
Alte Fotos. Fotos vom Torturmtheater. Fotos von Veit Relin: mit der Malerbürste in der Hand beim Renovieren des Zuschauerraums; mit damals trendiger Schlaghose beim Inszenieren; mit großer Geste im Bademantel als Schauspieler neben einem Kontrabass. Angelika Relin sitzt auf einem Sofa im Foyer des Sommerhäuser Torturmtheaters und blättert durch die Schwarz-Weiß-Bilder. Erinnert sich an Veit Relin, ihren Mann, der im Januar vor drei Jahren 86-jährig starb. Denkt 40 Jahre zurück, an die Zeit, in der sie als 20-jährige Design-Studentin anfing, in dem Theater zu arbeiten, das Relin übernommen hatte.
Zu jedem Foto weiß die jetzige Leiterin der Bühne eine Geschichte zu erzählen. „Das ist aus ,Der Kontrabass‘“, sagt Angelika Relin mit Blick auf das Bademantel-Bild. Patrick Süskinds Monolog ist ein Fest für jeden Schauspieler. Veit Relin setzte den „Kontrabass“ 1983, zwei Jahre nach seiner Uraufführung, auf den Spielplan. Die Rolle des grantigen Kontrabassisten war eine seiner besten, brachte ihm Applaus und überregional gute Kritiken ein. Relin hatte – stets auf der Suche nach Perfektion bis ins Detail – sogar gelernt, das Vorspiel zu Richard Wagners „Walküre“ auf den dicken Saiten zu streichen.
Angelika Relin lacht leise: „Wir hatten das Instrument auch im engen Turmzimmer unseres Wohnturms. Das lag immer im Weg.“ Da habe „der Veit“ als Privatmensch eine ähnliche Hassliebe zu dem Bass entwickelt wie die Figur, die er spielte.
Eröffnet hatte Relin den Torturm, den vor ihm Luigi Malipiero (1901 bis 1975) seit 1950 bis zu seinem Tod geführt hatte, am 27. Februar 1976 mit „Wie man den Haifisch harpuniert“ des Franzosen Victor Haim als deutschsprachige Erstaufführung. Mit Erst- und Uraufführungen machte Relin das Haus mit nur 50 Zuschauerplätzen bundesweit bekannt, Motto: „Auch in einem kleinen Theater kann man große Kunst machen.“ Zudem half der Promi-Faktor: Der gebürtige Österreicher war mit Maria Schell verheiratet und deswegen auch für Bunte Blätter interessant – was ihn bei jenen bekannt machte, die keine Kulturseiten lesen. Und während Relin die Bühne voranbrachte – Schauspieler Joachim Król verdiente dort seine ersten Sporen – profitierte auch der Marktflecken am rechten Mainufer, entwickelte sich zum Künstlerdorf.
Angelika Relin kann heute Publikum aus der ganzen Republik begrüßen: Bis aus Schleswig-Holstein reisen die Gäste an, erzählt sie. Was sie freut: Die Zuschauer werden jünger. Bloß ein paar mehr Studenten wünscht sie sich. Und wirbt damit, dass auch sie – „Kontinuität ist wichtig“ – den Turm aus dem Mittelalter mit aktuellen Stücken, wenn möglich mit Erstaufführungen bespielt.
„,Blutsschwestern‘“, sagt sie, und nimmt wieder ein Foto in die Hand. Das zweite Stück in der Ägide Veit Relin sei das gewesen, überlegt sie und erinnert sich: „Da stand eine Waschmaschine auf der Bühne – angeschlossen.“ Als man nach einer Vorstellung gemütlich beisammensaß, „kam die Polizei und sagte, aus dem Turm laufe das Wasser raus“. Die Waschmaschine war undicht geworden. Das Wasser rann die Treppen aus dem Theater ins Foyer hinab und durchweichte den frisch verlegten Teppichboden . . .
Ihr Blick gleitet über die Wände des Foyers, die dicht mit Bildern und Zeichnungen aus der Hand von Veit Relin behängt sind. Das urige Ambiente ist noch wie zu Zeiten des Prinzipals. Ganz bewusst. Nicht nur, weil die jetzige Theaterchefin die Erinnerungen an den geliebten und verehrten Mann wachhalten möchte. Kassenbereich und Foyer machen mit all den Erinnerungsstücken, mit Kunst, Krempel und Dekorationen das ganz spezielle Torturmtheater-Gefühl aus. Sorgen für den Kultfaktor, den das kleine Theater auch braucht, um sich abzuheben, um etwas Besonderes zu sein, denn: „Man muss schon gezielt zu uns wollen“, weiß die Theaterchefin. Spontanbesucher auf dem Land? Eher die Ausnahme.
Cleo Kretschmer sitzt, die dunkel bestrumpften Beine übereinandergeschlagen, auf einem Hocker. Vor der Schauspielerin kauert Veit Relin, Zeichenblock und Stift in der Hand. Ein Foto von 1993, diesmal aber nicht aus dem Torturm. „Das war in München“, kommentiert Angelika Relin. Veit Relin, nicht nur Theatermacher, sondern auch Maler und Zeichner, porträtierte seinerzeit Promis in aller Eile, die Bilder wurden gerahmt, gehängt – und die Vernissage fand sozusagen mit ganz frischem Material statt.
München war für Veit Relin auch eine Art zweites Standbein des Torturmtheaters. Dort suchte er oft die Schauspieler aus, dort wurde zunächst geprobt. Das ist noch immer so. Die Endproben finden dann auf der Bühne in Sommerhausen statt. Ganz ohne Metropole geht „Theater in der Provinz“ scheinbar doch nicht. Nun ja, sagt Angelika Relin, München sei halt für die Schauspieler praktisch. Dort könnten sie neben den Proben für das Torturmstück auch andere Engagements wahrnehmen. Die Bayernmetropole biete da natürlich mehr Möglichkeiten.
Beim Thema Zeichnen erinnert sich die Torturm-Chefin an die Zeit, „als wir die Stücke noch mit Pause gespielt haben“. Immer wieder blockierte „der Veit“ die Treppe. Weil er da saß und eine Zuschauerin zeichnete, deren Gesicht ihn fasziniert hatte. Dass das Publikum nicht gleich aus dem Theater kam, es kümmerte nicht.
Irgendwie war – und ist noch – halt doch vieles anders in diesem Theater. Eigenwillig. Charmant auch. Jedenfalls nicht beliebig. Eine Art Gesamtkunstwerk.
Torturmtheater-Spielplan 2016
30. März bis 28. Mai: „Eine pornografische Beziehung“ von Philippe Blasband. Eigentlich wollen sie nur Sex. Doch dann kommt (vielleicht) Liebe dazu. Deutsche Erstaufführung. 2. bis 30. Juni: „Wenn ich was anderes machen würde, würde ich vielleicht nicht immer ans Geld denken“ von Felicia Zeller. Drei komische Einakter über die Wohlstandsgesellschaft 4. August bis 1. Oktober: „Wir sind keine Barbaren“, Farce von Philipp Löhle. Eine Frau nimmt einen Fremden bei sich auf. Das gibt Probleme und wird zum Krimi. 6. Oktober bis 18. Dezember: „Das Abschiedsdinner“ von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patelliere. Für langweilige Bekannte, die man loswerden will, wird in dieser Komödie kurzerhand ein Abschiedsessen gegeben. Eine gute Idee? Vorverkauf: Tel. (0 93 33) 268 oder kartenbestellung@torturmtheater.de