Sie sind hässlich, gemein, infantil. Angeblich zeigen sich sogar schon erste Anzeichen von Verwesung. Im Dienste der tabulosen Unterhaltung erspart Ulrich Tukur seinen Rhythmus Boys – und sich selbst – kaum eine Gemeinheit. Die Bühne des vollen Würzburger Mainfranken Theaters betritt er gleich mal ohne Hosen. Als er das Versäumnis bemerkt, pfeift er seinen Requisiteur herbei und lässt sich Beinkleider bringen. „Und Unterhosen!“
Die Rhythmus Boys – Günter Märtens, Ulrich Mayer und Kalle Mews – spielen mit in dieser Freakshow, die natürlich genau das Gegenteil ist: Das musikalische Bühnenprogramm „Let's misbehave“ ist keine zynische Demütigung, sondern eine liebevolle Hommage. An den leichten, gerne auch mal sinnfrei kindischen, am liebsten aber frivolen Witz der amerikanischen 1920er und 1930er Jahre. Vor allem aber an die Musik, die diese (End-)Zeit geprägt hat: den Swing.
Das funktioniert: Die Ikonen des American Songbook, die Songs von Cole Porter, Irving Berlin, George Gershwin oder Hoagy Carmichael, halten der Dauerblödelei nicht nur stand, sie fordern sie geradezu heraus. Denn das Subversive steckt nicht nur in den unanständig schmissigen Rhythmen und den lustvoll wummernden Harmonien, sondern oft auch in den Texten. Oder den Geschichten: „Miss Otis regrets“ etwa erzählt von einer Frau, die ihren abtrünnigen Liebhaber erschießt und daraufhin vom Mob gelyncht wird. Sie muss deshalb ihre Verabredung zum Mittagessen absagen (lassen): „Miss Otis regrets she's unable to lunch today, Madam.“
Geschrieben hat Cole Porter die Nummer auf eine Wette hin. Der Einsatz: 1000 Dollar, wenn er es schaffe, aus dem nächsten im Café gesprochenen Satz einen Song zu machen. Just in diesem Moment entschuldigte jemand am Nebentisch eine Miss Otis. Ein Klassiker war geboren. Zum Konzept gehört – neben solch amüsanten biografischen Exkursen – natürlich auch die Koketterie: Mittelmäßig gespielt, aber tief empfunden seien die Stücke, behauptet Tukur. Diese Art von mittelmäßig ist jedenfalls höchst gekonnt. Der Schauspieler ist ein ernstzunehmender Swing-Pianist und ein versierter Sänger, Kalle Mews ein brillanter Schlagzeuger, der nicht nur im Tutu sehr, sehr lustig sein kann.
Das komische Talent haben sie alle gemeinsam. Günter Märtens, der hagere Mann am Bass, wirkt wie die Totengräber bei Lucky Luke, und Gitarrist Ulrich Mayer sinniert im – weiblichen – Fat Suit schon mal zur Ukulele, warum die Frauen ihn nicht mögen. Ulrich Tukur gibt neben dem Bandleader den Bühnenderwisch, den begnadeten Plauderer, der sein Publikum in mehreren Sprachen zutextet und dabei immer genau den richtigen Gestus trifft. Beim französischen Faust etwa, der auf Gretchens Frage, wie er es denn mit der Religion halte, nur landestypisch die Backen aufbläst und die Schultern hochzieht.
Dazwischen ein bisschen Kästner, ein bisschen Goethe und eine „Drecksauerei, die nicht einzuholen ist“ (Tukur) des Goethe-Freunds Friedrich Leopold zu Stolberg-Stolberg. Erlaubt ist, was verblüfft.
Ulrich Tukur und seine kleine Tanzkapelle geben so dem Swing seine ganze Vitalität zurück. Vor allem aber das Aufregende, das Unerhörte, das er einst für seine Zeitgenossen gehabt haben muss.