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SOMMERHAUSEN
Torturmtheater: Fußball als Lebensphilosophie
Hans-Jürgen Grellmann
 |  aktualisiert: 31.05.2014 14:22 Uhr

Veit Relin, dem langjährigen Leiter des Sommerhäuser Torturmtheaters, der bekennender Anhänger des 1. FC Nürnberg war, hätte Thomas Brussigs Monolog „Fußball ist alles“ von 2002, der vom Team um Angelika Relin aktualisiert wurde, sicher gefallen. Denn da geht es eben nicht nur um das runde Leder, sondern um viel mehr, frei nach dem legendären Liverpooler Trainer Bill Shankley: „Einige Leute halten Fußball für einen Kampf auf Leben und Tod. Ich versichere Ihnen, dass es weit ernster ist.“

Auf der winzigen Bühne des mit 50 Fans voll besetzten Hauses steht eine einsame Parkbank. Herein kommt, Udo Lindenbergs „Sonderzug nach Pankow“ trällernd, ein älterer Mensch im blauen Trainingsanzug, mit Bauch- und Sporttasche. Umständlich setzt er sich hin, packt Thermoskanne und Brotzeitdose aus, isst, trinkt, geht hin und her, pinkelt auch mal und erzählt fast 80 Minuten lang, oft mit ausladenden Armbewegungen, aus seinem Leben, das er dem Fußball gewidmet hat: von der Betriebssportgruppe aus der Magdeburger Börde mit dem schönen Namen „Tatkraft“, die er von Jugend auf betreut, vor und nach der Wende, mit zunehmender Verbitterung über die Verhältnisse, die sich ändern, und die Menschen mit ihnen.

Als 1974 bei der Weltmeisterschaft im „Westen“ die DDR durch das Tor von Jürgen Sparwasser gegen den Klassenfeind Bundesrepublik gewinnt, wird dieser Spieler zum Idol. Viele Jugendliche eifern ihm nach, auch Heiko, des Trainers Liebling. „Wenn ick dem jesacht habe, ,Hau den um‘, dann hat der den umjehaun, und lieber dafür Rot jenommen als verloren.“ Doch als Heiko in die Nationale Volksarmee und an die deutsch-deutsche Grenze muss, beichtet er dem Trainer, dass er auch dort einen „umgehauen“ hat. Dafür kriegt er später von einer Richterin („null Ahnung!“) nach der Wende zwei Jahre mit Bewährung. Seitdem hat Heiko keinen mehr umgehauen auf dem Spielfeld.

Schuld sind die Frauen

Daran sind für den Trainer die Frauen schuld, weil die nix von Fußball verstehen. Darüber geht seine Ehe kaputt, er verliert den Job. Zuvor hatte er sich eine Auslandsreise gewünscht, 1978 nach Argentinien zum Beispiel. Er war dafür sogar in die SED eingetreten, weil nur Funktionäre Karten bekamen. Aber die DDR-Auswahl qualifizierte sich nicht mehr.

Den Trainer spielt nicht zum ersten Mal der erfahrene Münchner Rudolf Waldemar Brem, der bei Rainer Werner Fassbinder sein Handwerk erlernt hat. Er berlinert sich mal mit freudiger Begeisterung, mal mit elementarer Wucht, aber auch mit trauriger Resignation und vielen feinen Zwischentönen durch die Etappen eines ziemlich verpfuschten Lebens. Respekt und viel Beifall, und für jeden Fußballanhänger ohne Scheuklappen ein Genuss.

Auf dem Spielplan bis 7. Juni. Tickets Tel. (0 93 33) 268.

 
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