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WÜRZBURG
Vom König, der die Natur knechtete, um ein Paradies zu schaffen
Effektvoll beleuchtete Rokoko-Symmetrie: der Hofgarten der Würzburger Residenz (Südansicht). Die Anlage geht auf den Gartenkünstler Johann Prokop Mayer (1735-1804) zurück. Er verwirklichte auf dem einstigen Areal der alten Stadtbefestigung in sich geschlossene Gartenpartien.
Foto: Silvia Gralla | Effektvoll beleuchtete Rokoko-Symmetrie: der Hofgarten der Würzburger Residenz (Südansicht). Die Anlage geht auf den Gartenkünstler Johann Prokop Mayer (1735-1804) zurück.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:23 Uhr

Erstmals erschienen ist der Liebesroman 1499 in Venedig. Darin geht um Poliphilo. Er begehrt die schöne Polia. Doch nicht dieses Thema interessiert Gartenhistoriker in dem Buch „Hypnerotomachia Poliphili“, frei übersetzt mit „Der Traum des Polophilo“ von Francesco Colonna. Vielmehr sind es die Beschreibungen der Natur beziehungsweise der Landschaften und Gärten, die Poliphilo auf seiner Suche nach der entschwundenen Polia durchquert.

Die Hypnerotomachia sei „für die Ideengeschichte der Gartenkunst von unschätzbarem Wert“, schreibt Clemens Alexander Wimmer in seiner „Geschichte der Gartentheorie“. Der Roman „enthält die Ideen der kommenden Zeit in grandioser Reinheit: mikrokosmische Versammlung der ganzen Natur unter Herrschaft des Menschen, hierarchische Stufung, Axialität und geometrische Durchformung aller Teile“. Es habe lange gedauert, bis dieser Ideenzustand allgemein erreicht war, so Wimmer.

Diese Ideen tauchen im Buch als Traum im Traum auf: einsame Ebenen, düstere Wälder, Felder und Wiesen, eine Ruinenstadt. Dazu Gärten mit Bächen, Kanälen, Brunnen, beschnittenen Bäumen und Hecken, Arkaden, Kolonnaden, Pergolen, Figuren, Tempeln, Obelisken, Altären, wasserbetriebenen Maschinen, einem Labyrinth. Schließlich die runde Insel Kythera mit ihren Lust-, Gemüse-, Obst-, Kräuter-, Baum- und Buschgärten sowie die genauen Angaben über Größe, Form, Material, Pflanzenarten und Tieren.

Der Feldherr und der Ackerbau

Es kommt alles vor, was einen Renaissancegarten ausmacht. Ebenso Elemente, die später in einem Barockgarten in Szene gesetzt wurden.

Die Idee des Gartens beziehungsweise der von Menschenhand gestalteten Natur gibt es jedoch nicht erst seit der Renaissance. Auch aus antiker Zeit sind Abhandlungen bekannt. Wobei nicht nur ästhetische Gestaltungsmerkmale im Vordergrund standen. So hat sich zum Beispiel der Feldherr Marcus Terentius Varro in seinen drei Büchern zu den „Rerum rusticarum“ vor über 2000 Jahren mit dem Ackerbau beschäftigt. Sie behandeln Lage, Bepflanzung, Haustierhaltung, Obsthäuser und die Beschreibung eines Vogelhauses.

Die ältesten Darstellungen von Gärten stammen aus Grabstätten in Ägypten und sind damit älter als die zu den sieben Weltwundern zählenden Hängenden Gärten der Semiramis, die nach Babylon am Euphrat und nach Ninive (im heutigen Irak) verortet werden.

Auf dem 3400 Jahre alten Fragment aus Ägypten ist ein fischreicher Gartenteich inmitten von Bäumen zu sehen. Es stammt aus dem Grab des Beamten Nebanum in Theben (heute British Museum, London).

Erhalten haben sich zudem Miniaturmodelle, die Verstorbenen auf ihre Reise ins Jenseits mitgegeben wurden. Sie zeigen: Der ägyptische Garten war ein geschützter, mit einer hohen Mauer von der Außenwelt abgetrennter Ort. Wiederkehrende Elemente sind rechteckige Wasserbecken, Bäume, in Reihen angeordnet, und Laubengänge.

Das Wort Paradies kommt aus dem Persischen

Auch islamische Gärten sind geometrisch aufgebaut, von Mauern umgeben und werden durch zwei Kanäle in vier Flächen unterteilt; sie symbolisieren die vier Flüsse des Paradieses beziehungsweise die vier Weltgegenden. Im Zentrum befindet sich ein größeres Wasserbecken.

Denkmal in Form eines Felsenbrunnens für Jöns P. Lindahl im Würzburger Ringpark. Weil seine Ideen für den Park nicht ankamen, erschoss er sich 1887.
Foto: Thomas Obermeier | Denkmal in Form eines Felsenbrunnens für Jöns P. Lindahl im Würzburger Ringpark. Weil seine Ideen für den Park nicht ankamen, erschoss er sich 1887.

