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TV-Serie "Girls": Schonungslose Mädchen
In Serie: In einer Reihe von Artikeln beschäftigen wir uns feuilletonistisch mit alten und neuen Fernsehserien. Heute: „Girls“ oder Die Fortsetzung von „Friends“ mit anderen Mitteln.
In jeder Hinsicht ungewöhnlich: Szene aus der preisgekrönten Fernsehserie „Girls“ mit Lena Dunham als Hannah Horvath, Zosia Mamet (Shoshanna), Jemima Kirke (Jessa) und Allison Williams (Marnie).
Foto: HBO/Home Box Office | In jeder Hinsicht ungewöhnlich: Szene aus der preisgekrönten Fernsehserie „Girls“ mit Lena Dunham als Hannah Horvath, Zosia Mamet (Shoshanna), Jemima Kirke (Jessa) und Allison Williams (Marnie).
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 25.05.2015 11:50 Uhr

Ich würde nie einem Club beitreten, der bereit wäre, jemanden wie mich aufzunehmen.“ Knapper als Groucho Marx hat bisher niemand die Essenz der narzisstischen Persönlichkeit zusammengefasst. Hannah Horvath ist eine solche Persönlichkeit. Grouchos Spruch könnte ihr Lebensmotto sein, und wenn man all den Rezensionen, Analysen und Hintergrundberichten glauben kann, dann ist es auch das Lebensmotto von Lena Dunham, der Schöpferin von Hannah Horvath.

Lena Dunham, Jahrgang 1986, Tochter eines New Yorker Künstlerehepaars, ist Erfinderin, Produzentin, Drehbuchautorin, Regisseurin und – als eben jene Hannah Horvath – Hauptdarstellerin der HBO-Serie „Girls“. Die erste beiden Staffeln waren in ZDFneo zu sehen, auf TNT Glitz läuft derzeit die vierte Staffel.

„Girls“ ist in jeder Hinsicht ungewöhnlich. Dabei ist die Ausgangssituation längst klassisch: Ein Freundeskreis junger Erwachsener, die versuchen, in New York Fuß zu fassen. Die Stadt ist dabei – natürlich – Metapher für das Leben als solches. „Friends“, „Seinfeld“, „Sex and the City“, „How I met your Mother“ – immer geht es um Jobs, um die Liebe, um die Bestimmung im Dasein schlechthin.

„Girls“, seit dem Start 2012 vielfach ausgezeichnet, ist schonungsloser, ehrlicher und herausfordernder als all die Vorläuferformate zusammen. Es beginnt schon damit, dass nie richtig klar wird, was die vier Freundinnen, die im Mittelpunkt stehen, eigentlich verbindet. Außer verkorkste sexuelle Erfahrungen, gescheiterte Beziehungen, gelegentlicher Drogenkonsum, ziemlich regelmäßige Lebenskrisen und das mehr oder weniger unterschwellige Entsetzen darüber, dass sich das Leben nicht so entwickelt, wie man es sich mit 16 vorgestellt hat.

Hannah kommt aus Michigan und hat am College kreatives Schreiben studiert. Sie will Schriftstellerin werden. Die Serie beginnt damit, dass ihr die Eltern – zwei Jahre nach dem Abschluss – jegliche Unterstützung streichen. Nicht, weil sie das Geld nicht hätten, sondern weil die Mutter endlich ein Haus am Wasser will. Hier kündigt sich die kühle, mitleidlose Ironie an, mit der Lena Dunham ihre Figuren zeichnet.

Hannah ist pummelig, tätowiert (mit Illustrationen berühmter Kinderbücher) und chaotisch. Sie kann hinreißend hübsch sein, wenn Lena Dunham es ihr/sich gestattet, sie kann aber auch ihre – vorgeblichen – körperlichen Mängel mit trotzigem Exhibitionismus präsentieren, und das nicht nur in den expliziten Sexszenen, die „Girls“ allein schon aus der Gattung der New-York-Sitcoms herausfallen lassen.

Mit ihrer pseudorationalen Sprunghaftigkeit, ihrer Egozentrik, ihrer Mischung aus Sturheit und Unsicherheit, aus Hybris und Selbstverachtung, bringt Hannah dauernd sich selbst und andere zur Verzweiflung. Marnie (Allison Williams), die Schöne, die Perfekte, die Prüde, ist das genaue Gegenstück zu Hannah. Sie ist das typische Exemplar der ewigen Homecoming-Queen, also der Abschlussball-Königin, auf der Suche nach einem Sinn jenseits der Äußerlichkeiten, dabei aber nicht fähig oder bereit, sich mit den weniger appetitlichen Seiten der Realität abzufinden.

Shoshanna (Zosia Mamet), die Dauer-Quasslerin, ist auf ganz eigene Art durchgeknallt. Sie lässt alle permanent an einem – eben nicht inneren – Monolog teilhaben, der eine ziemlich verzerrte Weltsicht offenbart. Vielleicht ist es aber auch nur eine von vielen ganz normalen Weltsichten, nur dass Sho- shannas Umfeld sie ungefragt und ungefiltert aufgedrängt bekommt.

Die Engländerin Jessa (Jemima Kirke) schließlich ist eine radikale Hedonistin, deren Mitmenschen bei näherem Kontakt zwangsläufig zu Kollateralschäden ihrer Jagd nach Lust werden.

Die Männer sind übrigens keineswegs normaler als die Frauen. Charlie (Christopher Abbott), den Marnie in die Wüste schickt, weil er einfach zu nett ist, umgibt die unangenehme Ahnung einer dunklen Seite. Ray (Alex Karpovsky), der aus seiner Muffligkeit mit dem „Grumpy Café“ eine Geschäftsidee gemacht hat, ist vermutlich der Einzige, der Shoshanna ertragen könnte. Elijah (Andrew Rannells), der schwule Exfreund von Hannah, ist eigentlich bi oder wäre es gern. Und schließlich Adam (Adam Driver), der ruppige Künstler, der nicht viel redet, der aber, wenn er redet, schonungslos die Wahrheit sagt, seine zumindest. Die Kritik betrachtet alles, was Lena Dunham tut, wie unter einem Brennglas. Manchem Kommentator scheint es nur darum zu gehen, nachzuweisen, dass ihr kometenhafter Erfolg (der sich unter anderem in einem Millionen-Vorschuss auf ihre Autobiografie ausdrückte) nur ein Strohfeuer sei.

Gern genommen wird auch die Behauptung, sie kaue nur immer wieder ihr eigenes Leben durch. Kürzlich hat man ihr, der Jüdin, vorgeworfen, Antisemitin zu sein, weil sie in einer Kolumne ihren jüdischen Freund mit ihrem Hund verglichen hatte.

„Girls“ ist oft mit einer Art Ratgeber verglichen worden. Marlene Soerensen schrieb 2013 in der „Zeit“: „Jünger, entblößender, ironischer, dabei unfassbar lustig und erschütternd gut. Wer Mitte zwanzig ist, kann sich von der Serie an die Hand nehmen lassen. Wer älter ist, bereut, dass sie erst jetzt läuft. Man hätte die eigenen Krisen einfach als komischer empfunden.“

Tatsächlich wirft Lena Dunham eine Frage auf, die längst nicht nur Heranwachsende interessieren sollte: Wie lebt man in einer Welt, in der alles verfügbar, alles erlaubt, alles egal ist, aber nichts mehr erfüllend? Dass sie die Einzige sei, die darauf Antworten weiß, hat Lena Dunham nie behauptet.

Lesen Sie in der nächsten Folge: „Bezaubernde Jeannie“ oder Spießer trifft Sexyness.

 
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