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MEININGEN
Tosca im Kosmos von Grausamkeit und Liebe
Siggi Seuß
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:58 Uhr

Gewöhnlich. Unschön. Grausam. So ist sie, die Welt in Giacomo Puccinis „Tosca“, in einer Opera verismo, einer „wahren Oper“, wie sie im Buche, oder besser: im Libretto steht. Am Meininger Theater ist die Tragödie einer ausweglosen Liebe in einem Zeitalter politischen und moralischen Verfalls nun zu sehen, in einer Inszenierung von Intendant Ansgar Haag.

Einzigartig. Wunderschön. Zärtlich. Auch so ist sie, diese Welt, wenn sich Menschen, von der Kraft der Liebe inspiriert, aufmachen, dem Leben Farbe zu geben, selbst wenn die Hoffnung illusionär ist. Grausamkeit und Sehnsucht nach Harmonie – das sind die Gegensätze, die in „Tosca“ so hart aufeinandertreffen, dass es wehtut. Wird man in Puccinis „La Boheme“ zu Tränen gerührt, schleicht sich hier selbst bei den innigsten Liebesarien („Vissi d'arte, vissi d'amore“ – „Ich lebe von der Kunst, ich lebe von der Liebe“) eher das Entsetzen über den Zustand der Welt unter die Haut.

Der Schrecken paart sich in der Meininger Inszenierung mit der Freude über eine musikalisch, choreografisch und inszenatorisch stimmige Interpretation der Handlung, die im Jahr 1800 in Rom spielt, zur Zeit der republikanisch-feudalistischen Auseinandersetzungen und Napoleons Sieg in der Schlacht von Marengo.

Als Tosca sprang in der Premiere die dänische Sopranistin Brit-Tone Müllertz für die erkrankte Camila Ribero-Souza ein, die sich mit dieser Rolle von Meiningen verabschiedet und ans Weimarer Nationaltheater wechselt. Die Gastsopranistin beeindruckt mit ihrer Charakterisierung einer leidenschaftlich liebenden Frau und fügt sich scheinbar mühelos in den Erzählkosmos ein, den der Regisseur, Bühnenbildner Dieter Richter, Kostümbildnerin Renate Schmitzer, Chorleiter Martin Wettges und Choreografin Zenta Haerter vorgeben.

Wie ein dunkles Gemälde

Das Team arbeitet nicht mit Abstraktionen, um den Zustand der desaströsen Welt zu verdeutlichen. Es stellt ihn dar, verdichtet auf zweieinhalb Stunden Bühnendramatik, in der besonderes Augenmerk auf die Gleichzeitigkeit der Gegensätze gelegt wird. Drinnen die Brutalität des Zynikers Scarpia und seiner Schergen, draußen die traditionellen Überlebensrituale des Volkes, das festliche Tedeum in der Kirche, die Schönheit des anbrechenden Morgens über der Stadt. Selbst wenn die Erscheinungsformen von Liebe, pervertierten Gelüsten und Hass zeitlos sind wie die Zeichen der Hoffnung, kann man in diese historische Welt eintauchen wie in ein dunkles naturalistisches Gemälde.

Die dichte Atmosphäre der Szenenbilder nimmt gefangen: die dezenten Lichteffekte, die choreografisch durchdachte Positionierung der Darsteller, die Gleichzeitigkeit von Chorszenen im Hintergrund und dem Geschehen im Vordergrund und natürlich die schwelgerische Farbgebung des Gefühlskosmos von Opfern und Tätern durch die Meininger Hofkapelle unter dem Dirigat des jungen Ersten Kapellmeisters Chin-Chao Lin.

Inbrünstig

Über die Stimmfülle und Stimmsicherheit von Brit-Tone Müllertz und ihrer Spielpartner, vor allem dem gesanglich und mimisch außergewöhnlich glaubwürdigen Dae-Hee Shin als Scarpia, dem Gasttenor Nutthaporn Thammathi als Mario Cavaradossi (alternierend mit Xu Chang) und dem Meiningen-Debütanten Daniel Pannermayr als Cesare Angelotti fällt einem zuallererst das schöne alte Wörtchen „inbrünstig“ ein. Es wird – deutsch übertitelt – leidenschaftlich italienisch gesungen und mit Herzblut gemimt. Und deshalb verwundert es nicht, dass dieser dramatische Bühnenkampf zwischen erlebter Grausamkeit und ersehnter Liebe vom Publikum am Ende mit großem Jubel bedacht wird.

Nächste Vorstellungen: 13. und 22. September, 19. und 28. Oktober. Karten: Tel. (0 36 93) 451 222

 
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