Nicoletta will ihn heiraten – klingt nach einem gemeinsamen Anliegen, nur dass Waltraud nichts von Nicolettas Verhältnis mit Josef weiß. . . Georg nutzt sein Verhältnis mit Schnitzler (dem Minister, nicht dem Schriftsteller), um an geheime Autobahnbaupläne der Regierung heranzukommen und damit Immobilienspekulation im großen Stil zu betreiben. Dafür braucht er den Banker Hardy, der mit Marias Freundin Caro (Martina Ebm) verheiratet ist, und den Lobbyisten Bertram, der ein Verhältnis mit Caro hat.

Der Reigen schließt sich mit Sabine (Adina Vetter). Sie ist aus dem Kreise der Freundinnen geflogen, nachdem ihr Mann sie mittellos auf die Straße gesetzt hatte. Als geborene Intrigantin angelt sie sich schließlich Bertram und ist damit wieder im Spiel. Bis dahin warten allerdings ein paar Schlaglöcher. Beim Arbeitsamt antwortet sie auf die Frage „Was haben Sie bitte in der Zeit von 2007 bis jetzt gemacht?“ mit einem schlichten „Ich war shoppen“.

Natürlich ist das Prinzip „Jeder mit jeder“ nicht wirklich neu. Es ist schon vor Schnitzler (dem Schriftsteller, nicht dem Minister) beschrieben worden. Von Heinrich Heine, zum Beispiel: „Es ist eine alte Geschichte, / Doch bleibt sie immer neu; / Und wem sie just passieret, / Dem bricht das Herz entzwei.“ Die „Vorstadtweiber“ sind eine ziemlich unterhaltsame Variation dieses alten Themas.

Lesen Sie in der nächsten Folge: „Türkisch für Anfänger“ oder Elyas M?Barek als Bilderbuch-Machotürke.

 
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