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LONDON
Utopia: Das Buch, das einer ganzen Literaturgattung den Namen gab
Vor 500 Jahren: In seiner gelehrten Satire „Utopia“ prangerte Thomas Morus soziale Missstände an. Sein Buch wurde Namensgeber einer Literaturform, inspirierte Science-Fiction-Autoren, aber auch Sozialisten.
dpa
 |  aktualisiert: 03.12.2019 08:54 Uhr

Irgendwo im Ozean stößt ein Reisender auf eine alternative Gesellschaft. Sein Bericht über die Sitten und Gebräuche der Fremden stellt die Lebenswelt Westeuropas infrage, auch wenn es sich „nur“ um eine Fiktion handelt. So ging es den Lesern, die vor 500 Jahren die Schrift des englischen Humanisten Thomas Morus (1478 bis 1535) über die Insel Utopia in den Händen hielten, komplett mit einer Karte des Landes und einem Alphabet der einheimischen Sprache. Bei den ersten Lesern handelte es sich aber nur um eine kleine Elite.

„Utopia“ erschien 1516 auf Latein. „Das Buch wurde von Gelehrten geschätzt, war aber einem Großteil der Bevölkerung nicht zugänglich“, erklärt der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Seeber. Der Name der Insel ist ein Wortspiel aus dem griechischen „Outopia“ („Nichtort“) und „Eutopia“ („glücklicher Ort“), die in der englischen Aussprache gleich klingen. Ob „Utopia“ tatsächlich eine mögliche oder bessere Welt darstellen sollte, war nie ganz klar. Das einfache Leben der Bewohner basiert auf gemeinschaftlichen Prinzipien. Erwachsene arbeiten für das Gemeinwohl, man lebt in größeren Gemeinschaften, teilt Mahlzeiten miteinander. Reichtümer gibt es nicht.

„Utopia“ kritisiert die Gesellschaft Englands im 16. Jahrhundert. In der Rahmenhandlung des ersten Buches stellt der Autor die Missstände der Inselmonarchie dar. So würden etwa Adlige und Geistliche im Überfluss leben, aber Diebe, die aus Not handelten, mit dem Tode bestraft. Der im zweiten Buch beschriebene Staat soll ein republikanisches und egalitäres Gegenmodell dazu bieten. „Das Werk prangert die Kriegspolitik der europäischen Fürsten an und die Unterschiede der Klassen“, erklärt Hans Ulrich Seeber. Dabei habe Morus erstmals einen Zusammenhang zwischen Besitzverhältnissen und Kriminalität hergestellt. Das Werk habe vom 17. Jahrhundert bis zu Friedrich Engels viele beeinflusst.

Kultbuch der Sozialisten

„,Utopia‘ wurde im 19. Jahrhundert zum Kultbuch der Sozialisten, weil darin der Kommunismus mit seinem Gemeinschaftseigentum zum ersten Mal propagiert wurde“, sagt Seeber, auch wenn Morus seine Idee wahrscheinlich vom klösterlichen Leben abgeleitet habe. Zwar hatten schon antike Autoren wie Platon ähnliche Werke geschrieben, doch Morus' Utopie gab der Literaturgattung ihren Namen. Sie hatte auch Einfluss auf spätere Denker und Autoren wie Edward Bellamy mit „Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf das Jahr 1887“ (1888) und H. G. Wells mit seiner „Zeitmaschine“ (1895).

Im 19. Jahrhundert waren Utopien noch Pläne für eine alternative Gesellschaftsordnung. Im 20. Jahrhundert kehrten sie sich Experten zufolge in Dystopien – negative Utopien – um, wie Aldous Huxleys „Schöne Neue Welt“ (1932) oder George Orwells „1984“ (1948).

Die engen Strukturen der Utopie seien für die liberale Gesellschaft untragbar geworden, nicht zuletzt, „weil der Aufstieg totalitärer Systeme wie in der Sowjetunion und in Deutschland die Gefahren solcher Gesellschaften zeigte“, erklärt Seeber. Auch die Person des Autors sei für die anhaltende Popularität von „Utopia“ verantwortlich, meint der Bonner Literatur- und Kulturwissenschaftler Uwe Baumann. „Thomas Morus hat als Heiliger der katholischen Kirche ein weltliches Werk geschrieben, in dem der Mensch selbst für die Welt verantwortlich ist – mit seiner Vernunft, seinen moralischen Prinzipien und seinen Kardinaltugenden.“ Das inspiriere auch heute noch viele. Morus wurde hingerichtet, weil er sich aus Gewissensgründen seinem König Heinrich VIII. widersetzte, der sich in der Reformation zum Oberhaupt der Kirche von England machte. Auch „Utopia“ zeuge von starker politischer Überzeugung, einer rationalen Analyse und klaren Zielvorstellungen. „Es geht um eine größere gesellschaftliche Verantwortung,“ meint Baumann.

 
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