Vier Konzerte und ein Vorabend – klingt ein bisschen nach Ring des Nibelungen, ist in diesem Falle aber der revolutionären Kraft des Klaviers gewidmet: die kleine Reihe „Schwarzweiß“ am Freitag und Samstag beim Kissinger Sommer. Untertitel: „Das Klavier und die Moderne“. Denkt man an Komponisten wie Skrjabin, Debussy oder Rachmaninoff (alle hier vertreten), leuchtet das Thema auf Anhieb ein, im Grunde hätte man aber bereits mit Bach beginnen können.
Schließlich ist das Klavier mit seinen 88 Tasten in Weiß und Schwarz schon immer das bestmögliche Instrument, um neue Klänge, neue Rhythmen, neue Formate, neue Welten zu erkunden. Das zeigt sich auch bei Schubert, dessen vierhändige C-Dur-Sonate „Grand Duo“ lange für den Klavierauszug einer verschollenen Sinfonie gehalten wurde. Herbert Schuch und Gülru Ensari geben sie sozusagen dem Klavier zurück, indem sie nicht nur nicht versuchen, möglichst raumgreifend und eben sinfonisch zu agieren, sondern ihren Blick vielmehr auf die unglaubliche Feinheit der Textur richten. Und so Passagen freilegen wie etwa das wunderbare zweite Thema im Kopfsatz, die weit mehr sind als nur Blaupausen für die große Besetzung.
Elegante Choreografie der Arme und Hände
Dieser Glaube ans Klavier (und an die eigene Gestaltungskraft), gepaart mit müheloser Präzision und wunderbarer Natürlichkeit, aufgeführt vierhändig als elegante Choreografie ineinander greifender Arme und Hände, führt in Strawinskys „Sacre du printemps“ sogar dazu, dass die Tastenversion plötzlich mächtiger wirkt als die orchestrale – die Wucht entsteht im Gestus und nicht in der Masse. Das Publikum dankt mit beeindruckter Begeisterung.
Beethovens Diabelli-Variationen sind dagegen – zumindest bei Igor Levit – so etwas wie eine Reise ins Innere. Nach einem forschen Eingangswalzer durchläuft das Stück alle Stufen der Introspektion. Levit verdichtet und entschlackt gleichzeitig, er drückt aufs Tempo und scheint doch zu entschleunigen. Es ist, als zeige er eine vermeintlich einfach geformte Skulptur von allen Seiten, aus allen Winkeln, in unterschiedlichstem Licht. Und entdeckt so sich und dem Zuhörer ein hochkomplexes Universum. Sehr viel moderner geht es kaum.
Collage aus spätromantischen Klängen
Das Moderne beim amerikanischen Komponisten Frederic Rzewski, Jahrgang 1938, liegt nicht so sehr im neuen Klang, sondern in der Collage aus eher alten, will sagen: spätromantischen Klängen. Igor Levit spielt Rzewskis postmodernes Mammutwerk „The people united will never be defeated“ (Das vereinte Volk wird niemals besiegt werden) als immer neues Anrennen einer Idee gegen unterschiedlichste Widerstände. Die 36 Variationen, uraufgeführt 1976, fußen auf einem Anti-Pinochet-Protestlied und sind durchaus als Kritik an der damaligen US-Politik zu verstehen – irgendwie deprimierend, dass diese Kritik heute aktueller erscheint denn je.
Alles andere als deprimierend hingegen Igor Levits Meisterschaft: Das hochvirtuose Stück steigert sich zu immer neuen, folgenlosen Höhepunkten – dass es sich nicht totläuft, ist wesentlich Verdienst des fabelhaften Pianisten. Das Publikum im sehr gut gefüllten Rossini-Saal würdigt Levits zweifachen pianistischen Marathon mit stehendem Applaus und vielen Bravi.