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WÜRZBURG
Tretter und die Textarbeit im dunklen Keller
Tretter und die Textarbeit im dunklen Keller       -  Irgendwann, wenn wir mit dem Text mal soweit sind, werd' ich mal mit auf die Bühne müssen.“ Strahlender Sonnenschein in Würzburg, herrlicher Sommertag. Und Mathias Repiscus sitzt in seinem Bockshorn-Keller im Fastganzdunklen, irgendwo in Reihe drei im leeren Saal, und blättert im Ordner. „Wo waren wir?“ Oben auf der Bühne rückt Mathias Tretter das Papier zurecht. „Bei den Ethnopluralisten.“ Dann erzählt er, nicht zum ersten Mal an diesem Tag, dass Schrebergärten jetzt Urban Gardening heißen und Gärtnereien „Werkstatt für florale Objekte“. Dass er mal ein Bordell eröffnen will, nur um es „Institut für humane Penetrationshydraulik“ nennen zu können. Und – der Mann auf der Bühne beugt sich vor, lässig den Ellbogen an der Tischkante – wie ist das biodeutsche Wort für Rassist? „Arschloch!“  Kurzer Blick nach unten, zum Regisseur, der sich einen Zigarillo ansteckt. „Noch mal zurück?“ – „Nee, mach doch.“ Seit 11 Uhr hocken die beiden Männer im bunkerartigen Kulturspeicheruntergrund und arbeiten sich bis abends durch den Text. Fast acht Stunden lang, fast am Stück. Mehrere Tage geht das jetzt schon so. Tretter redet auf der Bühne, Repiscus fährt von unten dazwischen. Und verwirft den Text, den sich der gebürtige Würzburger und Wahl-Leipziger Tretter ausgedacht hat. „Von 100 geschriebenen Seiten bleiben drei übrig . . .“, sagt der Kabarettist und verzieht mit Absichtsschmerz das Gesicht. Repiscus sagt nichts. Schlechte Pointen zu entlarven, dröge Passagen  bloßzulegen, misslungene Übergänge zu entdecken, Frustfaktor zu sein – das ist sein Job. „Aber er bewahrt mich vor dem Frustfaktor auf der Bühne“, rückt Tretter die gespielte Klage gerade, „das ist das Entscheidende.“ Seit Wochen, Monaten werkelt und tüftelt Tretter, 45 Jahre alt inzwischen, am Text für ein neues abendfüllendes Soloprogramm. Das Ziel: 30 Seiten. „Es soll welche geben, denen reichen zehn. Und es soll welche geben, die haben 70“, sagt Repiscus, der Kabarettisten-Wegbegleiter ist und Coach von vielen, die groß wurden oder zumindest bekannt. Zweidreiviertel Jahre lang hat Mathias Tretter jetzt „Selfie“ gespielt, 400 Mal stand er damit auf der Bühne. Zeit für was Neues.  So hockt er, wie vor drei Jahren, mit seinem Regisseur, mit dem er Vornamen und Wellenlänge teilt, wieder viele Sommertage lang statt im Biergarten im dunklen Keller und tüftelt und feilt. „Bei ihm kommt die Komik wirklich aus der Formulierung“, sagt der Regisseur. Halbsätze können entscheidend sein. Wenn alle halben und ganzen Sätze sitzen, also kurz vor der Premiere, kommt Repiscus hoch auf die Bühne und „inszeniert“. Wobei, bei Tretter, dem Kabarettisten des Wortes, muss er in der szenischen Umsetzung nicht viel Aufhebens machen. Der 45-Jährige ist Denker und Mundwerker, nicht Körperverdreher: „Singen, tanzen – nee, das würde nicht passen.“ Kurze Zigaretten-Zigarillo-Pause. Neues Programm – das heißt bei Tretter: komplett neu. Allenfalls drei Prozent, schätzt der studierte Anglist und Germanist, stammen aus den Kolumnen, die er wöchentlich fürs Radio schreibt. Der Rest: „Eine große Anstrengung!