Das Wort Paradies kommt aus dem Persischen und bedeutet ursprünglich Umzäunung, Flechtwerk. Es steht also für einen abgegrenzten Ort. Ebenso der Begriff Garten. Er lässt sich vom indogermanischen „gher“ sowie „ghortos“ ableiten. Im Lateinischen wurde daraus „hortus“ und bedeutet Ruten, die ineinander verflochten ein Gebiet einfriedeten.

Alles begann im Garten in Eden

Über der Geschichte der Gärten schwebe immer der Mythos vom Paradies, so der Historiker Hans von Trotha. Er gründet auf das 1. Buch Mose des Alten Testaments: „Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein.“ Doch der Aufenthalt in diesem ersten Garten mit allerlei Bäumen und einem Strom mit vier Hauptarmen war kurz. Geblieben ist die Sehnsucht.

Die Geschichte der europäischen Gartenkunst beginnt mit dem mittelalterlichen Klostergarten. Er diente vor allem zur Selbstversorgung der Mönche. Deshalb war er unterteilt in Nutz-, Kräuter und Obstgarten. Im Baumgarten wurden die Mönche begraben. Wie der Komplex idealerweise aufgebaut war, zeigt der aus dem frühen 9. Jahrhundert erhaltene St. Galler Klosterplan.

Darüber hinaus gehörten Orte der Meditation und des Gebets zum Klostergarten – der Kreuzgang. Historiker von Trotha bezeichnet ihn als die Keimzelle der europäischen Gartenkunst. Zwei Wege kreuzen sich, im Zentrum meist ein Brunnen. Es gibt keine Durchblicke in die Außenwelt. Alles ist wohl geordnet und harmonisch. Auf diese Keimzelle gehen in der mittelalterlichen Kunst die Abbildungen des Paradiesgärtleins, des Hortus conclusus zurück.

Der Garten als Sehnsuchtsort

Wer einen Garten betritt, lässt somit die „normale“ chaotische Welt hinter sich. Er taucht ein in die im Lauf der Zeit inszenierten Vorstellungen des Sehnsuchtsortes. Profan betrachtet, kann das auch ein Herrschaftsgebiet sein. Denn andere Wortableitungen für Garten sind das altnordische „gardr“ für Hof oder das slawische „grad“ für Burg, Befestigung.

Der Garten der Renaissancezeit wird als Weiterentwicklung des Klostergartens betrachtet. Er ist Teil einer Villa, eines repräsentativen Landsitzes, wie die Villa d'Este nahe Rom oder die Villa di Castello der Medici in Florenz. Der italienische Garten hat einen regelmäßigen geometrischen Grundriss und wird so in mehrere Abschnitte unterteilt, in denen Kaskaden, Springbrunnen oder kleine Seen angelegt wurden. Zur symbolisch-allegorischen Ausstattung gehören antike Statuen, Relieffragmente oder Grotten.

Natur als Bühne fürs höfische Zeremoniell

Die Hauptachse des Gartens ist nicht immer auf das Hauptgebäude bezogen. Dies ändert sich in Frankreich, wo Architektur und Natur eine Einheit bilden. Dort wächst nichts so, wie es will und dort, wo es will. Vielmehr folgt alles einer strengen Ordnung – wie beim höfischen Zeremoniell der absolutistischen Herrschaft, für das die von Menschenhand regulierte Natur die Bühne bot. Herausragendes Beispiel ist die gigantische Gartenanlage von Versailles. Ihre Ästhetik hat Schule gemacht – in Holland (Het Loo bei Appeldoorn), in Schweden (Schlosspark Drottningholm), in Deutschland (Schwetzingen) oder Österreich (Schönbrunn und Belvedere in Wien).

Reizvolle Durchblicke im Rokokogarten Veitshöchheim
Foto: Thomas Obermeier | Reizvolle Durchblicke im Rokokogarten Veitshöchheim

Geschaffen hat den Versailler Schlossgarten André Le Nôtre von 1662 bis 1689. Die Natur musste sich seinen Vorstellungen unterwerfen. Der Kulturphilosoph Egon Friedell bezeichnete den Gartenkünstler als „Schöpfer des französischen Gartenstils, der den Anlagen die Form mathematischer Figuren gibt und ihr Wachstum mit Zirkel und Lineal beaufsichtigt“.

Großes Theater – effektvoll inszeniert

Geometrische Muster und Symmetrie spielen eine große Rolle, ebenso Perspektiven, die den Blick in die Ferne, aber auch auf ein bestimmtes Ziel lenken. Alles ist ein großes Theater, eine effektvolle Inszenierung mit breiten Achsen, gerahmt von Parterre-Flächen, den Broderien, deren filigrane Stickmuster von zurechtgeschnittenen Buchshecken begrenzt werden.

