Wenn sich heute junge Menschen an der Universität Würzburg oder irgendwo sonst auf der Welt im Fach Ägyptologie einschreiben, müssen sie zuallererst eines lernen: Hieroglyphen lesen und verstehen. Keine leichte Aufgabe – in der klassischen Zeit der altägyptischen Kultur waren 700 Zeichen in Gebrauch. Später, nach der Eroberung durch Alexander den Großen, in der griechisch-römischen Zeit, wurden es noch viel, viel mehr.
Dass die Zeichen überhaupt enträtselt wurden, haben die Studierenden – und die restliche Welt – im Wesentlichen zwei Männern zu verdanken: dem französischen Sprachwissenschaftlicher Jean-François Champollion (1790-1832) und dem deutschen Universalgelehrten Atanasius Kircher (1602-1680), der von 1629 bis 1631 Professor in Würzburg war, bevor ihn der Dreißigjährige Krieg zwang, das Land zu verlassen.
Die beiden haben in einer Art Gemeinschaftsarbeit – freilich im Abstand von rund 200 Jahren – das Rätsel der Hieroglyphen gelöst. Kircher, indem er eine Grammatik des Koptischen schrieb, einer toten altägyptischen Sprache, und Champollion, indem er – gestützt unter anderem auf diese Grammatik – den berühmten Stein von Rosette entzifferte.
Wie sollte man die unterschiedlichen Zeichen und Sprachen miteinander in Beziehung setzen?
Der Stein, auf dem die Verdienste des Pharaos Ptolemaios V. gewürdigt werden, war 1799 in Ägypten ausgegraben worden. Er enthält ein und dieselbe Inschrift in dreifacher Ausfertigung: in Hieroglyphen, auf Griechisch und auf Demotisch, einer Schriftsprache, die von den Hieroglyphen abstammt. Plötzlich lag also ein Hieroglyphentext mitsamt Übersetzung vor. Das Griechische konnte man lesen, die anderen Texte nicht. Aber wie sollte man die unterschiedlichen Zeichen und Sprachen miteinander in Beziehung setzen?
Champollion hatte am 14. September 1822 per Post eine Abschrift des Steins bekommen. Der junge Gelehrte, offensichtlich ein Sprachgenie, beherrschte Latein, Griechisch, Hebräisch, Arabisch, Syrisch, Aramäisch, Persisch, Äthiopisch, Chaldäisch – und dank Kircher eben auch die ausgestorbene ägyptische Sprache, das Koptische. Viele Forscher und Gelehrte vor ihm – auch Kircher – hatten versucht, die Hieroglyphen zu entschlüsseln, aber Champollion war der erste, der auf die zündende Idee kam, die Zeichen mit dem Koptischen abzugleichen.
Champollion war der Erste, dem es gelang, ägyptische Pharaonen-Namen zu entziffern
Vor genau 200 Jahren, am 27. September 1822, gab Champollion in einer Sitzung der Académie des Inscriptions et Belles Lettres in Paris bekannt, was er knapp zwei Wochen zuvor herausgefunden hatte: Man muss die bildhaften Zeichen mit dem entsprechenden Laut im Koptischen umsetzen.
"Der entscheidende Punkt ist, das es Champollion gelungen ist, zum ersten Mal ägyptische Pharaonen-Namen zu entziffern, und weil solche Namen auch immer gleichzeitig Phrasen sind, sind ihm damit auch die ersten Lesungen von Wörtern und Sätzen gelungen", sagt Prof. Martin Andreas Stadler, Inhaber des Lehrstuhls für Ägyptologie an der Universität Würzburg.
Schon vor Champollion war es gelungen, etwa den Namen des Ptolemaios und den der Kleopatra in den Schriftzeichen zu erkennen. Doch das waren griechische Namen, die in Hieroglyphen umgesetzt worden waren. Deren Entschlüsselung half nicht wirklich weiter. Es gab sozusagen zwei Lager: Diejenigen, die glaubten, dass Hieroglyphen eine Bilderschrift seien, und diejenigen, die erkannt hatten, dass es auch Lautzeichen gibt, etwa für Konsonanten.
Champollion wusste, dass im Text ägyptische Pharaonen-Namen vorkamen. Also suchte er das Zeichen für Sonne, das im Koptischen dem Laut "Re" oder "Ra" entspricht. Dann waren da noch Konsonanten-Zeichen für S und für MS – heraus kam "Ramses". Der Einstieg war gemacht.
Bis heute können die Forscher Hieroglyphentexte nicht einfach runterlesen
Seither ist jede Menge passiert. Champollion selbst starb mit nur 42 Jahren. "Er hat unheimlich viel geleistet, aber nach seinem Tod kam die Forschung zunächst zum Erliegen", erzählt Martin Stadler. "Die Nachfolge trat dann Karl Richard Lepsius (1810-1884) in Berlin an, der die Sache zum weitgehenden Abschluss gebracht hat." Die wichtigsten Fortschritte wurden in Berlin und in Großbritannien gemacht, weswegen es heute eine Berliner und eine britische Schule gibt, die freilich miteinander verwandt sind.
Die Berliner brachten das Wörterbuch der ägyptischen Sprache heraus, das ständig fortgeführt und inzwischen auch in die digitale Welt übertragen wird, die Briten entwickelten mit Alan Henderson Gardiner Mitte des 20. Jahrhunderts in England die wesentliche, heute noch gültige Grammatik des Mittelägyptischen. "Von der Berliner Schule hängen wir letztlich alle ab", sagt Martin Stadler.
Allerdings: "Es gibt fast keinen ägyptischen Text, der einfach so problemlos runtergelesen werden kann. In jedem Text gibt es die eine oder andere Schwierigkeit. Dass man denkt, vielleicht ist hier ein Schreiber-Fehler. Aber man muss sich hüten zu glauben, dass man als Ägyptologe besser Ägyptisch kann als die Ägypter."
Besonders in der Spätzeit hätten zudem allegorische, metaphorische und mythologische Anspielungen eine regelrechte Explosion der Menge an Zeichen auf bis zu 7000 bewirkt, was die Sache zusätzlich erschwere. "Da wartet noch viel Arbeit auf uns." Zum Beispiel im Tempel von Edfu, der aus der griechisch-römischen Zeit stammt. Hier arbeiten Stadler und sein Team an der Entzifferung der komplexen Inschriften.
Knauf-Museum Iphofen: Ausstellungsinsel "200 Jahre Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen". Bis 6. November. Öffnungszeiten: Di-Sa. 10-17 Uhr, So 11-17 Uhr.