„Tietz muss ein echt pfiffiger Mensch gewesen sein“, urteilt Thomas Struchholz. Der Veitshöchheimer schreibt an der Chronik seiner Heimatstadt und stöbert von daher in alten Urkunden und Briefen. Der Rokoko-Bildhauer, der unter anderem die Figuren für den Veitshöchheimer Hofgarten schuf, liegt Struchholz besonders am Herzen. Tatsächlich scheint es der pfiffige Tietz, der vor 300 Jahren geboren wurde, geschafft zu haben, in Würzburg eine Werkstatt zu betreiben, Gesellen zu beschäftigen, ohne das Bürgerrecht der Stadt zu besitzen. An sich hatte Konkurrent Auwera Recht. Schon 1738 hatte der Rat der Stadt Tietz ermahnt, das Bürgerrecht zu beantragen. Der ließ sich Zeit. Das Bürgerrecht erwarb er erst 1747.
Tietz war jene Art von genialem Handwerker, deren Arbeiten noch Jahrhunderte später die Menschen begeistern. Weil sie kunstfertig sind, aber nicht zu verkünstelt, weil sie den Betrachter unmittelbar ansprechen. So wie die Faune und Elfen, Halbwesen und Götter, mit denen Ferdinand Tietz nicht nur den Veitshöchheimer Hofgarten belebte, sondern auch den Rosengarten in Bamberg und den Garten von Schoss Seehof bei Bamberg. „Rokoko und Tietz, das passt gut zusammen“, schwärmt Struchholz und meint damit die Leichtigkeit und den Humor, den der Böhme, dessen Name 1736 erstmals in den Rechnungen für den Bau der Würzburger Residenz auftaucht, besessen haben muss. „Er hatte ein heiteres Gemüt“, meint Heimatforscher Struchholz.
Aus der Sicht der Kunsthistorikerin bestätigt das auch Dr. Claudia Lichte. Die Leiterin des Mainfränkischen Museums in Würzburg steht zwischen den Originalen, die die Werkstatt Tietz zwischen 1765 und 1768 für den Veitshöchheimer Hofgarten lieferte. Es waren an die 280 Skulpturen, 32 davon fügen sich nun im neu gestalteten Gartensaal des Museums zwischen bühnenbildmäßige Hecken und Ansichten der beiden Veitshöchheimer Seen. Im Hofgarten selbst, unter freiem Himmel, sind Nachbildungen zu sehen, teils Abgüsse, teils Bildhauer-Arbeiten.
Claudia Lichte lächelt den Figuren zu. Vieles sei mit einem „Augenzwinkern“ gestaltet, sagt sie und zeigt hier auf ein unter der Jacke hervorquellendes Hemd, dort auf ein fast karikaturistisch überzeichnetes Gesicht oder auf ein vorwitzig sich wölbendes Bäuchlein – das womöglich eine selbstironische Anspielung ist. Fürstbischof Adam Friedrich von Seinsheim, der die Skulpturen in Auftrag gegeben hatte, soll seinen Lieblingsbildhauer als „den dicken Tietz“ bezeichnet haben . . .
Kunstkennerin Lichte bewundert den Detailreichtum der Tietz'schen Arbeiten, die genaue Darstellung der Mode seiner Zeit. Da wurde etwa ein Spitzenkragen fast realistisch filigran aus dem Schilfsandstein gearbeitet, Lichte zeigt auf die bestrumpften Waden eines Schäfers: „Vier rechts, vier links – da erkennt man sogar das Strickmuster“, amüsiert sie sich. An anderen Stellen wiederum sind die Figuren fast skizzenhaft und pauschal, aber immer mit Schwung und Leichtigkeit ausgeführt. „Tietz hatte eine individuelle Handschrift“, urteilt Claudia Lichte. Sie benennt aber auch das, was Zeitgenossen Ferdinand Tietz als handwerkliche Defizite vorhielten: „Die können fast alle so nicht stehen.“ Anatomische und physikalische Gesetzmäßigkeiten scheinen Tietz weniger interessiert zu haben. Lebensfreude, virtuose Bewegung, extravaganter Faltenwurf der Gewänder, die gerne auch schwierig auszuführende Gelenke verdecken, schienen ihm wichtiger.
Zeitgenossen mokierten sich auch über Tietz' Hang zur Kommerzialität. Da wurden, aus Gründen des effektiven Arbeitens, schon mal Dubletten hergestellt. So sieht die Figur von Kaiser Joseph II. in Veitshöchheim der des Sonnengottes Apoll in Seehof schon erstaunlich ähnlich . . .
Ohne derart rationelles Arbeiten hätte Tietz, der mutmaßlich über die Stationen Prag und Wien nach Würzburg kam, die Aufgabe gar nicht bewältigen können. 280 Figuren in nur drei Jahren herzustellen, und das in dieser Qualität, das ist auch eine logistische Meisterleistung der Werkstatt Tietz. Die schweren Steinblöcke – ein Kubikmeter Sandstein wiegt über zwei Tonnen – wurden in Zeil am Main, an der Südseite der Haßberge und in Abtswind von Gesellen zunächst leicht bearbeitet. Dann kam der Transport, dann die endgültige Bearbeitung, die Figuren mussten unbeschädigt aufgestellt werden – und all das ohne LKW, ohne Kran, ohne Gabelstapler. Sechs Gesellen sind in der Tietz-Werkstatt verbürgt, weiß Thomas Struchholz. „Aber es müssen mehr gewesen sein“, ist der Hobby-Heimatforscher, der sein Geld als Landschaftsarchitekt verdient, sicher. Anders wäre das nicht zu schaffen gewesen. Struchholz hofft, irgendwann in irgendeinem Archiv auf Dokumente zu stoßen, die seine Vermutung untermauern.
„Die Geschichte“, philosophiert Thomas Struchholz, „wird so oft bestimmt von Geld und vom Streben nach Macht.“ Da sei die Verbindung Seinsheim–Tietz ein „lichter Moment“ gewesen. „Die lagen auf einer Wellenlänge“, meint Struchholz. Nur so konnten Natur und Kunst eine derartig einmalige Verbindung eingehen wie im Hofgarten von Veitshöchheim.
Ferdinand Tietz, getauft am 5. Juni 1708, starb, für die damalige Zeit hochbetagt, am 17. Juni 1777 auf Schloss Seehof. Vor den Fenstern tummelten sich seine fabelhaften Wesen, die noch heute ihre Geschichten von der wunderbaren und ein wenig verrückten Lust am Leben erzählen.
Im Blickpunkt
Öffnungszeiten Mainfränkisches Museum: Dienstag bis Sonntag 10–17 Uhr. Hofgarten Veitshöchheim: Täglich 7–20 Uhr.