“ Einfach die Dreiminuten-Radio-Stückchen aneinanderreihen und Pointen machen? Tretter schüttelt den Kopf. „Ich erzähle eine Geschichte, das ist aufwendig.“ Und spannt an: So ein großer Textblock muss funktionieren, weil der Kabarettist damit den Lebensunterhalt besorgt und seine beiden Kinder ernährt. In seinen letzten beiden Soloprogrammen hat sich Tretter viel mit Kommunikation beschäftigt, mit dem Internet, mit dem (Nicht)-Freund-sein-Wollen. Tagespolitik, sagt er, interessiere ihn nicht besonders. Aber die Gesellschaft, die Veränderungen, die Trends. Und die „wirklich epochemachende Umwälzung im politischen System in den letzten Jahren“. Unsere überkommene Form der Demokratie, sagt Tretter, sei für die moderne Kommunikation nicht gemacht. Und so hat nicht er, so habe ihn das neue Thema gefunden: POP!   Populismus, Populäres, Populistik, Populärkultur. In den drei Buchstaben steckt Stoff für . . . . . 30 Seiten. Blogger sind die neuen Journalisten, Hipster die neuen Bierbrauer, Sänger kriegen den Literaturnobelpreis, die AfD ist die neue CDU. Und außenrum neue Kriege, Seuchen, Hungersnöte, Klimaerwärmungen, Finanzcrashs . . . . „aber hier ist Terrorismus-Aufregung“, sagt Tretter jetzt, während der Zigarettenpause, „das kommt mir absolut seltsam vor angesichts dessen, was sonst so passiert.“ Kurzes Innehalten: „Es gibt 100 verschiedene Sachen, die weitaus bedrohlicher sind als der Terrorismus. Dass die Gesellschaften sich so verunsichern lassen . . .“ Man müsse immer die Systemfrage stellen, findet der Profi oraler Präsenz. „Da spielt der Terrorismus eine Rolle unter ferner liefen.“ Dann ein Grinsen: „Die Apokalypse hatte ich im letzten Programm.“   Tatsächlich, „Selfie“ endet mit dem leicht apokalyptischen Szenario, dass Millionen Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Vor drei Jahren wohlgemerkt war Premiere – als hätte der Kabarettist eine Ahnung gehabt. Was Tretter in POP prophezeit? Erst einmal nimmt Repiscus den Hammer und haut Stücke weiter Stücke aus dem Textblock, oder raspelt nur gnädig mit der groben Feile. Tretters Buchungen für 2018 stehen, er weiß jetzt schon, wann er von mittwochs bis samstags im Zug sitzen, in der Republik unterwegs sein und POP auf den Kabarettbühnen spielen wird. Papa in Leipzig ist er dann von Sonntagnachmittag bis Mittwochfrüh.   Ab diesem Freitag präsentiert der 45-Jährige das Gefeilte ein paar Abende lang testweise vor Publikum. Praxis-Test: An welchen Stellen wird gelacht? Funktioniert die Geschichte? Der Tretter, der sei einer, der gebe nicht nur jammernd eine Replik, was schlecht gelaufen ist, sagt Repiscus. „Er schaut nach vorne.“ Was sicher ist: Wenn der Kabarettist, der sich in den vergangenen zehn Jahren „vom Schüchternen zur Rampensau“ entwickelt hat, im Bockshorn bei der Premiere ins Scheinwerferlicht tritt, ist der Text fix: „Ich gehe nicht mit einem unvorbereiteten Satz auf die Bühne.“    Vorpremieren zum „Testen“ von POP gibt es an diesem Freitag, 16. Juni, um 20.30 Uhr in Lauda-Königshofen im „Kulturschock“, am Samstag, 17. Juni, um 19.30 Uhr in der Schweinfurter Disharmonie. Premiere im Bockshorn dann am 29. und 30. Juni, 20.15 Uhr.
Foto: Foto: | Irgendwann, wenn wir mit dem Text mal soweit sind, werd' ich mal mit auf die Bühne müssen.“ Strahlender Sonnenschein in Würzburg, herrlicher Sommertag.
Alice Natter
 |  aktualisiert: 27.04.2023 04:21 Uhr