Dazu gibt es Bosketten, die „Lustwäldchen“, spiegelnde Wasserflächen, raffinierte Wasserspiele mit pompösen Fontänen, künstliche Felsen und Grotten, grüne Salons, ein Labyrinth und weitere Elemente, die in den Anlagen des dem Barock nachfolgenden Rokoko verspielter wurden.

Das gefiel nicht allen. Es sei dort dem König ein Vergnügen gewesen, die Natur zu tyrannisieren und mit dem Aufgebot von Kunst und Geld zu bändigen, wagte Louis de Rouvroy, der Herzog von Saint-Simon, nach dem Tod von Ludwig XIV. zu kritisieren. „Man fühlt sich durch den Zwang, der überall der Natur angetan ist, angewidert.“

Ha-Ha-Effekte im englischen Garten

Gegen diesen Zwang setzten im 18. Jahrhundert die Engländer die Freiheit, keine streng inszenierte, sondern eine „natürliche“ Kopie der Natur. Dort sollte alles den Sinnen folgen, wie es der Dichter und Schriftsteller Alexander Pope formulierte, und beim Spaziergänger Empfindungen auslösen.

Die endlosen Geraden werden im englischen Garten zu gebogenen Linien, zu Serpentinen. Sie führen durch die sanft gewellte Landschaft. Statt rechteckig begrenzte gibt es nun unregelmäßig eingefasste Wasserflächen. Statt Parterres weite Rasenflächen. Statt Symmetrie zählt nun die Überraschung hinter jeder Wegbiegung. Die klaren Grenzlinien werden unsichtbar gemacht durch Ha-Ha-Effekte beziehungsweise Ahas. Das heißt, sie werden in die Tiefe des Geländes verlegt und tauchen unvorhersehbar auf. Tempel werden zum neuen Gestaltungselement. Später bringen chinesische Pagoden Exotik ins weite Grün.

Alles ist Malerei

Umlaufende Wege, die belt-walks, sollen den Besuchern die Landschaftbilder erschließen, gleich einem Gemälde. „T'is all painting“, umschrieb es Alexander Pope, alles ist Malerei. Der Garten wird zur arkadischen, zur schönen Landschaft, inspiriert von den lyrisch-romanischen Gemälden der französischen Künstler des klassizistischen Barocks Nicolas Poussin und Claude Lorrain.

Wie gemalt: Blick vom weitläufigen englischen Garten auf das barocke Schloss in Werneck.
Foto: Anand Anders | Wie gemalt: Blick vom weitläufigen englischen Garten auf das barocke Schloss in Werneck.

Auf dem Kontinent nimmt Friedrich Ludwig Sckell Ende des 18. Jahrhunderts die Ideen auf und setzt sie im Englischen Garten in München um, einem der ersten Volksgärten, die jedem offenstanden. Erst ein Jahrhundert später entstand im Bereich der ehemaligen Stadtbefestigung in Würzburg der Ringpark.

Gärten sind jedoch mehr als durch Kunst geschaffene Natur. Sie veranschaulichen immer auch Kultur- und Politikgeschichte. Gärten sind Hotspots geistiger Umwälzungen, formaler Ausdruck philosophischer Überlegungen. Vor allem aber sind sie Refugien, Oasen der Stille, Orte zum Ausspannen und geselligen Verweilen.

Clemens Alexander Wimmers Resümee lautet: „Der Garten war nachweislich zu bestimmten Zeiten göttliches Gleichnis, sittenverbessernd gedacht, repräsentativ, feudal, pittoresk, kapitalistisch, landschaftlich, ökologisch, geometrisch, nationalistisch oder sinnlich, er war aber nie ausschließlich dies oder jenes.“

Gartenkunst

Das Museum für Franken in Würzburg zeigt vom 12. Juni bis 4. November die Sonderausstellung über „GartenKunst“ beziehungsweise über „Die Kunst im Garten – Der Garten in der Kunst“. Anlässlich der Landesgartenschau widmen sich sieben in den Museumsrundgang integrierte „Pavillons“ verschiedenen Themen, zum Beispiel „Götter im Garten“, „Entdeckung der Landschaft“, „Paradies-Garten“, „Kunst und Natur“ oder „Der Garten als romantischer Ort“.

 

Zudem werden Fayencen rund um das Thema Garten und Pflanzen gezeigt. So würden „Garten und Kunst“ verschmelzen, so die Ankündigung. Das Museumsfest wird am 2. September passend zum Thema ausgerichtet sein. Das Motto lautet „GartenZauber“. Eine weitere Ausstellung ist in der Festung Marienberg von 22. Juli bis 21. Oktober zu sehen: „Gärten in Unterfranken – Der Traum vom grünen Garten“. *Präsentiert wird sie vom Bezirk Unterfranken zunächst im Museum für Franken, bevor sie auf Wanderschaft geht. 

 
 
 
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