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NÜRNBERG
Von Licht und von Schlaflosigkeit
Dunkle Stunden: Mit seiner Glühbirne hat Edison Geister und Vampire der Nacht ausgetrieben. Manchmal gelingt es dem Nachtmahr aber dennoch, sich ins Bewusstsein zu drängen.
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 03.12.2019 11:02 Uhr

Schlaf sei vergeudete Arbeitszeit, befand Thomas Alva Edison und drückte angeblich nur zwei Stunden pro Nacht das Kissen. Und weil der US-amerikanische Erfinder – er lebte von 1847 bis 1931 – nicht schlafen konnte oder wollte, sehen wir heute den Sternenhimmel nicht mehr richtig.

Absurd, diese Behauptung? Nicht wirklich. Anstatt zu schlafen, hat Edison gegrübelt, gebastelt und ausprobiert – und mehr als 1000 Patente angemeldet, darunter die Glühbirne. Die hat er zwar nicht erfunden, aber alltagstauglich gemacht. Patent Nummer 223.898, erteilt am 27. Januar 1880, veränderte die Welt, das (Schlaf-)Verhalten der Menschen und sogar das Aussehen des Planeten Erde aus dem All: Denn da ist jetzt Licht auch auf der Nachtseite!

Elektrisches Licht hat sich binnen weniger Jahrzehnte weltweit ausgebreitet. Helle Straßen sind schön, helle Straßen sind sicher. Aber die technischen Nachfahren von Edisons patenter „electric lamp“ verdunkeln heute sogar den Sternenhimmel. Wissenschaftler schätzen, dass mehr als 80 Prozent der Weltbevölkerung von der sogenannten Lichtverschmutzung betroffen sind. In Europa und den Vereinigten Staaten ist der Anteil noch höher. Die meisten in Industrienationen lebenden Menschen können die Milchstraße nicht mehr erkennen, weil Straßenbeleuchtung, Gebäudestrahler, Leuchtreklame und Autoscheinwerfer Licht auch nach oben senden. Über großen Städten bilden sich weithin sichtbare Lichtglocken.

Die Videoinstallation „Lost in Light“ des in Kalifornien lebenden Filmemachers Sriram Murali zeigt in der Ausstellung „Die Nacht“ des Nürnberger Museums für Kommunikation, was den Menschen entgeht. In verschiedenen „Levels“, die ineinander überblenden, werden Himmelsausschnitte gezeigt. Am Anfang des Videos, bei voller Lichtverschmutzung, ist fast kein Stern zu erkennen. Je weniger künstliches Licht abstrahlt, umso mehr Sterne kommen zum Vorschein. Zuletzt spannt sich das Band der Milchstraße hell und in vielen Farben schimmernd übers Firmament.

Die Angst vor der Dunkelheit

Der Nachthimmel, wie wir ihn heute über Städten sehen, ist nichtssagend. Die Nacht hat ihr Geheimnis verloren, das jahrtausendelang die Menschen faszinierte. In den Weiten des unbegreiflichen Sternenhimmels fand man einst Fabelwesen und mythische Gestalten, entdeckte Drache, Wasserschlange und Zentaur, sah Perseus und Andromeda.

Doch: Als die Nacht noch dunkel war, rief dieses Geheimnis auch Ängste hervor. Man fürchtete sich vor Nachtmahren, die die Schlafenden heimsuchen; vor Vampiren, die ihr Unwesen ausschließlich im Dunkeln treiben; vor Geistern, die zur Mitternacht spuken.

Man könnte Edisons im Glaskolben-Vakuum hell glimmende Kohlefäden samt nachfolgender Lichtverschmutzung auch als Folge dieser Angst sehen: Als unbewussten Versuch nämlich, sie zu überwinden. Als Akt der Befreiung: Wenn's 24 Stunden lang hell ist, haben spukhafte Nachtgestalten keine Macht mehr.

Allerdings ist Lichtverschmutzung schlecht für die Ökologie. Und: Das Negieren des Tag-Nacht-Rhythmus beeinträchtigt die Fähigkeit zum Schlaf. Angeblich leiden 34 Millionen Deutsche an Schlafstörungen. Wer nachts nicht schlafen kann, findet sich in einer Zwischenwelt von Wachsein und Traum, in der sich ungute Gefühle mit seltsamen Gedankenfetzen mischen. Reales und Irreales wirbelt durcheinander.

Was der Nicht-Schläfer da erlebt, ist nicht wesentlich besser als die Angst vorm Nachtmahr. Alle Geister der Nacht hat Edison also nicht vertreiben . . .

Die Ausstellung

„Die Nacht – alles außer Schlaf“ im Museum für Kommunikation Nürnberg – 350 Objekte aus Mythos, Astronomie, Kunst, Popkultur und Technikgeschichte (bis 10. März).

Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 9–17, Samstag, Sonntag 10–18 Uhr.

Requisit aus dem Film „Der Nachtmahr“ von Achim Bornhak.
Foto: ooo-Films, LIGA 01 | Requisit aus dem Film „Der Nachtmahr“ von Achim Bornhak.
 
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