Irgendwann, wenn wir mit dem Text mal soweit sind, werd' ich mal mit auf die Bühne müssen.“ Strahlender Sonnenschein in Würzburg, herrlicher Sommertag. Und Mathias Repiscus sitzt in seinem Bockshorn-Keller im Fastganzdunklen, irgendwo in Reihe drei im leeren Saal, und blättert im Ordner. „Wo waren wir?“ Oben auf der Bühne rückt Mathias Tretter das Papier zurecht. „Bei den Ethnopluralisten.“ Dann erzählt er, nicht zum ersten Mal an diesem Tag, dass Schrebergärten jetzt Urban Gardening heißen und Gärtnereien „Werkstatt für florale Objekte“. Dass er mal ein Bordell eröffnen will, nur um es „Institut für humane Penetrationshydraulik“ nennen zu können. Und – der Mann auf der Bühne beugt sich vor, lässig den Ellbogen an der Tischkante – wie ist das biodeutsche Wort für Rassist? „Arschloch!“

Kurzer Blick nach unten, zum Regisseur, der sich einen Zigarillo ansteckt. „Noch mal zurück?“ – „Nee, mach doch.“

Sommertage im Keller: „Es gibt Aspekte, den Job zu verfluchen“

Seit 11 Uhr hocken die beiden Männer im bunkerartigen Kulturspeicheruntergrund und arbeiten sich bis abends durch den Text. Fast acht Stunden lang, fast am Stück. Mehrere Tage geht das jetzt schon so. Tretter redet auf der Bühne, Repiscus fährt von unten dazwischen. Und verwirft den Text, den sich der gebürtige Würzburger und Wahl-Leipziger Tretter ausgedacht hat. „Von 100 geschriebenen Seiten bleiben drei übrig . . .“, sagt der Kabarettist und verzieht mit Absichtsschmerz das Gesicht. Repiscus sagt nichts. Schlechte Pointen zu entlarven, dröge Passagen bloßzulegen, misslungene Übergänge zu entdecken, Frustfaktor zu sein – das ist sein Job.

„Aber er bewahrt mich vor dem Frustfaktor auf der Bühne“, rückt Tretter die gespielte Klage gerade, „das ist das Entscheidende.“ Seit Wochen, Monaten werkelt und tüftelt Tretter, 45 Jahre alt inzwischen, am Text für ein neues abendfüllendes Soloprogramm. Das Ziel: 30 Seiten. „Es soll welche geben, denen reichen zehn.

Und es soll welche geben, die haben 70“, sagt Repiscus, der Kabarettisten-Wegbegleiter ist und Coach von vielen, die groß wurden oder zumindest bekannt.

400 Mal mit „Selfie“ auf der Bühne

Zweidreiviertel Jahre lang hat Mathias Tretter jetzt „Selfie“ gespielt, 400 Mal stand er damit auf der Bühne. Zeit für was Neues.

So hockt er, wie vor drei Jahren, mit seinem Regisseur, mit dem er Vornamen und Wellenlänge teilt, wieder viele Sommertage lang statt im Biergarten im dunklen Keller und tüftelt und feilt. „Bei ihm kommt die Komik wirklich aus der Formulierung“, sagt der Regisseur. Halbsätze können entscheidend sein. Wenn alle halben und ganzen Sätze sitzen, also kurz vor der Premiere, kommt Repiscus hoch auf die Bühne und „inszeniert“.

Wobei, bei Tretter, dem Kabarettisten des Wortes, muss er in der szenischen Umsetzung nicht viel Aufhebens machen. Der 45-Jährige ist Denker und Mundwerker, nicht Körperverdreher: „Singen, tanzen – nee, das würde nicht passen.“

Kurze Zigaretten-Zigarillo-Pause. Neues Programm – das heißt bei Tretter: komplett neu. Allenfalls drei Prozent, schätzt der studierte Anglist und Germanist, stammen aus den Kolumnen, die er wöchentlich fürs Radio schreibt. Der Rest: „Eine große Anstrengung!“ Einfach die Dreiminuten-Radio-Stückchen aneinanderreihen und Pointen machen? Tretter schüttelt den Kopf. „Ich erzähle eine Geschichte, das ist aufwendig.“ Und spannt an: So ein großer Textblock muss funktionieren, weil der Kabarettist damit den Lebensunterhalt besorgt und seine beiden Kinder ernährt.

Kein Terror: Das Thema, das ihn umtreibt, hat drei Buchstaben

In seinen letzten beiden Soloprogrammen hat sich Tretter viel mit Kommunikation beschäftigt, mit dem Internet, mit dem (Nicht)-Freund-sein-Wollen. Tagespolitik, sagt er, interessiere ihn nicht besonders. Aber die Gesellschaft, die Veränderungen, die Trends. Und die „wirklich epochemachende Umwälzung im politischen System in den letzten Jahren“. Unsere überkommene Form der Demokratie, sagt Tretter, sei für die moderne Kommunikation nicht gemacht. Und so hat nicht er, so habe ihn das neue Thema gefunden: POP!

Populismus, Populäres, Populistik, Populärkultur. In den drei Buchstaben steckt Stoff für . . . . . 30 Seiten. Blogger sind die neuen Journalisten, Hipster die neuen Bierbrauer, Sänger kriegen den Literaturnobelpreis, die AfD ist die neue CDU. Und außenrum neue Kriege, Seuchen, Hungersnöte, Klimaerwärmungen, Finanzcrashs .

. . . „aber hier ist Terrorismus-Aufregung“, sagt Tretter jetzt, während der Zigarettenpause, „das kommt mir absolut seltsam vor angesichts dessen, was sonst so passiert.“ Kurzes Innehalten: „Es gibt 100 verschiedene Sachen, die weitaus bedrohlicher sind als der Terrorismus. Dass die Gesellschaften sich so verunsichern lassen . . .“ Man müsse immer die Systemfrage stellen, findet der Profi oraler Präsenz. „Da spielt der Terrorismus eine Rolle unter ferner liefen.“ Dann ein Grinsen: „Die Apokalypse hatte ich im letzten Programm.“

Der Kabarettist als Prophet, oder: Mit dem Programm der Realität voraus

Tatsächlich, „Selfie“ endet mit dem leicht apokalyptischen Szenario, dass Millionen Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Vor drei Jahren wohlgemerkt war Premiere – als hätte der Kabarettist eine Ahnung gehabt.

Was Tretter in POP prophezeit? Erst einmal nimmt Repiscus den Hammer und haut Stücke weiter Stücke aus dem Textblock, oder raspelt nur gnädig mit der groben Feile. Tretters Buchungen für 2018 stehen, er weiß jetzt schon, wann er von mittwochs bis samstags im Zug sitzen, in der Republik unterwegs sein und POP auf den Kabarettbühnen spielen wird. Papa in Leipzig ist er dann von Sonntagnachmittag bis Mittwochfrüh.

Praxistest muss sein: Eine Woche lang Vorpremieren vor der Uraufführung

Ab diesem Freitag präsentiert der 45-Jährige das Gefeilte ein paar Abende lang testweise vor Publikum. Praxis-Test: An welchen Stellen wird gelacht? Funktioniert die Geschichte? Der Tretter, der sei einer, der gebe nicht nur jammernd eine Replik, was schlecht gelaufen ist, sagt Repiscus. „Er schaut nach vorne.“ Was sicher ist: Wenn der Kabarettist, der sich in den vergangenen zehn Jahren „vom Schüchternen zur Rampensau“ entwickelt hat, im Bockshorn bei der Premiere ins Scheinwerferlicht tritt, ist der Text fix: „Ich gehe nicht mit einem unvorbereiteten Satz auf die Bühne.“

Termine:

Vorpremieren zum „Testen“ von POP gibt es an diesem Freitag, 16. Juni, um 20.30 Uhr in Lauda-Königshofen im „Kulturschock“, am Samstag, 17. Juni, um 19.30 Uhr in der Schweinfurter Disharmonie. Premiere im Bockshorn dann am 29. und 30. Juni, 20.15 Uhr.

Zigarettenpause: Mathias Tretter und Mathias Repiscus feilen am neuen Soloprogramm.Johannes Kiefer
Foto: Foto: | Zigarettenpause: Mathias Tretter und Mathias Repiscus feilen am neuen Soloprogramm.Johannes Kiefer
Der Kabarettist und sein einziger Zuschauer: Tretter und Repiscus arbeiten an POP.
Foto: Johannes Kiefer | Der Kabarettist und sein einziger Zuschauer: Tretter und Repiscus arbeiten an POP.
 
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