„Und selbst wenn man sie uns widergäbe, diese Landschaft unserer Jugend, wir würden wenig damit anzufangen wissen.“ Dieses Zitat aus Erich Maria Remarques Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“ macht Paolo Giordano (31) zum Leitthema seines Buchs: Es gibt eine Geschichte vor dem Krieg und eine nach dem Krieg.
Nach seinem Bestseller „Die Einsamkeit der Primzahlen“ 2008 nimmt sich der Italiener in „Der menschliche Körper“ mit dem Krieg in Afghanistan eines unbequemen, wenig beliebten Themas an. Doch wie er den Krieg beschreibt, geht alle an. Die jungen Soldaten, von denen Giordano erzählt, stammen aus der Mitte unserer Gesellschaft.
Erotischer Internet-Chat
Da ist der Militärarzt Alessandro, der seine Familienprobleme in der Bergwelt Afghanistans durch Beruhigungspillen zu betäuben versucht. Feldwebel Antonio, der sich in der Heimat ein Zubrot als Callboy verdiente, erfährt, dass eine Zufallsbekanntschaft ein Kind erwartet. Muttersöhnchen Ietri, von einem Kumpel spöttisch „Jungfräulein“ genannt, ist mit seiner Naivität das geborene Opfer der Truppe. Der Sarde Torsu kompensiert seine Einsamkeit mit einem erotischen Internet-Chat, Di Salvo bekifft sich, die Soldatin Zampiero überspielt ihre weibliche Außenseiterrolle mit aufgesetzter Wurschtigkeit.
Alle sind im Lager auf engstem Raum zusammengepfercht und auf ihre Körperlichkeit zurückgeworfen. Schwitzen, Essen, Verdauen, sich Entleeren, es gibt keine Zurückhaltung, keine Scham mehr, wie der Militärarzt feststellt: „Viele Merkmale, die den Menschen vom Tier unterscheiden, sind nicht mehr zu erkennen. Von nun an, so überlegt er, existiert er selbst nicht mehr als menschliches Wesen.“ Ein Angriff der Taliban auf einen Militärkonvoi ist der dramatische Höhepunkt der Geschichte, die nur Tote oder Traumatisierte zurücklässt. Die Davongekommenen versuchen, ihr Leben unkenntlich zu machen, die Spuren der verstörenden Vergangenheit zu verwischen. Sie wechseln den Wohnort, den Beruf, die Frau, ihre Essgewohnheiten, ihre Frisur, versuchen „einen Schutzraum zu schaffen, in den nicht einmal die Erinnerung würde eindringen können“. Man ahnt, dass das kaum möglich sein wird.
Paolo Giordano: Der menschliche Körper (Rowohlt, 416 S., 19,95 Euro)