zurück
Würzburg
Verzweifelte Hausfrauen? So macht Putzen Spaß!
„Arbeit ist immer nur das, was getan werden muss, Vergnügen das, was man gern tut“, wusste schon Mark Twain. Ein Ausflug in den Würzburger Kulturspeicher und in die Welt von Haus, Heim und Familie.
Scheibenreiniger: Säuberung eines Fernsehbildschirms von innen – Video von Anna Anders. Im Text: Figur von Pipilotti Rist.
Foto: Kulturspeicher | Scheibenreiniger: Säuberung eines Fernsehbildschirms von innen – Video von Anna Anders. Im Text: Figur von Pipilotti Rist.
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 03.12.2019 08:42 Uhr

Quiiieeetsch! Quääätsch! Die behandschuhte Hand putzt einen Fernsehschirm von innen. Den Wischlappen hat sie zu einem Knäuel zusammengedrückt. Sigrid Tauber guckt hin und kommentiert amüsiert: „Oh je, der Haushaltsknödel!“ Dann demonstriert sie an einer Ecke ihrer Jacke, wie die begabte Hausfrau/der begabte Hausmann ein Fensterleder effektiv nutzt. Sie faltet den Stoff wieder und wieder. Derart gefaltet spare man sich bei einem „Reinigungstextil“ achtmal das Auswringen, sagt sie.

Der Mensch, dem die behandschuhte Hand gehört, verschenkt also Reinigungswirkung, verschwendet Zeit, Energie – und Nerven. Gleich nebenan dreht eine Hausfrau auch schon komplett durch: Ihr Gesicht rotiert zwischen Wäschestücken in der Lauge einer Waschmaschinentrommel.

Deckchen und Topflappen

„TV Cleaner“ und „Hauptwäsche“ sind Videoinstallationen der Berlinerin Anna Anders und Teil der Ausstellung „Desperate Housewives?“ – also „Verzweifelte Hausfrauen?“ – im Würzburger Kulturspeicher (siehe Kasten). Sigrid Tauber ist Fachtheorielehrerin an der Würzburger Klara-Oppenheimer-Schule, Fachbereich „Ernährung und Versorgung“. Da sieht die Studiendirektorin im Kulturspeicher natürlich nicht nur Kunst. Sie findet auch Aspekte, an die ein Haushaltslaie eher nicht denkt.

Zum Beispiel kann der Besucher der Ausstellung – etwa vor gestickten Deckchen und gehäkelten Topflappen – über den Imagewandel mancher Tätigkeit in Haus und Haushalt nachdenken. Wenn einst die Hausfrau Wolle zu Kleidern verarbeitete, tat sie das, weil sie sich und ihre Lieben warm halten musste und sich womöglich Winterkleidung aus dem Laden nicht leisten konnte.

Heute ist Stricken zum Hobby geworden, ist Teil des Lifestyles. Sogar Männer lassen die Nadeln klappern und finden das cool. Jedenfalls ist das in bestimmten Gesellschaftsschichten so. Vorwiegend in jenen, die kaum Probleme haben, sich mit Markenklamotten einzudecken. Oder Holzhacken. An sich Knochenarbeit. Doch der stolze Kachelkaminbesitzer zeigt heute mit Axt und Motorsäge, was für ein harter Bursche er ist.

„Arbeit ist immer nur das, was getan werden muss, Vergnügen das, was man gern tut“, schrieb Mark Twain schon vor 150 Jahren und ließ seinen Tom Sawyer so tun, als sei das Zaunstreichen eine spaßbringende Tätigkeit – alle glauben?s und streichen.

In diesem Sinne kann jemand, der verdrängt, dass sie gemacht werden muss, jeglicher Hausarbeit ungeahnte Freuden abgewinnen: Jutta Burkhardt tanzt mit langem Kleid und wehenden Ärmeln durch den Haushalt, rekelt sich auf dem Boden – macht augenzwinkernd aus Putzen und Staubwischen Sport, Ballett und Vergnügen zugleich. Die Videoszene, in der die Künstlerin, im Bikini eng an die Scheibe gedrückt, die Fenster poliert, soll vor allem beim männlichen Publikum gut ankommen.

