
: Wolfgang Herrndorfs Erfolgsroman „Tschick“ ist ein literarisches Phänomen. Die Geschichte ist denkbar schlicht: Zwei Jugendliche nehmen in den Sommerferien mit einem geklauten Lada Reißaus und tuckern durch die deutsche Provinz auf dem Weg in die Walachei, wo immer die liegen mag. Eigentlich ist das Buch als Jugendroman angelegt, aber seine 2,2 Millionen Leser hat „Tschick“ quer durch alle Generationen gefunden. Vielleicht liegt das daran, dass Herrndorf sich nie dem jungen Zielpublikum anbiedert.
Die Jugendsprache verwandelte er in eine eigenständige, sehr gegenwärtige Poesie. Der Roman zeichnet sich durch seinen Sinn für die Skurrilitäten des pubertären Daseins genauso aus wie durch sein großes Herz, mit dem die Begegnung der Marzahner Jungs und den eigentümlichen Provinzlern beschrieben werden. Herrndorf, der sich aufgrund eines unheilbaren Hirntumors 2013 selbst das Leben genommen hat, war bekennender Cineast. Und so ist „Tschick“ schon auf dem Papier als literarisches Roadmovie angelegt, das auch jenseits seines Bestseller-Ruhms nach einer Verfilmung ruft.
Natürlich standen die Produktionsfirmen beim Verlag Schlange, um die Filmrechte für den Stoff zu erwerben. Letztlich hat Herrndorfs langjähriger Freund Lars Hubrich die Arbeit am Drehbuch übernommen, und Fatih Akin ist kurzfristig als Regisseur eingestiegen, nachdem David Wnendt („Feuchtgebiete“) wegen eines anderen Filmprojektes ausscheiden musste.
Akin ist ein Glücksfall für diesen Film, denn ähnlich wie Herrndorf hat er sich als Regisseur ein großes Herz und einen unverstellten Blick auf Menschen, vor allem eigenwillige, bewahrt.
Seine Entscheidung, die beiden Helden des Filmes nicht mit bekannten, aber zu alten Gesichtern zu besetzen, sondern mit Neulingen, die wie die Romanfiguren gerade einmal 14 Jahre alt sind, ist ein Bekenntnis zum Geist des Romans. Wenn Maik (Tristan Göbel) und Tschick (Anand Batbileg) mit dem Lada über die Autobahn heizen und die Vorbeifahrenden sie ob ihrer offensichtlichen Minderjährigkeit anstarren, dann hat sich die Besetzungsstrategie schon ausgezahlt.
Zwischen Kindsein und Coolness
Die beiden jungen Schauspieler bringen genau jenes ungelenke Erwachsenwerden der Pubertät auf die Leinwand, das für diese unkonventionelle Coming-of-Age-Geschichte notwendig ist. Zwischen Kindsein und Coolness stolpern die Figuren auf der Leinwand von einem Abenteuer ins nächste, während Richard Claydermann aus dem Kassettenrekorder immer wieder seinen romantischen Gassenhauer „Ballade pour Adelaine“ klimpert. Die Episodendramaturgie verkümmert hier nicht zur bloßen Nummernrevue, sondern summiert sich für die ungleichen Freunde zu einem vielfältigen Erfahrungs-Potpourri, das die Figuren frei atmen lässt anstatt sie in nervige Katharsisprozesse zu zwingen.
Fatih Akin hat genau den richtigen Weg gefunden zwischen der Treue zur literarischen Vorlage und dem Eigenleben, das seine Filmversion auf der Leinwand entwickelt, indem sie Komik, Skurrilität, Melancholie, liebenswerten Humanismus mit einer filmischen Frische verbindet. Genau wie der Roman ist auch der Film voller kleiner Überraschungen, die sich nicht aus spektakulären Plotwendungen ergeben, sondern aus der Kühnheit, mit der die Figuren gegen alle Erwartungen agieren.
Das kommt auch im Kino immer noch viel zu selten vor: • • • • ο
Cinemaxx Würzburg, Cineworld im Mainfrankenpark, Filmwelt und Weltbio Schweinfurt, Stadtsaal Bad Königshofen, Movie Marktheidenfeld, Starlight Bad Neustadt, Broadway Wertheim, Universum Bad Kissingen (FSK ab 12)