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BERLIN
Vielleicht ein Kind Gottes
dpa
 |  aktualisiert: 04.12.2014 17:03 Uhr

Jeder Mensch ist ein Kind Gottes. Bedeutet das aber auch, dass es moralische Grenzen gibt, die er nicht überschreitet? Der Amerikaner Cormac McCarthy hat in Romanen wie „Die Straße“, „Kein Land für alte Männer“ und „Die Abendröte im Westen“ dargestellt, wie sehr Gewalt und Mangel an Moral in der US-amerikanischen Gesellschaft verankert sind.

Bereits in seinem 1974 veröffentlichten Kurzroman „Ein Kind Gottes“, der nun erstmals in deutscher Übersetzung erschienen ist, erforschte er, wozu Menschen in der Lage sind.

Das Buch beginnt mit einer fröhlichen Szene. Eine Musikkapelle fährt durch das Bergland von Tennessee, baut ihre Instrumente auf und spielt lustige Melodien, um auf eine Grundstücksauktion aufmerksam zu machen. Eine heruntergekommene Farm soll verkauft werden. Schon bald ändert sich die Stimmung, als der bisherige Eigentümer erscheint: „Er ist klein, unsauber, unrasiert. Er bewegt sich mit gezwungener Verbissenheit in der trockenen Spreu. Vielleicht ein Kind Gottes wie man selbst.“

Nach dem Tod seines Vaters hatte sich Lester Ballard dann um nichts mehr gekümmert, keine Steuern oder Schulden bezahlt und so das Recht verloren, auf dem Hof zu bleiben. Er wehrt sich nur halbherzig und lässt letztlich alles mit sich geschehen.

Einsiedler in eigener Welt

Ohnehin nicht in die Gesellschaft integriert, zieht sich Lester Ballard immer mehr von den Menschen zurück. Erst quartiert er sich in einer verfallenen Hütte ein. Als diese abbrennt, zieht er in eine Höhle. Er ist längst kein Teil der menschlichen Gemeinschaft mehr. Stattdessen wird er zum Einsiedler in seiner eigenen Welt.

Mit der Gesellschaft kommt er nur noch in Kontakt, wenn er deren Gesetze gebrochen hat und dabei erwischt worden ist. Ein Richter gibt Ballard den eindeutigen Rat: „Sie müssen sich entweder eine andere Lebensweise suchen oder einen anderen Ort auf der Welt, wo Sie leben können.“

Dabei hat Ballard längst seine Lebensweise geändert, wenn auch anders, als vom Richter gedacht. Und hier liegt der Kern des Romans. Als Mensch hat Ballard auch ein Verlangen nach Sex. Aber alle Frauen stoßen ihn zurück, so dass er es nicht befriedigen kann. Eine Reihe von zufälligen Begegnungen führt dann dazu, dass Ballard zum Mörder und Leichenschänder wird.

Ist er damit immer noch ein Kind Gottes? McCarthy beantwortet diese Frage nicht. Er urteilt auch nicht. In einer kargen Prosa ohne Ausschmückungen beschreibt der heute 81-jährige Pulitzer-Preisträger lediglich die Ereignisse. Jegliche Art von Bewertung überlässt McCarthy den Lesern.

„Ein Kind Gottes“ ist keine leichte Lektüre. Einige Szenen erreichen die Grenzen des Erträglichen oder gehen darüber hinaus. Auch die Tatsache, dass keine der Figuren sympathisch dargestellt wird, schafft Distanz. Es lohnt dennoch, sich auf diesen Text einzulassen.

Cormac McCarthy: Ein Kind Gottes, Rowohlt, 191 Seiten, 12,99 Euro.

 
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