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WÜRZBURG
„Versagen ist lebensnotwendig“
Dominique Horwitz: Der Schauspieler ist Gast beim Würzburger Mozartfest. Im Interview spricht er über sein Buch, seine Lebensphilosophie und Schauspielerei. Auch die Neonazi-Problematik ist ein Thema.
Dominique Horwitz inszeniert den "Freischütz"       -  Nachdenklich, philosophisch und „ein glücklicher Mensch“: Dominique Horwitz.Foto: Martin Schutt, dpa
Foto: Martin Schutt (dpa-Zentralbild) | Nachdenklich, philosophisch und „ein glücklicher Mensch“: Dominique Horwitz.Foto: Martin Schutt, dpa
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:49 Uhr

Schauspieler, Sänger, Autor, Regisseur (auch im Musiktheater): Dominique Horwitz ist ein vielseitiger Künstler. Bekannt ist der heute 60-Jährige, dessen Eltern vor den Nazis nach Paris flohen, unter anderem als Kutscher aus zwei Weimarer „Tatort“-Folgen. 2015 erschien sein Roman, „Tod in Weimar“. Darin löst der Kutscher Roman Kaminski als unfreiwilliger Detektiv Mordfälle in einem Heim voller skurriler Alter.

Frage: Wie geht's Roman Kaminski?

Dominique Horwitz: Dem geht's sehr gut. Er wird langsam erwachsen und packt das Leben bei den Hörnern. So könnte man sagen. Mittlerweile hat er geheiratet und erfährt, was jeder von uns kennt: Auch für die große Liebe muss heftig gekämpft werden – und zwar im Alltag.

Sie arbeiten also nach „Tod in Weimar“ an einem zweiten Buch mit derselben Hauptfigur?

Horwitz: Eigentlich bin ich schon fertig. Das Buch ist jetzt im Lektorat.

Es gibt auch wieder einen Kriminalfall?

Horwitz: Nein. Das ist ein reiner Liebesroman. Ich wollte das Genre wechseln.

Als Schauspieler spielen Sie Figuren, die andere erfunden haben, sprechen Texte, die andere geschrieben haben. Können Sie sich als Autor besser selbst einbringen?

Horwitz: So kann man das nicht sehen. Alle Projekte, die ich mache, haben, durch die Art, wie ich mit ihnen umgehe, sehr viel mit mir zu tun. Ich glaube also nicht, dass man mich durch meinen Roman besser kennenlernt als durch meine Projekte oder meine Theaterstücke.

Als Autor können Sie aber doch eigene Anliegen vortragen. In „Tod in Weimar“ bedauert Kutscher Kaminski zum Beispiel mehrmals, dass Touristen um die nahe KZ-Gedenkstätte Buchenwald lieber einen Bogen machen. Das seh' ich schon als Hinweis darauf, dass man die Nazi-Vergangenheit nicht verdrängen oder vergessen sollte.

Horwitz: Ich denke, dass der Mensch an sich, interessanter ist, als seine reinen politischen und gesellschaftlichen Ansichten. Ich fokussiere mich, bedingt durch meinen Beruf, auf den Menschen, mit all seinen Schwächen, Nöten und natürlich auch seine Sonnenseiten. Dass man sich mit der Nazi-Vergangenheit beschäftigen muss, sogar auf besondere Weise beschäftigen darf, weil sie hier in Deutschland stattgefunden hat, ist für mich ein Selbstverständnis.

So selbstverständlich wie etwa ein anständiger, gerechter Umgang mit Behinderten oder echte Anteilnahme an Flüchtlingsschicksalen.

Im Buch sprechen Sie auch die Neonazi-Problematik an.

Horwitz: Das ist eine weltweit virulente Problematik. Und: Je weiter wir in der Zeit voranschreiten, umso aktueller wird mein Roman. Als er rauskam, gab's noch keinen Bernd Höcke – ich sage mit Bedacht „Bernd“ (lacht leise).

Sie leben seit Jahren im Osten, in der Nähe von Weimar. Man liest immer wieder, im Osten sei die Rechtsextremismus-Problematik besonders schlimm.

Horwitz: Ich glaube, das ist auch so. Die ist im Westen ebenfalls zu spüren, aber im Osten besonders.

Im Buch wirkt's so, als habe Neonazi-Gedankengut mit Dummheit zu tun.