Sigrid Tauber fragt sich dagegen, ob diese Arbeitstechnik die Frau erfülle, „die alleine für die Familie die Arbeit zu Hause erledigt“, und läuft weiter zu Susanne Kuttners Wandobjekt „Herrn Orleanders großer Auftritt II“: Der auf dem Parkettboden zerschellte kristallene Kronleuchter lässt ahnen, was zuvor passiert ist. Mehr noch: Sigrid Tauber weist auf das klein karierte Muster des Parketts und sieht nicht nur den Kronleuchter in Scherben. Sie erkennt „die typisch westdeutsche Hausfreuenehe der Nachkriegsjahre, deren Familienidyll jahrzehntelang quer durch die gesellschaftlichen Schichten gepflegt und idealisiert wurde“.

Dieses Bild von der Rolle der Frau entstamme dem Biedermeier, sagt die Würzburger Berufsschullehrerin und betrachtet aufgeschichtetes Porzellan, eine Installation von Anke Eilergerhard, das sie wohl an jene Epoche erinnert. Anno 1900, also noch ein gutes halbes Jahrhundert nach dem Biedermeier, legte das Bürgerliche Gesetzbuch fest: „Der Hauptberuf der Ehefrau bezieht sich auf das Innere des Hauses.“

Negative Seiten des vermeintlichen Idylls thematisiert Pipilotti Rist mit ihrer Frauenfigur, die wie ein Hampelmann auf Zug an der Schnur Arme und Beine bewegt. Tut die Frau zu Hause, was immer der Mann will? In Maria Ezcurras Fotoserie ist die Frau sogar richtiggehend mit Haus und Haushalt verwachsen: Ihre Schürze geht in die Bügeldecke über, verlängert sich zum Vorhang oder wird zur Decke für den Tisch, an dem sie den Mann bedient.

Hintersinniger Untertitel

Der Rundgang mit Sigrid Tauber zeigt, dass hinter der Leichtigkeit der Ausstellung allerhand Sozialkritisches steckt und sich hinter Witz und Ironie jede Menge Kommentare zur Rolle der Frau verbergen. „Künstlerinnen räumen auf“ lautet der hintersinnige Untertitel der Schau. Sie will wohl auch mit alten Klischees Schluss machen. Es sind ausschließlich Frauen beteiligt. Einen Besucher veranlasste das zu der leicht beleidigt klingenden Bemerkung: „Auch Männer räumen auf!“ Echt?


Die Ausstellung im Kulturspeicher:

„Desperate Housewives?“  heißt eine Sonderausstellung im Museum im Kulturspeicher am Würzburger Alten Hafen. Die Arbeiten der zwischen 1936 und 1986 geborenen Künstlerinnen reflektieren das weibliche Verhältnis zu Haus und Haushalt, der Untertitel lautet „Künstlerinnen räumen auf“.

Die ausgestellten Werke setzen sich nachdenklich, provokant, ironisch und auch kritisch mit Fragen auseinander wie „Ist das Haus Gefängnis oder Freiraum?“ oder „Ist die Frau Sklavin oder Herrscherin?“ Zu sehen sind deutlich über 100 Werke – Videos, Installationen, Objekte, Gemälde und Fotografien – von 28 internationalen Künstlerinnen. Darunter sind die Schweizerin Pipilotti Rist, die palästinensisch-britische Skulptur- und Performance-Künstlerin Mona Hatoum und die Düsseldorferin Rosemarie Trockel.

Die Schau kommt, trotz des gesellschaftspolitischen Anspruchs, angenehm unverkrampft und kurzweilig beim Besucher an. Der schlendert zwischen den Stellwänden, mal grinsend, mal nachdenklich.

Öffnungszeiten: Dienstag 13-18, Mittwoch, Freitag bis Sonntag 11-18, Donnerstag 11-19 Uhr. Bis 20. September. Jeweils am ersten Sonntag im Monat ist der Eintritt ins Museum Kulturspeicher frei.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Ralph Heringlehner
Ausflüge
Hausfrauen
Kunst des Biedermeiers
Mark Twain
Pipilotti Rist
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen