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Urs Widmer: Tod eines Wortzauberers
Urs Widmer
Foto: dpa | Urs Widmer
dpa
 |  aktualisiert: 07.01.2016 14:53 Uhr

Urs Widmers Autobiografie enthält eine Warnung. Doch kaum jemand nahm sie ernst, als seine „Reise an den Rand des Universums“ im vergangenen September erschien. Eine Autobiografie sei „das letzte Buch“, schrieb Widmer. Danach komme nichts mehr. „Alles Material verbraucht. Kein Erinnerungsrätsel mehr.“ Am Mittwoch starb der große Schweizer, dessen Werke nicht selten in einem Atemzug mit jenen von Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt genannt werden. Er wurde 75 Jahre alt, und die Autobiografie erwies sich als sein letztes Buch.

Widmers Warnung hatte man vor allem deshalb für einen Bluff gehalten, weil „Reise an den Rand des Universums“ geradezu nach einer Fortsetzung schreit: Sie hört auf, wo Lebensrückblicke anderer Autoren erst richtig in Fahrt kommen – mit seinem 30. Lebensjahr, jenem Jahr, in dem Widmers Debüt („Alois“) für Aufregung in Europas literarischen Debattierrunden sorgte. Die Erzählung war so konsequent Popkunst, wie bis dahin nichts Geschriebenes in deutscher Sprache. Mit einer Mischung von Comic, Action, Philosophie und Fantasie ohne wirkliche Handlung griff Widmer 1968 den traditionellen Literaturbegriff an.

Fabulierkunst und Tiefe

Sein Schreibstil wandelte sich, wurde gefälliger, doch immer schuf er mit großer Fabulierkunst und Tiefe sprachliche Wunderwelten. Wenn Urs Widmer in seinem Gartenhäuschen im Zürcher Stadtteil Hottingen seine alte Schreibmaschine bearbeitete, war ein großer Wortzauberer am Werk. In Basel am 21. Mai 1938 geboren und dort 1966 promoviert mit einer Arbeit über die deutsche Nachkriegsprosa, versuchte Widmer sich erst relativ spät als Schriftsteller. Sein Vater, Walter Widmer, ein angesehener Kritiker, Übersetzer und Gymnasiallehrer in Basel, befreundet mit Heinrich Böll, wollte immer einen Roman schreiben – und tat es doch nicht. Solange der Vater lebte, traute sich auch der Sohn nicht. Stattdessen förderte er als Verlagslektor die Schreibkunst von anderen.

Als der Vater mit 62 starb, „verwandelte ich mich, fast auf der Stelle, in einen Schriftsteller“. Aber ebenso wichtig sei für ihn 1967 der Wegzug aus der Schweiz nach Frankfurt am Main gewesen. 17 Jahre lebte und schrieb Widmer in Deutschland. „Da kam ich erst richtig auf die Welt und lernte, was Geschichte bedeutet.“ Er schuf ein gutes Dutzend Theaterstücke, viele Hörspiele, große Essays. Sein bekanntestes Werk ist die Trilogie „Der Geliebte der Mutter“ (2000), „Das Buch des Vaters“ (2004) und „Ein Leben als Zwerg“ (2006). Darin verknüpfte er individuelle Schicksale mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Einen Riesenerfolg als Dramatiker erlebte er 1997 mit „Top Dogs“. Das Stück über den Absturz von Spitzenmanagern hat nichts von seiner Bedeutung eingebüßt.

 
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