Horwitz: Das finde ich sehr wohl. Es hat mit einer bestimmten Art des Lebens ohne Empathie zu tun. Vorgefertigte Meinungen über andere, seien es Ausländer oder nicht, sind immer Zeichen von geistiger Begrenztheit.

Die Figur des Kutschers Roman Kaminski ist schon romantisiert, oder?

Horwitz: Finde ich nicht.

Und seine Lebensumstände, das verfallende Gut, in dem er wohnt?

Horwitz: Diesen Ort finde ich relativ grässlich. Wenn ich mir vorstelle, mein Tag müsste damit beginnen, Briketts zu holen und zu heizen. Eine grauenhafte Vorstellung. Das finde ich überhaupt nicht romantisch. Da sehen Sie, wie verweichlicht wir mittlerweile sind, oder insbesondere ich. In allem Alten, in allem von der Zeit Angefressenen steckt zwar auch etwas Schönes und Poetisches. Aber Kaminski geht ja nicht umsonst in die Wilhelm-Meister-Schänke, um sein Herz aufzuwärmen, denn sein Gut ist kein richtiges Zuhause. Sein Modell des selbstbestimmten Lebens ist leider gescheitert. Er ist ein unfassbar liebenswerter Versager. Ich meine das nicht negativ, denn ich finde: Jeder von uns ist ein Versager.

Wie das?

Horwitz: Keiner lebt letztlich das Leben, das er sich vorgenommen hat. Und sollte das der Fall sein, möchte ich dieses Leben nicht geschenkt bekommen. Das erwachsene Leben bedeutet, damit klarzukommen, dass es zwar ganz okay ist, wie es ist, aber mitnichten das, was wir uns vorgenommen haben. Versagen – oder der Umgang mit dem Begriff – ist eines meiner großen Themen. Ich finde, versagen ist lebensnotwendig.

Wer nicht versagt, ist kein Mensch, sondern eine Maschine oder ein Roboter. Auch wenn das jetzt fälschlicherweise dramatisch klingt, mein Leben, so schön und erfüllend es sich auch anfühlt, ist ein ewiger Umgang damit, dass nichts genau so läuft, wie es laufen müsste, laufen sollte – und das sagt ein dennoch sehr glücklicher Mensch! Ich bin glücklich mit meinem Leben, meiner Frau, meinen Kindern, meinem Beruf – unfassbar glücklich und dankbar.

In „Tod in Weimar“ geht's viel um Schauspielerei. Als ehemaliger Schauspieler hat Kaminski „mehr Texte im Kopf als er gebrauchen konnte“. Geht Ihnen das auch so?

Horwitz: Nein, Gott sei Dank nicht.

Bleibt nichts von all den Texten hängen?

Horwitz: Doch. Ich muss meine Texte sehr ernsthaft und fleißig lernen. Es dauert sehr lange. Sie sind dann ewig in meinem Gedächtnis, aber in einer Schublade. Die mache ich selten auf. Und die öffnet sich auch nicht durch Zufall, sondern nur, wenn ich es brauche.

Und was bleibt hängen an, sagen wir mal: Weltanschauung von Figuren, die Sie spielen?

Horwitz: Da fällt mir doch gleich der Satz von Alexander von Humboldt ein: „Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben“. Um auf das Motto „Was ist Reife?“ des diesjährigen Mozartfestes zu kommen: Wir können uns von Figuren und Werken großer Autoren inspirieren lassen. Daraus etwas Lebendiges zu machen, obliegt dann unserer eigenen Verantwortung und Fantasie. Das Leben lässt sich nicht nachplappern.

Horwitz beim Mozartfest

Der Besuch des zwölfjährigen Felix Mendelssohn bei Goethe ist an diesem Donnerstag Thema des Mozartfest-Konzerts im Kaisersaal der Würzburger Residenz (20 Uhr), Titel: „Mache mir ein wenig Lärm vor“. Das musikalische Wunderkind und den über 70-jährigen Dichterfürsten verband bald eine Freundschaft.

Dominique Horwitz liest aus der Korrespondenz der beiden sowie aus Berichten über die Begegnung von Jung-Genie und Altmeister. Das Fauré-Quartett spielt Mendelssohn-Werke. Karten: Tel. (09 31) 37 23 36, Abendkasse

Bei der Mozartfest-Nachtmusik am Sonntag las Dominique Horwitz aus Shakespeares „Sommernachtstraum“.
Foto: Patty Varasano | Bei der Mozartfest-Nachtmusik am Sonntag las Dominique Horwitz aus Shakespeares „Sommernachtstraum“.
 
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