Ein Roman, wie auf dem Umschlag steht, oder doch eher politisches Zeitzeugnis und Erinnerungsbuch? Ilija Trojanow hat „Macht und Widerstand“ als sein „Opus Magnum“ angekündigt. 15 Jahre sammelte er in seinem Geburtsland Bulgarien „eine ganze Wand voll“ Stasi-Akten früher Verfolgter. Daraus hat er die Geschichten des lebenslang Widerstand leistenden Konstantin und des lebenslang grausam, zynisch und korrupt im Unterdrückungsapparat arbeitenden Karrieristen Metodi gemacht.
Trojanow (50) lässt beide abwechselnd ihren Weg ab den 50er Jahren bis zur Nachwende-Zeit in Sofia erzählen. Ihre Wege kreuzen sich immer mal wieder. Am Anfang stehen Todesurteile und Folter in Kellern für respektlosen Umgang mit Stalin-Denkmälern. Am Ende die erfolgreiche Dreistigkeit der vormaligen Henker und Folterer bei der Vertuschung von Verbrechen und der neuerlichen Ausgrenzung und Demütigung der Opfer.
Das Buch ist eine fantastische und notwendige Erinnerung daran, wie entscheidend für jede Gesellschaftsform das Kräfteverhältnis zwischen Bequemlichkeit, Opportunismus, Egoismus bis hin zu Niedertracht einerseits und „Widerstand gegen den Geist der Macht“ andererseits ist. Nicht nur einmal denkt man bei der Lektüre an die eigene, freiwillige Unterwerfung unter allerlei seltsame Facebook-Regeln und Trojanows publizistisches Engagement gegen viel monumentalere Überwachungspraktiken unserer durchdigitalisierten Tage. Wie lächerlich wirken im Vergleich zum US-Geheimdienst NSA die im Buch munter beschriebenen Anstrengungen der bulgarischen Stasi, eine Wohnung unentdeckt zu „verwanzen“. Man musste halbe Stadtteile mit gigantischem Aufwand weglocken. Heute reichen zwei Klicks.
Trojanow (50) erzählt eine drängend wichtige, erschütternde Geschichte unsentimental und geradeaus. Illustrierend auch sein Versuch, den jeweiligen Zeitgeist in Bulgarien mit Jahreszahl-Porträts einzufangen. Was war dort 1957 gesellschaftlich angesagt, was 2012?
Leseerwartungen an einen Roman werden nicht immer erfüllt. Alle Personen bis auf den Mann aus dem Widerstand und das Gegenmodell bleiben blass, auch Konstantins verständnisvolle Gefährtin Dora und eine aus dem Nichts mit drängenden Forderungen auftauchende Seitensprung-Tochter des Parteibonzen Metodi. Beim Wechsel zwischen wörtlich wiedergegebenen Stasi-Dokumenten und erfundenen Passagen hätte man sich vielleicht eine klarere Deklaration gewünscht. Aber was macht es, ob ein Roman oder ein Zeitzeugnis versteinerte Herzen in einer versteinerten Gesellschaft in Bewegung bringen, ja rühren kann?
Ilija Trojanow: Macht und Widerstand (S. Fischer, 479 S., 24,99 Euro)