Der Dämon schießt in einer Säule aus phosphoreszierendem Gas an die Oberfläche und schreit: „Ich habe erobert!“ Eigentlich hatten sowjetische Forscher das tiefste Loch der Welt bohren wollen. Doch in 14 Kilometern Tiefe waren sie auf einen Hohlraum gestoßen. Dem entwich nicht nur der Dämon (einer von der Sorte mit Fledermausflügeln). Auch „Schmerzensschreie der Verdammten“ drangen an die Oberfläche. Hastig wurde das Loch zugeschüttet, der Vorfall geheim gehalten. Ende der 1980er Jahre soll sich diese Horrorgeschichte zugetragen haben. Steht alles im Internet.
Tatsächlich finde sich etwa 150 Kilometer nordwestlich von Murmansk eine verlassene Bohranlage, so spiegelonline: „Ein riesenhafter, schwefelgelber Turm ragt in den Himmel. Er lässt ahnen, dass hier etwas Ungeheuerliches passiert sein muss. Seine Spitze ist wie von einer gewaltigen Explosion zerrissen.“ Haben die Russen seinerzeit auf der Kola-Halbinsel aus Versehen die Hölle angebohrt?
Das Szenario könnte von Dante Alighieri (1265 bis 1321) stammen. Dank seiner „Göttlichen Komödie“ ist die Vorstellung, die Hölle befinde sich in einem Loch, in den Köpfen verankert. In den 33 Gesängen des „Inferno“ genannten Abschnitts beschreibt der Florentiner die Unterwelt als trichterförmige Einsenkung. Je tiefer man steigt, desto heftiger fallen die Qualen für die Verdammten aus. Ganz unten lauert der Teufel.
Im Mittelalter – Dante lebte von 1265 bis 1321 – war die Angst vor der Hölle so real wie heutzutage die vor einem mutierten Grippevirus. An ihrer Existenz zweifelte in der Christenheit niemand. „Wie Gott allgemein angeordnet hat, steigen die Seelen derer, die in einer tatsächlichen schweren Sünde verschieden, sofort in die Hölle hinab“, schrieb Papst Benedikt XII. in der Konstitution „Benedictus Dei“ von 1336. Der Aufenthalt dort drunten kann sehr, sehr lange dauern. Innozenz IV. erklärte 1254: „Wer aber ohne Buße in der Todsünde stirbt, wird ohne Zweifel von der Glut der ewigen Hölle auf immer gepeinigt.“
Heute glaubt in der weltlich geprägten westlichen Gesellschaft die große Mehrheit nicht mehr an die Hölle. Der Anteil der Gläubigen ist aber erstaunlich hoch: Im Jahr 2012 waren es immerhin 22 Prozent der Deutschen – also mehr als ein Fünftel (Quelle: online-Portal statista).
Dantes Beschreibung von des Teufels Wohnort hat durch die Jahrhunderte in allen Künsten Spuren hinterlassen. Dan Brown geht in seinem aktuellen Thriller ganz ungeniert mit dem Dante-Originaltitel auf Kundenfang – der 2013 erschienene Roman „Inferno“ verkaufte sich weltweit millionenfach. Hauptfigur Robert Langdon findet nur mithilfe der „Mappa dell' Inferno“ von Sandro Botticelli (1445 bis 1510) durch ein Dickicht aus Geheimnissen und Gefahren. Botticelli malte seine „Landkarte der Hölle“ nach Dantes Versepos. Der italienische Renaissance-Meister ist einer von vielen großen Künstlern, die sich von Dantes Höllenqualen inspirierten ließen, dazu zählen etwa Eugene Delacroix, William Blake, Gustave Doré und Salvador Dalí. Der schuf einen Zyklus zur kompletten „Göttlichen Komödie“ (siehe Kasten).
Die „Divina Commedia“, so der Originaltitel, besteht nur zu einem Drittel aus der Höllen-Beschreibung. Die beiden anderen Teile besingen „Purgatorio“ (Fegefeuer) und „Paradiso“ (Paradies). Dass viele Künstler, ob Literaten oder Maler, sich dennoch ausgerechnet auf die höllischen Stellen von Dantes Megawerk aus insgesamt 14 233 Versen beziehen, ist kein Zufall. Künste sind Spiegel des allgemein Gedachten oder Geglaubten. Und das Böse hat zu allen Zeiten eine ganz spezielle Faszination ausgeübt. Davon profitiert nicht nur Thriller-König Dan Brown. Davon leben weltweit zahllose Krimiautoren. Ohne die Faszination des Bösen gäbe es keinen Fernseh-„Tatort“. Selbst Boerne und Thiel profitieren: Denn Witze funktionieren nur, wenn die ernste Variante des Themas im Gehirn verankert ist. Die Albereien des Münsteraner Ermittler-Duos erzeugen die Illusion, das Böse lasse sich mit lockeren Sprüchen irgendwie in Schach halten.
In modernen Krimis sitzt der Teufel nicht am schmalen Ende eines Höllen-Trichters. Er ist das Böse, das im Menschen schlummert – und sein Reich dementsprechend die Alltagswelt. Das ist viel beunruhigender als Dantes Vision. Denn wenn die Hölle im Menschen selbst steckt und in dem Umfeld, das er sich schafft – wie soll er ihr da entkommen?
Wäre die Hölle ein Loch in Russland, es wäre nahezu beruhigend. Denn erstens kann man die Gegend weitläufig meiden; zweitens ist das Loch eh schon zugeschüttet (wo ist seinerzeit eigentlich der fledermausflüglige Dämon hin?). Und drittens könnte man sicherheitshalber noch Beton nachgießen. So einfach ist es aber leider nicht. Denn die Höllenbohrung ist laut spiegelonline bloß die Erfindung eines Spaßvogels, der fundamentalistische Christen und Fernsehprediger in den USA auf die Schippe nehmen wollte. Ein paar sollen sogar darauf reingefallen sein.
Die Bohrung auf Kola wurde wegen ganz irdischer technischer Probleme eingestellt.
Dante und Dalí in Bad Mergentheim
„Hölle und Himmel“ heißt eine Ausstellung im Deutschordensmuseum Bad Mergentheim. Zu sehen ist Salvador Dalís Zyklus zu Dante Alighieris „Göttlicher Komödie“. Er umfasst 100 Blätter. Gezeigt werden auch zwei Holzschnitte nach Botticelli zum Thema.
Der große Surrealist Salvador Dalí (1904 bis 1989) fand in den von der mittelalterlichen Vorstellungswelt geprägten Gesängen Dantes die passenden Szenarien für seine eigene fantastische Vorstellungswelt. Der Spanier reicherte die dämonischen Szenarien der Vorlage mit seiner Fantasie an und fand so zu eigenständigen, fesselnden Bildaussagen.
Der Zyklus zur „Göttlichen Komödie“ bestand ursprünglich aus 100 Aquarellen. Dalí malte sie zwischen 1950 und 1952. Von 1959 bis 1963 ließ er nach den Aquarellen aufwendige Holzstiche anfertigen. Pro Bild wurden 30 bis 40 Druckstöcke verwendet. Das ermöglichte einen eigenen Druckvorgang für jede Farbnuance. Die Technik wird in der Bad Mergentheimer Schau anhand verschiedener Druckplatten (aus Buchsbaum) nachvollziehbar.
44 Holzstiche sind ausgestellt. Der Rest des Zyklus zu den drei Teilen der „Göttlichen Komödie“ (Inferno, Purgatorio, Paradiso) besteht aus Lithografien, die im Jahr von Dalís 100. Geburtstag nach den Aquarellen entstanden. So fein wie die Holzstiche können die Lithos zarte Farbübergänge indes nicht abbilden.
Ab 5. Dezember ergänzen moderne Interpretationen der „Göttlichen Komödie“ Dalís Werke.
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10.30 bis 17 Uhr. Ab 1. November: Dienstag bis Samstag 14–17, Sonntag, Feiertage 10-30 bis 17 Uhr. Bis 22. Februar. Text: hele