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Umstrittene Autobiografie: Jetzt packt Woody Allen aus
Als Regisseur hat er Filmgeschichte geschrieben. Missbrauchsvorwürfe überschatten sein Leben. In seiner Autobiografie erzählt Woody Allen seine Version der Ereignisse.
Woody Allen erzählt 'ganz nebenbei' aus seinem Leben.
Foto: Guillaume Horcajuelo, dpa | Woody Allen erzählt "ganz nebenbei" aus seinem Leben.
Herbert Scheuring
Herbert Scheuring
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:33 Uhr

Man kann gar nicht früh genug damit beginnen, Rechenschaft über das eigene Leben abzulegen. Ein humoristischer Blick auf die Dinge kann dabei hilfreich sein. „Ich bin 84, mein Leben ist halb vorbei“, schreibt der Filmregisseur, Schauspieler, Autor und Komiker Woody Allen in seiner gerade veröffentlichten Autobiografie „Ganz nebenbei“ (Rowohlt Verlag, 443 Seiten). Das Buch hat in den vergangenen Wochen für Aufsehen gesorgt wie kein zweites. Auch in Deutschland gab es Proteste gegen die Veröffentlichung. Nun ist es sogar noch vor dem geplanten Termin (7. April) erschienen.

Wer eine Autobiografie liest, sucht Antworten auf die Frage: Was ist das für ein Mensch? Im Fall von Woody Allen ist diese Frage besonders brisant, da aufgrund des Missbrauchsvorwurfs selbst viele Fans nicht mehr wissen, was sie von ihm halten sollen. Aber fangen wir ganz von vorne an.

Allan Stewart Konigsberg wurde 1935 als Kind jüdischer Eltern in Brooklyn geboren. Als er sieben Jahre alt war, nahm ihn sein Vater erstmals mit nach Manhattan, und seitdem träumte er von einem Leben in der „Stadt jenseits des Flusses“, der er später in vielen Filmen ein Denkmal setzte. Allen schildert seine Kindheit – „Ich habe ernsthaft erwogen, Cowboy zu werden. Also besorgte ich mir ein Lasso und übte im Keller an einem Eimer“ – und Jugend weitschweifig, aber oft so unterhaltsam und pointiert, dass man sich an die Stimme aus dem Off aus seinen Filmen erinnert fühlt.

Nach 200 Seiten beginnt der "Schlamassel"

Schon als Schüler, erzählt er, machte er im Kino an besonders spannenden oder romantischen Stellen Witze und sorgte so für Lacher. Irgendwann schickte er Gags an Zeitungen, die sie abdruckten, eine Agentur beauftragte ihn, Witze für andere zu schreiben, um so „den Wurm der Komik in die aufgesperrten Schnäbel zu legen“. Und so nahm seine Karriere ihren Lauf: Allen trat als Comedian in Clubs und TV-Shows auf, schrieb Drehbücher, wurde Schauspieler und vielfach ausgezeichneter Filmregisseur.

So geht es gut 200 Seiten lang weiter, bis Allen erstmals auf den „Schlamassel“ zu sprechen kommt, andeutet, da gebe es einiges zu erzählen, und ergänzt: „auch wenn ich hoffe, Sie haben das Buch nicht bloß wegen dieser Geschichte gekauft“. Und dann erzählt er ausführlich und gibt Einblicke in menschliche Abgründe und ein Minenfeld familiärer Beziehungen. Worum geht es?

Öffentliche Schlammschlacht

13 Jahre lang waren Allen und die Schauspielerin Mia Farrow, die in vielen seiner Filme mitspielte, ein Paar, hatten zusammen zwei Adoptivkinder – Dylan und Moses – und den gemeinsamen Sohn Ronan, der 1987 zur Welt kam. 1992 ging die Beziehung in die Brüche – alle Details können hier unmöglich wiedergegeben werden. Es kam zu einem Sorgerechtsstreit und einer öffentlichen Schlammschlacht, auf deren Höhepunkt Farrow Allen vorwarf, die gemeinsame Adoptivtochter Dylan missbraucht zu haben, als diese sieben war. Allen hat die Vorwürfe stets zurückgewiesen und als Rufmord-Kampagne Farrows bezeichnet, um ihn im Sorgerechtsprozess auszustechen – den er verlor.

Vom Vorwurf des Missbrauchs aber blieb juristisch nichts übrig. Die Untersuchungsbehörde schrieb, sie sei zu dem Ergebnis gekommen, „dass Dylan von Mr. Allen nicht sexuell missbraucht wurde“, und das Jugendamt von New York hielt in einem zweiten Gutachten fest: „Die Anschuldigungen werden daher als haltlos erachtet.“

Seit einigen Jahren sind diese Anschuldigungen jedoch wieder öffentliches Thema – nicht zuletzt deshalb, weil sie Allens und Farrows gemeinsamer Sohn Ronan aufs Neue vorbringt. Und jetzt wird es einigermaßen kompliziert: Ronan Farrow hat durch seine Recherchen über den Filmproduzenten Harvey Weinstein die #MeToo-Bewegung mit angestoßen. Also muss er ja einer der Guten sein, der die Wahrheit sagt. Wirklich? So einfach ist es leider nicht.

Ronan Farrow war zum Zeitpunkt, als sich die Tat ereignet haben soll, vier Jahre alt und kennt die ganze Geschichte auch nur vom Hörensagen. Und andere Zeitzeugen und Familienmitglieder – wie Moses Farrow, der Allens Version stützt – erzählen eine ganz andere Geschichte.

Wo liegt die Wahrheit?

Ja, es wird in diesem Buch viel schmutzige Wäsche gewaschen, und es ist fraglich, ob sich Woody Allen einen Gefallen damit tut, wenn er Mia Farrow – so nachvollziehbar und möglicherweise berechtigt das auch sein mag – als „nicht ganz bei Trost“ und „Durchgeknallte“ bezeichnet. Andererseits hat er trotz noch heftiger Vorwürfe gegen ihn meist vornehm geschwiegen und stellt nun eben seine Sicht der Dinge dar.

Besonders bizarr ist in diesem Zusammenhang auch, dass auch deutsche Autoren gegen die Veröffentlichung des Buchs protestierten mit dem Hinweis, Allen habe sich „nie überzeugend mit den Vorwürfen“ gegen ihn auseinandergesetzt. Denn in diesem Buch tut er genau das. Wo die Wahrheit liegt, mag nach der Lektüre jeder für sich selbst entscheiden.

Humor in schwierigen Zeiten

Woody Allens Erinnerungen sind kein raffiniert komponiertes Kunstwerk wie viele seiner Filme, sondern eine – abgesehen vom typischen Woody-Allen-Sound – recht konventionell erzählte Chronik der Ereignisse, an deren Ende er fast schon durch die Geschichte seiner späteren Filme hetzt, als ob er sie nur noch „ganz nebenbei“ erwähnen wollte.

Es ist eine ziemliche Herausforderung, trotz des ganzen Schlamassels den Humor nicht zu verlieren – eine Herausforderung, die Allen gemeistert hat. „Ich hatte den festen Glauben, dass Zeit, gesunder Menschenverstand, Logik und Beweise auch den dümmsten Kopf erleuchten würden“, schreibt er mit Blick auf die Vorwürfe gegen ihn: „Aber ich habe auch geglaubt, Hillary (Clinton) würde gewinnen.“ Und als heiter durchwirkte, doppelbödige Lebensbilanz bleibt: „Stürbe ich in diesem Augenblick, könnte ich mich nicht beklagen – und das täten wohl viele andere Leute auch nicht.“

 
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